Das Leben nach der Katastrophe Witwe des Flugkapitäns spricht über Germanwings-Tragödie

Düsseldorf · Über vier Jahre liegt der Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen zurück. Annika Sondenheimer, Witwe des Flugkapitäns, der aus dem Cockpit ausgesperrt wurde, hilft anderen heute bei der Trauerarbeit.

 Kerzen liegen am 16. April  2015 in Haltern am See vor dem Joseph-König-Gymnasium. 16 Schüler und zwei Lehrerinnen waren mit dem Germanwings-Flugzeug verunglückt.

Kerzen liegen am 16. April  2015 in Haltern am See vor dem Joseph-König-Gymnasium. 16 Schüler und zwei Lehrerinnen waren mit dem Germanwings-Flugzeug verunglückt.

Foto: picture alliance / dpa/Marcel Kusch

Als Ministerpräsidentin Hannelore Kraft am 24. März 2015 im Landtag die SPD-Fraktionssitzung unterbrach, um zu informieren, dass ein Flugzeug von Germanwings vermisst werde, da hatte Annika Sondenheimer, Mitarbeiterin im Düsseldorfer Landtag, schon ein ungutes Gefühl. „Ich dachte, das könnte das Flugzeug meines Mannes sein“, erinnert sie sich. Ihr Sitznachbar versuchte sogleich, sie mit den gut gemeinten Worten „Ach was“ zu beruhigen. Außerdem hatte ihr Mann doch noch am Morgen eine SMS aus Barcelona geschickt.

Dann folgten Stunden zwischen Hoffen und Bangen, bis sie irgendwann Gewissheit hatte. Furchtbare Gewissheit. Wie lange das dauerte, weiß Annika Sondenheimer nicht mehr. Nur, dass ihre beste Freundin kam, sie am Landtag abholte und nach Hause brachte.

Danach habe sie „eigentlich nur noch funktioniert“, sagt die 41-Jährige heute. Ihr Mann Patrick war der Pilot des Germanwings-Flugs 9525. Der Airbus war auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf in den südfranzösischen Alpen zerschellt. Und Patrick Sondenheimer war der Kapitän – einer von 150 Menschen, die an jenem Tag ums Leben kamen.

Sofort wurde Annika Sondenheimer damals abgeschirmt – mithilfe von Freunden, Nachbarn, Politikern, der Piloten-Gewerkschaft. Tagelang standen Kamerateams und Journalisten vor ihrem Haus im Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim. Die Belagerung endete erst, als klar wurde, was tatsächlich geschehen war: Der Copilot, der Suizid begehen wollte, hatte erst Patrick Sondenheimer vom Cockpit ausgesperrt und dann den Absturz absichtlich herbeigeführt. „Ich habe mich nie zum Copiloten geäußert, und ich werde es auch jetzt und in Zukunft nicht tun“, unterstreicht Annika Sondenheimer. Wichtig war ihr erst einmal nur, dass nach vielen Spekulationen die wirkliche Absturzursache feststand.

Zwar hatte Patricks Ausbilder von der Lufthansa bereits beim ersten Krisentreffen seine Hand für Sondenheimers Integrität ins Feuer gelegt – nun aber war die Unschuld des Piloten offiziell.

Das Leben der jungen Familie jedoch war durch die Tragödie von jetzt auf gleich auf den Kopf gestellt: Annika Sondenheimer hatte den Ehemann verloren, die beiden Kinder – die Tochter damals fünf und der Sohn drei Jahre alt – den Vater.

     Annika Sondenheimer gründete eine Stiftung für Trauernde.

Annika Sondenheimer gründete eine Stiftung für Trauernde.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Beide besuchten den Kindergarten von St. Margareta in Gerresheim. Auch dort waren alle geschockt. Die Leiterin Elke Bonn leistete spontan Trauerarbeit – und das nicht nur für die zwei Kinder, sondern auch für alle anderen Kinder. „Trauerarbeit, die so wichtig ist“, wie Annika Sondenheimer heute weiß.

In der Folge ließ sich nicht nur Elke Bonn zur Trauerbegleiterin ausbilden. Annika Sondenheimer tat es ihr gleich. Nach dem Absturz habe sie zunächst wie mechanisch weitergearbeitet, wie die 41-Jährige rückblickend sagt. Doch nach zwölf Monaten ging es nicht mehr: Sie musste eine Auszeit nehmen, und zwar eineinhalb Jahre lang. Die war wichtig, für sie und die Kinder. Die Frage, wie sie diese Zeit am besten nutzen sollte, beantwortete Annika Sondenheimer mit der Ausbildung zur Trauerbegleiterin.

2017 ging sie noch einen Schritt weiter. Für die umfassende Hilfe, die sie in der schweren Zeit nach dem Absturz erhielt, habe sie etwas zurückgeben wollen, betont die 41-Jährige, und gründete den Patrick Sondenheimer Stiftungsfonds.

Dessen Hauptaufgabe ist es, trauernden Kindern und Jugendlichen – und damit auch deren Familien, die ins Wanken geraten – professionelle Unterstützung zukommen zu lassen. „In schwerwiegenden Lebenskrisen brauchen gerade trauernde junge Menschen qualifizierte Beratung. Wir möchten, dass sie ein Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und Beständigkeit zurückgewinnen“, sagt Annika Sondenheimer. „Und sie sollen zu einem Leben zurückfinden, in dem wieder Raum für Normalität, Zuversicht und Unbeschwertheit ist“, ergänzt sie. Deshalb wolle der Stiftungsfonds vor allem auch solche Kinder und Jugendliche unterstützen, deren Eltern sich dies finanziell nicht leisten können.

Ihre Hauptaufgabe im Stiftungsfonds sieht sie weniger in einer aktiven Funktion als Trauerbegleiterin. Vielmehr will sie ihren Bekanntheitsgrad im Namen ihres Mannes nutzen, um Mittel für die Institution einzuwerben. „Das ist eine Win-Win-Situation“, betont sie. Der Patrick Sondenheimer Stiftungsfonds befindet sich organisatorisch unter dem Dach der Gerresheimer Bürgerstiftung Gerricus.

Überhaupt spielen Gerresheim und seine Bewohner eine wichtige Rolle im Leben der Witwe. Dort ist ihr Mann groß geworden, dort lebt seine Familie. Auf dem Gerresheimer Friedhof sind auch die sterblichen Überreste ihres Mannes begraben. Die Beerdigung war erst Monate nach der Katastrophe möglich. Zu der Gedenkstätte in Frankreich hat sie nach eigenen Worten keine enge Beziehung.

Annika Sondenheimer arbeitet wieder als Juristin in der Landesverwaltung. Ihre Kinder verstünden immer mehr, was passiert ist, könnten aber den Verlust noch nicht wirklich realisieren. Das dauere, weiß sie nicht zuletzt dank ihrer Ausbildung zur Trauerbegleiterin. „Aber wir haben inzwischen einen stabilen Alltag, und Verlustängste gehören ebenso dazu wie die Erinnerungen.“ Beiden Kindern habe eine Delfin-Therapie in Spanien gut getan.

Ähnliches könne die Stiftung mithilfe von Spenden unterstützen, sagt die Gründerin, „oder eine tiergestützte Therapie mit Alpakas“. Therapien seien enorm wichtig, um die belastenden Erlebnisse der Kindheit aufzuarbeiten.

Für die Zeit um den fünften Todestag von Patrick Sondenheimer im März nächsten Jahres plant Annika Sondenheimer ein Benefizkonzert zugunsten des Stiftungsfonds. Noch sucht sie nach einem geeigneten Veranstaltungsort und Chören oder Solisten: „Für jede Unterstützung bin ich dankbar.“

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