Missbrauchsstudie 3677 Kinder von Priestern in Deutschland missbraucht

Rom · Erste Details der Missbrauchsstudie der katholischen Kirche sickern in die Öffentlichkeit durch. Von 1946 bis 2014 haben mindestens 1670 Kleriker insgesamt 3677 missbraucht.

Der Skandal um den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche weitet sich aus. Papst Franziskus hat die Leiter aller katholischen Bischofskonferenzen zu einer Konferenz zum Umgang mit sexuellem Kindesmissbrauch in den Vatikan bestellt – freilich erst im Februar 2019.

Und parallel dazu wurden am Mittwoch in Deutschland Ergebnisse einer Studie bekannt, die die römisch-katholische Deutsche Bischofskonferenz eigentlich erst bei ihrer Herbstvollversammlung in Fulda am 25. September der Öffentlichkeit präsentieren wollte. Die Vorab-Veröffentlichung von Teilen daraus kritisierte sie scharf, zeigte sich über die Resultate aber betroffen.

Wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und die Wochenzeitung „Die Zeit“ berichteten, sind der katholischen Kirche in Deutschland in der Zeit von 1946 bis 2014 mindestens 1670 Kleriker als Missbrauchstäter bekannt geworden. Insgesamt 3677 Kinder und Jugendliche wurden dadurch zu Opfern. Über sie fanden sich Informationen in den Personalakten der bischöflichen Ordinariate, die von den Autoren der Studie systematisch durchgearbeitet wurden.

Damit haben mindestens 4,4 Prozent aller katholischen Priester, die es in den 68 von der Studie untersuchten Jahren in Deutschland gab, Minderjährige missbraucht. Doch nur in 122 Fällen, also bei knapp sieben Prozent der Beschuldigten, habe die Kirche Strafanzeige gestellt. Oft seien die Täter lediglich versetzt worden.

Große Dunkelziffer

Zudem gibt es eine große Dunkelziffer: Die Studie enthält keine Angaben zu Vorkommnissen in katholischen Orden, die den Bischöfen nicht unterstehen, und auch keine Angaben zum Missbrauch durch andere Personen als Geistliche. Zudem war es den Autoren um den Mannheimer Professor für forensische Psychiatrie, Harald Dreßing, nicht möglich, die Originalakten der Bistümer einzusehen, und auch nicht alle Bistümer öffneten alle Archive für die Studie.

Dabei habe es Hinweise auf gezielte Vertuschung gegeben. In mindestens zwei Bistümern sollen Akten über Missbrauchsfälle sogar gezielt vernichtet worden seien. In einer ersten Bewertung sprechen die Autoren der Studie vom Festhalten am Pflichtzölibat für Priester als einem „möglichen Risikofaktor“.

„Die Kirche in Deutschland ist genauso wie ihre Schwesterkirchen in den USA, Australien, Irland und vielen anderen Ländern der Erde, in ein System aus Missbrauch und Vertuschung verstrickt, und hat es über Jahrzehnte verstanden, die Öffentlichkeit darüber zu täuschen“, sagte der Vorsitzende der Opferorganisation Eckiger Tisch, Matthias Katsch. Am Mittwoch beklagte er, dass durch die Studie „keine Namen von Tätern, und keine verantwortlichen Bischöfe identifiziert werden, die das System aus sexuellen Übergriffen und Vertuschung über Jahrzehnte gedeckt und perfektioniert haben.“ Nötig sei deswegen eine unabhängige Untersuchung, für die die Kirche Zugang zu ihren Akten gewähren müsse.

Vertreter der kirchenkritischen Organisation „Wir sind Kirche“ sprachen von „ungeheuren“ Ergebnissen der Studie. „Mit dem Abschluss dieser Studie, die noch nach Diözesen und Orden weiter differenziert werden müsste, kann die Aufarbeitung der klerikalen sexualisierten Gewalt keineswegs als beendet angesehen werden“, heißt es. „Die teils guten, aber in vielem auch immer noch unzureichenden Maßnahmen der Bischofskonferenz zeigen, dass dieses Thema jetzt wirklich für jeden einzelnen Bischof und die Bischofskonferenz als Ganzes zur Chefsache werden muss und die 2010 erfolgte Benennung eines einzelnen Missbrauchsbeauftragten keinesfalls ausgereicht hat.“

Bedrückend und beschämend

Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, bestätigte die Echtheit der Studienergebnisse. „Wir wissen um das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs, das durch die Ergebnisse der Studie belegt wird“, sagte Ackermann. „Es ist für uns bedrückend und beschämend.“ Die Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz in Fulda werde genutzt, um sich mit den Ergebnissen auseinanderzusetzen.

Unterdessen ist der Vatikan weiter mit der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in den USA beschäftigt. Am Donnerstag empfängt Papst Franziskus eine Delegation amerikanischer Bischöfe unter Leitung des Vorsitzenden der amerikanischen Bischofskonferenz Kardinal Daniel Di Nardo. Der ehemalige Nuntius in den USA, Carlo Maria Vigano, hatte Franziskus Ende August zum Rücktritt aufgefordert, weil er von sexuellen Verfehlungen des früheren Washingtoner Erzbischofs, Kardinal Theodore McCarrick, gewusst haben soll.

Bislang hat sich Franziskus zu diesem Thema nicht geäußert. Zudem berief der Papst für Februar 2019 ein Treffen aller Vorsitzenden der 130 katholischen Bischofskonferenzen in den Vatikan ein. Damit kommt das katholische Kirchenoberhaupt einem Wunsch zahlreicher Bischöfe entgegen, die sich für eine Sondersynode zum sexuellen Missbrauch aussprachen.

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