Sondierungsgespräche für Jamaika „Kreatives Nachdenken“ in Berlin

Während die angehenden Jamaikaner in Interviews und Talksendungen immer noch schlecht übereinander reden, betonen die Parteispitzen in der großen Halle vor den Räumen der Parlamentarischen Gesellschaft ihre Verantwortung fürs Land und ihre Offenheit für die Gespräche mit den anderen.

 ARCHIV - Braunkohlebagger fördern am 04.06.2013 im Tagebau Garzweiler (Nordrhein-Westfalen) Kohle. Im Hintergrund die Kraftwerke Frimmersdorf und Neurath. (zu dpa vom 01.10.2017) Foto: Federico Gambarini/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit

ARCHIV - Braunkohlebagger fördern am 04.06.2013 im Tagebau Garzweiler (Nordrhein-Westfalen) Kohle. Im Hintergrund die Kraftwerke Frimmersdorf und Neurath. (zu dpa vom 01.10.2017) Foto: Federico Gambarini/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit

Foto: picture alliance / Federico Gamb

Zum Auftakt der ersten Sondierungsrunde im alten Präsidentenpalais gleich gegenüber dem Reichstag sind sich die möglichen Jamaika-Koalitionäre überraschend einig: „Gut, dass es endlich losgeht“, sagt Grünen-Chef Cem Özdemir. CSU-Chef Horst Seehofer, dem gerade auch noch die Loyalität in seinem oberbayerischen Heimatverband wegbröckelt, ist darüber sogar „richtig froh“. FDP-Chef Christian Lindner lässt sich dazu hinreißen, vom ersten Treffen der „Kleeblatt-Konstellation“ zu sprechen.

Während die angehenden Jamaikaner in Interviews und Talksendungen immer noch schlecht übereinander reden, betonen die Parteispitzen in der großen Halle vor den Räumen der Parlamentarischen Gesellschaft ihre Verantwortung fürs Land und ihre Offenheit für die Gespräche mit den anderen. Auf ihrer Seite gebe es die Bereitschaft „kreativ nachzudenken“, sagt CDU-Chefin Angela Merkel.

Die anderen drei Parteichefs versäumen es aber auch nicht, inhaltlich Pflöcke einzuschlagen. Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt nennt Klimaschutz und die Bekämpfung von Kinderarmut. Seehofer kann von seiner „Ober“-Diktion nicht lassen und nennt die Themen Migration, Sicherheit, Rente, Pflege und Gesundheit als „Oberziele“. Die Stichworte Digitalisierung, Bildung und Einwanderungspolitik kommen von Lindner. Merkel nennt „Arbeit und Sicherheit“ als Prioritäten der CDU.

Bereits bevor die Sondierung am späten Freitagnachmittag startet, haben sich die Parteien auf den zeitlichen Fahrplan verständigt: Nach gründlichen Sondierungen bis Mitte November soll feststehen, ob Jamaika Deutschland regieren wird oder nicht. Denn die Verhandlungen in den nächsten drei Wochen sollen so intensiv und tiefgründig geführt werden, dass die eigentlichen Koalitionsverhandlungen dann nur noch der nötigen Detailtreue dienen sollen – und nicht mehr der grundsätzlichen Klärung. Die Sondierer hatten am Freitagabend zwölf Themenfelder auf dem Zettel.

Finanzen: Die Summe der Ausgabenpläne in den Wahlprogrammen von Union, FDP und Grünen geht weit über den vorhandenen Spielraum von 30 Milliarden Euro in dieser Wahlperiode hinaus. Die Union will die Steuerzahler um 15 Milliarden Euro jährlich entlasten, die FDP sogar um 30 Milliarden. Die Grünen wiederum lehnen eine Netto-Entlastung ab. Sie wollen höhere Einkommen und Erbschaften stärker belasten, was Union und FDP aber ablehnen. Alle Partner wollen aber die Familien entlasten.

Europa: Alle Parteien begrüßen die Initiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Vertiefung der EU. Die FDP lehnt aber jede Form der Vergemeinschaftung von Schulden ab. Die Grünen sind zwar deutlich toleranter gegenüber ärmeren Ländern eingestellt, doch wollen auch sie kein neues Eurozonenbudget, sondern lieber den EU-Haushalt merklich aufstocken, damit die EU mehr investieren kann.

Klima und Energie: Das Pariser Klimaabkommen wollen alle Parteien einhalten, doch nur die Grünen machen dafür konkrete Vorgaben. Die 20 dreckigsten Kohlekraftwerke wollen sie sofort abschalten, was die Union unter dem Einfluss der Kohleländer NRW, Sachsen-Anhalt und Sachsen ablehnt. Mit der FDP wäre der rasche Kohleausstieg eher zu machen. Dafür geraten Grüne und FDP beim Ökostrom-Ausbau aneinander: Die Grünen wollen ihn stärker staatlich subventionieren, die FDP setzt auf mehr Wettbewerb.

Kommunen und Wohnen: Hierbei gibt es wenig Streitpotenzial: Alle Parteien wollen die Kommunen finanziell weiter stärken und den Wohnungsbau ankurbeln. Die FDP will einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer einführen, die Grünen lieber noch mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau einführen.

Migration und Integration: Die härtesten Konflikte sind beim Familiennachzug zu erwarten, mit dem auch die Richtgröße von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr verbunden ist. Umstritten ist zudem die CSU-Forderung nach Ankunftszentren, in denen ankommende Flüchtlinge leben sollen, bis über ihren Asylantrag entschieden ist.

Bildung, Forschung, Innovation, Digitales, Medien: Bei diesen Themen wollen alle vier Parteien vorankommen und sind zu Investitionen bereit. FDP und Grüne würden gerne in der Bildung das Kooperationsverbot von Bund und Ländern abschaffen. Die Union ist dagegen.

Arbeit, Rente, Gesundheit, Pflege, Soziales: Ein Jamaika-Bündnis hätte die Chance, in der Sozialpolitik vom Gießkannenprinzip zu gezielter Hilfe zu kommen. Doch: Die CSU will die Mütterrente weiter erhöhen, was alle anderen ablehnen. Und die Grünen wollen für Gesundheit und Pflege eine Bürgerversicherung einführen, was bei Union und FDP auf Ablehnung stößt.

Familie: Streit gibt es, wie Familien künftig unterstützt werden. Die Union will Kindergeld und Kinderfreibetrag leicht anheben und ein Baukindergeld für junge Familien einführen. Die Grünen wollen zwölf Milliarden Euro für die flächendeckende Ganztagsbetreuung und eine eigene Grundsicherung für Kinder ausgeben, um Kinderarmut zu bekämpfen. Die FDP spricht sich für ein Arbeitszeitenkonto für Eltern aus, Ähnliches plant auch die Union.

Verkehr und Wirtschaft: Ob für 2030 schon das Ende des Verbrennungsmotors festgeschrieben wird, bleibt umstritten. Die Grünen fordern dies, Union und FDP sind dagegen. Die Digitalisierung der Wirtschaft und der Anschluss gerade der ländlichen Räume an das schnelle Internet sind für alle prioritär.

Verteidigung und Außenpolitik: Auch die nächsten vier Jahre steht die Bundeswehr in mehreren Auslandseinsätzen zeitgleich. Grundsätzlich sollten sich die Koalitionäre darauf einigen können. Beim Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato könnte es mit den Grünen schon schwieriger werden.

Innen/Rechtsstaat: Hier sind Konflikte zwischen CDU/CSU einerseits sowie FDP und Grünen andererseits programmiert. Liberale und Grüne sind gegen Allmachtsbefugnisse des Staates bei der Überwachung seiner Bürger. Die Union wiederum hält Videoüberwachung oder Vorratsdatenspeicherung im Kampf gegen Terror und Organisierte Kriminalität für unerlässlich. Einig ist man sich, dass die Polizei mehr Personal braucht.

Landwirtschaft: Beim Thema Landwirtschaft will die Union vor allem eins verhindern: dass das Agrarministerium an die Grünen geht. Sie fordern den massiven Ausbau der Biolandwirtschaft und die Abschaffung der Massentierhaltung. Die Union lehnt eine komplette Novellierung des Gesetzes ab und die FDP setzt eher auf Freiwilligkeit.

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