EU-Austritt Großbritanniens 18 Stunden täglich gegen den Brexit

London · Peter French kämpft gegen den EU-Austritt. Der Protest scheint zu wachsen. Doch die Ressentiments gegen die EU sitzen tief.

 Organisiert eine Massendemonstration gegen den Brexit am 1. Oktober in Manchester: Peter French.

Organisiert eine Massendemonstration gegen den Brexit am 1. Oktober in Manchester: Peter French.

Foto: Pribyl

Als Peter French sich kürzlich mit seinem Arzt unterhielt, fragte ihn dieser nach einer Weile, was er denn beruflich mache. „Ich kämpfe gegen den Brexit“, antwortete der Brite wie selbstverständlich und erntete ein spöttisches Lächeln. Ob das ein Job sei? „Aber ja“, sagte French. „Ich versuche, den Brexit zu stoppen.“ Allein die Worte können kaum das schiere Ausmaß der Aufgabe verdeutlichen. Am heutigen Montag gehen die Verhandlungen um die Scheidung in die dritte Runde, im März hat die Londoner Regierung Artikel 50 ausgelöst und damit den Austrittsprozess eingeleitet.

Damals schon hatte der 57-jährige Schotte, der seit mehr als 30 Jahren in London lebt, den Protest vor dem Westminster-Palast angeführt, an dem laut eigenen Angaben mehr als 100 000 Menschen teilnahmen. Nun organisiert er eine Massendemonstration am 1. Oktober in Manchester am Rande des Parteitags der Konservativen. Zum „#StopBrexit March“, unterstützt von einer Crowdfunding-Kampagne, werden Zehntausende erwartet. Sie wollen abermals öffentlich fordern, die Idee des Ausstiegs zu beerdigen – mit Plakaten und Bannern, mit Sprechchören und Auftritten prominenter Brexit-Gegner. Und mit einem Mottowagen des deutschen Karnevalswagenkünstlers Jacques Tilly, der beim Marsch enthüllt wird.

French kann es kaum erwarten. Für ihn, vor dem Referendum im vergangenen Jahr weder politisch noch in Bürgerrechtsbewegungen aktiv, füllt der Widerstand gegen den EU-Ausstieg Großbritanniens mittlerweile 18 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche. Seine Arbeit als Sänger und Künstler liegt auf Eis. „Ich habe realisiert, dass wir alle eine Verantwortung haben, diese Welt mitzugestalten“, so French, der zu Beginn vor allem auf Facebook aktiv war, danach führte eins zum anderen. „Das Leben der jungen Menschen wird zerstört und wir wurden zu einem Land, in dem manche Menschen meinen, sie könnten ausländerfeindlich, homophob oder rassistisch auftreten.“ Das sei schlichtweg nicht akzeptabel und „keine Gesellschaft, in der ich leben will“.

Kippt im Königreich die Stimmung zugunsten eines Verbleibs in der EU? Die Umfragen seit dem Referendum am 23. Juni 2016 deuten noch immer auf eine gespaltene Nation hin. In einer Untersuchung des Instituts Opinium von Anfang August gaben 47 Prozent der Befragten an, sie würden bei einem erneuten Referendum für den Verbleib stimmen, 44 Prozent favorisierten den Abschied. In den meisten Studien der vergangenen Monate aber lagen die Brexiteers weiterhin vorn. Es bleibt knapp, ein wirklicher Meinungsumschwung herrscht nicht auf der Insel – noch nicht, wie pro-europäische Aktivisten hoffen. „Wir müssen mehr informieren, die Leute in Debatten außerhalb der sozialen Medien aufklären und zeigen, welche Auswirkungen das Votum jetzt schon hat und haben wird“, sagt French. Immerhin, bei der Studie gab ein Viertel der befragten Briten, die für den Brexit gestimmt haben, an, sie fühlten sich getäuscht – von den Versprechen, die vor der Abstimmung gemacht wurden und von denen viele bereits kassiert sind.

Dass die Bevölkerung ihre Meinung geändert hat, kann Thomas Cole von der bekanntesten pro-europäischen Organisation Open Britain ebenfalls nicht erkennen. Die Ressentiments gegen die EU sitzen tief. „Aber die Menschen beginnen, Fragen zu stellen.“ Es setze die Erkenntnis ein, dass Kompromisse eingegangen werden müssen. Die parteiübergreifende Gruppe, in der auch einige Remain-Politiker engagiert sind, will das Ergebnis des Referendums respektieren und setzt sich für den Weg eines weichen Brexit ein.

Der Brexit-Widerstand ist vielfältig. „Es ist gut, dass wir nicht alle mit einer Stimme sprechen“, findet French. Das wäre nicht repräsentativ. Im März nannte sich die Kampagne für den Protestmarsch noch „Unite for Europe“. Doch die existiere nicht mehr, die Botschaft sei doch eigentlich eine andere. Es gehe nur um eines, sagt er: „Stop Brexit. Ende der Geschichte.“

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