Erderwärmung trifft Russland Wärmster Winter in der Geschichte der Wettermessungen

Moskau · In Russland hat man den Klimawandel jahrelang belächelt. Jetzt ist ein Großteil des russischen Winters einer anomalen Erwärmung zum Opfer gefallen. Aber wirklich Konsequenzen ziehen nur wenige Russen, berichtet unser Korrespondent aus Moskau.

 Farbig beleuchtete Ballons liegen im Sarjadje-Park vor dem Kreml. Moskau wurde diesen Winter durch ungewöhnlich warme Temperaturen von etwa 6 Grad Celsius überrascht.

Farbig beleuchtete Ballons liegen im Sarjadje-Park vor dem Kreml. Moskau wurde diesen Winter durch ungewöhnlich warme Temperaturen von etwa 6 Grad Celsius überrascht.

Foto: dpa/Alexander Zemlianichenko

Der Schnee ist grobkörnig, schwer und nass, bleibt auf der Oberseite der Skier liegen. „Richtig Spaß macht das nicht mehr“, ruft ein kleiner Mann, der auf schwarzgelben Skatingski vorbeisegelt. Die Sonne strahlt, zweihundert Meter weiter, an der Krasnogorsker Chaussee, hängt ein Hauch von Kanalisationsgeruch im Mischwald. Das Thermometer zeigt 7,5 Grad plus, mehr als zehn Grad über der Normaltemperatur Ende Februar. Die Schneekruste der 6-Kilometer-Strecke im Lasutina-Sportpark in der Moskauer Vorstadt Odinzowo ist an vielen Stellen weggetaut.

Aber es wird weiter Ski gelaufen, Pistenraupen haben Altschnee zu einem schmutzig weißen Ein-Kilometer-Rundkurs aufgehäuft. Für die Skilangläufer ist es ein Katastrophenwinter. Und für alle ein schwarzer Winter. Normalerweise sind die Wälder im Großraum Moskau von Mitte Dezember bis Anfang April weiß. Aber diesmal gab es vielleicht 13 schneesichere Tage. Die globale Erwärmung wird in Russland seit Jahren abgestritten oder schöngeredet. 2020 aber hat sie einen Großteil des berühmten russischen Winters zerfließen lassen wie ein Stück Eis in einem Glas lauwarmen Wodkas.

Der Dezember war mit durchschnittlich plus 1,3 Grad der wärmste in der Geschichte der russischen Wettermessungen, ebenso der Januar mit mittleren 0,1 Grad, das waren 9,4 Grad über der Norm. Auch jenseits des Urals fieberte der Frost. In Westsibirien war die Luft oft gar 20 Grad wärmer als die Normaltemperatur.

Alexei Kokorin, Klimaexperte des russischen WWF sagt, nicht jeder Winter in Russland werde so warm sein. „Aber es wird das immer öfter geben, die Erde erwärmt sich global“. Natürlich beeinflusse auch die Natur das Klima, in den letzten Jahrzehnten vor allem durch Veränderungen der Weltmeere, durch Sonnen- und der Vulkanaktivität. Aber dazu kämen die Brennstoffemissionen des Menschen. „Sie schaukeln das Klima auf. Deshalb häufen sich die Anomalitäten.“

Sogar Wladimir Putin erklärt jetzt, der Klimawandel äußere sich in Naturkatastrophen wie Waldbränden oder Hochwasser. Auch die Talkshows der staatlichen TV-Sender thematisieren das Thema inzwischen. „Die Rhetorik hat sich verändert“, sagt Michail Julkin, Chef des Zentrums für Ökologische Investitionen. „Früher hieß es, das Klima wandle sich nicht, es werde sogar kälter, jetzt darf man darüber streiten, ob der Klimawandel ein Segen oder ein Übel für Russland ist.“ Aber nach wie vor werde nicht diskutiert, ob man etwas dagegen unternehmen könne.

Vier Grad plus, der Wind auf dem Moskauer Puschkin-Platz ist kalt. Arschak Makitschjan aber steht ohne Handschuhe vor dem Denkmal des Nationaldichters und hält ein handbemaltes Pappschild vor der Brust: „Make den Himmel Clean Again.“ „Heute wollen wir auch gegen den schwarzen Himmel über Krasnojarsk demonstrieren“, sagt Arschak. In der mittelsibirischen Millionenstadt ist gerade wieder das Regime „Schwarzer Himmel“ ausgerufen worden: Smog. Die Einwohner sollen sich so wenig wie möglich im Freien bewegen und die Fenster geschlossen halten.

„Der Schwarze Himmel gehört auch zum Klimaproblem“, erklärt er, „weil Krasnojarsk vor allem mit Kohle beheizt wird“. Seit vergangenem März steht Arschak, 25, mit Pappschildern im Moskauer Stadtzentrum, jeden Freitag. Monatelang war er der einzige Aktivist der globalen Klima-Jugendbewegung „Fridays for Future“ in Russland. Einer, der vor Jahren bemerkte, dass auch in Moskau die Luft schlechter wurde. Er hörte auf, Plastiktüten zu kaufen und wurde Veganer.

Arschak ist Berufsgeiger, hat das weltberühmte Moskauer Konservatorium absolviert, aber er lebt nur noch für das Klima. Er wolle keiner der Musiker sein, die beim Untergang der Titanic spielen. Wegen einer nicht genehmigten Gruppenmahnwache landete Arschak vergangenen Dezember für sechs Tage hinter Gittern.

Heute nehmen 20 Leute teil, auch in sechs, sieben anderen russischen Städten stehen Freitagsaktivisten mit ihren handgemalten Schildern. Keine Massenbewegung, Arschak weiß das. „Insgesamt sind wir jetzt etwa 500 Leute in 30 Städten.“

Dabei glauben nach einer Umfrage des Lewada-Meinungsforschungszentrums vom Januar inzwischen 67 Prozent der Russen, die Klimaerwärmung sei menschengemacht. Aber kaum jemand ginge deshalb auf die Straße. Auch die Opposition nimmt die Friday for Future-Bewegung nicht ernst. Weder der Nationalliberale Alexei Nawalny noch die unter jungen Leuten angesagte„Libertäre Partei“ würdigen den Klimawandel eigener Programmpunkte. Passanten sind stehen geblieben, beäugen Arschak. „Was hat das Plakat für einen Sinn?“, murrt ein gut angezogener Mann. „Doch wohl nur PR für sich selbst.“

Ein anderer lächelt. „Es gibt genug Luft und Natur für alle“, sein kaukasischer Akzent klingt gemütlich. „Nur gibt es zu viele Menschen in Moskau und zu wenig in Sibirien.“ Aber dann ruft jemand vom Puschkin-Denkmal, wer hier zur Stadtführung wolle. Die Leute eilen zu ihm, Friday for Future ist dieses Publikum wieder los. Einerseits versichert jetzt auch Putin, in Russland steige die Temperatur zweieinhalbmal so schnell wie weltweit und die Permafrostböden im Norden drohten aufzutauen. „Manche Gebiete können verwüstet werden.“ Andererseits verlangt er keine ernsten Konsequenzen: Man werde sich wie bisher bemühen, die Folgen solcher Veränderungen zu minimalisieren. Und Putin mag keine Windstromanlagen: „Die rattern so, dass die Würmer aus der Erde kriechen.

Kein Wunder, über 40 Prozent der Staatseinnahmen bestehen aus Gas- und Ölgewinnen, die vor allem staatliche Großkonzerne wie Gasprom liefern. Die Sonne am Himmel über dem Lasutina-Park brennt grell. Aber noch immer sausen Langläufer durch den Wald. „Ein Kilometer ohne Steigung, da kannst du höchstens an deiner Technik feilen“, fachsimpelt Boris Andrejewitsch. Der Ingenieur hat acht Runden durch den Altschnee gedreht. Das milde Wetter sei scheußlich für Skiläufer, aber für die Großstadt ein Segen.

„Sie streuen weniger Chemikalien auf die Straßen.“ Boris ist sicher, die Menschheit habe nichts mit der Erderwärmung zu tun. „Ein ordentlicher Vulkanausbruch bläst mehr Kohlenwasserstoffe in die Atmosphäre als ganz Europa in einem Jahr“. Die Skifahrer könnten auch nichts tun, damit der Schnee zurückkehrt. „Dafür müssen Sie und ich“, er blickt zum Himmel, „uns an den da oben wenden.“

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