Hintergrund zu Statistiken Warum es keine absoluten Zahlen zu den Corona-Tests gibt

Bonn · Ob und wann das Wachstum der Coronavirus-Kurve auf Grund der getroffenen Maßnahmen abflacht, ist nicht leicht zu beantworten. Manche Faktoren schlagen sich erst deutlich später in den Zahlen nieder, manche Daten können gar nicht verlässlich erhoben werden.

 Symbolfoto.

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Foto: dpa/Daniel Bockwoldt

In der Corona-Krise sind Daten wichtiger denn je geworden. Das über allem stehende Motto „flatten the curve“ bezieht sich eben auf genau diese statistische Erhebung, die die Zahl der bestätigten Infektionen beschreibt: Die momentan exponentiell ansteigende Kurve der Infektionen mit dem Coronavirus muss flacher werden, um sicherzustellen, dass die medizinischen Kapazitäten ausreichen, um Erkrankte zu behandeln.

Um die Zahlen richtig einordnen zu können, wird momentan der Ruf nach der Veröffentlichung einer Gesamtzahl von Tests laut: Wie viele werden tatsächlich getestet, und bei wie vielen davon fällt der Test auch positiv aus? Diese Zahl kann schlichtweg nicht verlässlich erhoben werden, lautet die knappe Antwort auf die Frage.

Eine etwas längere liefert zum Beispiel das Science Media Center Germany mit Sitz in Köln, das täglich einen Überblick über den Verlauf der Pandemie verschafft. Dort heißt es, dass die Zahl der nicht diagnostizierten Fälle unbekannt und daher nicht enthalten sei. „Das gilt auch für den Anteil der positiv getesteten an der Gesamtzahl der getesteten Personen, wegen der unterschiedlichen Kriterien für die Durchführung von Tests.“ Die Zahl der Todesfälle könne ebenfalls aufgrund landestypischer Besonderheiten variieren, etwa wegen der jeweiligen Altersstruktur. Beim Vergleich unterschiedlicher Länder oder Regionen sei daher große Vorsicht geboten.

„Zahlen sind scheinbar objektiv und man glaubt ihnen eher“, erläutert André Scherag vom Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Datenwissenschaften der Universität Jena, gegenüber der Deutschen Presseagentur. „Sie suggerieren eine Sicherheit. Das ist ja das, was man im Moment gerne hätte.“

Doch die derzeit verfügbaren Zahlen haben so ihre Tücken. Das föderale System der Bundesrepublik bringt es mit sich, dass in den Bundesländern unterschiedliche Behörden die Daten erfassen, bündeln und zu unterschiedlichen Zeiten veröffentlichen. So sind die ersten in der Regel die örtlichen Gesundheitsämter. Sie übermitteln ihre Daten an die Landesgesundheitsämter. Je nachdem, wer hier wann mit den Zahlen an die Öffentlichkeit geht, können die Daten von außen betrachtet schon dann nicht mehr übereinstimmen.

Warum scheint das RKI hinterherzuhinken?

Das RKI sammelt die Zahlen aus den Ländern - und hinkt somit schon automatisch mit der Veröffentlichung hinterher. Das wurde etwa am Wochenende deutlich, als manche schon einen abflachenden Verlauf der Neuinfektionen bejubelten. Das RKI verwies aber auf den Zeitverzug: „Am aktuellen Wochenende (21. März) wurden nicht aus allen Ämtern Daten übermittelt, so dass der hier berichtete Anstieg der Fallzahlen nicht dem tatsächlichen Anstieg der Fallzahlen entspricht. Die Daten werden am Montag nachübermittelt und ab Dienstag auch in dieser Statistik verfügbar sein.“ Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wiederum bekommt die Angaben von den nationalen Behörden - also noch später.

Nun gibt es verschiedene Stellen, die selbst Daten überregional erheben. Die dpa beispielsweise versucht, schneller als das RKI eine deutschlandweite Übersicht zu bekommen. Dafür summiert sie die Angaben von den Landesbehörden. Weil diese zu unterschiedlichen Zeiten ihre Datensätze aktualisieren, berichtet die dpa mehrmals täglich über den dann aktuellen Stand.

Die Johns Hopkins University wiederum gibt als Quelle ihrer deutschen Zahlen die niederländische Nachrichtenagentur BNO News in Tilburg an, die sich auf Zahlen der „Berliner Morgenpost“ bezieht. Marie-Louise Timcke, die das Interaktiv-Team der Funke Mediengruppe leitet, zu der die „Morgenpost“ gehört, hat zwar keinen direkten Kontakt zur Uni - aber durchaus schon bemerkt: „Immer wenn wir manuell neue Zahlen eintragen, haben die irgendwann die gleichen.“ Auch die „Morgenpost“ nutzt laut Timcke die Zahlen der Landesgesundheitsämter.

Warum warnt ein Forscher vor Ländervergleichen?

Forscher Scherag warnt aber vor Ländervergleichen: Während in Deutschland inzwischen eher breit auf Sars-CoV-2 getestet werde, werde in Italien aufgrund des akuten Drucks nur sehr selektiv getestet, oder es mangele an Testdurchführungen wie in den USA. Für das eigene Land unter konstanten Bedingungen lasse sich die Entwicklung aber dennoch relativ gut ablesen. „In der Regel kann man Trends innerhalb einer Region gut erkennen.“ Hinzu komme allerdings eine hohe Dunkelziffer von Infizierten, die auf Basis einer aktuellen chinesischen Studie auf das Zehnfache der vorliegenden Zahlen geschätzt werden müsse.

Kann man also all die Zahlen nicht für bare Münze nehmen?

„Das ist keine Atomphysik, die wir hier haben“, sagt Scherag. Keine Quelle liefere hundertprozentig genaue Daten. Aber die deutschen Behörden und die Johns Hopkins University haben hochkonsistente Daten. „Das hilft uns zu erkennen, ob die Dynamik sich ändert, und Maßnahmen zu planen“, so der Professor. „Und man kann der Bevölkerung aufzeigen, welchen Effekt die aktuellen Maßnahmen haben. Wir alle hoffen, die jetzige Entwicklung ähnlich wie in Südkorea auszubremsen.“

(mit Material von dpa)
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