Heinsberg-Studie Bonner Virologe Streeck wehrt sich gegen Vorwürfe der Vermarktung

Düsseldorf/Bonn · Die Heinsberg-Studie des Bonner Virologen Hendrik Streeck hat Ergebnisse zum Corona-Infektionsgeschehen geliefert. Doch geredet wird vor allem über die PR für das „Heinsberg-Protokoll“. Streeck fühlt sich in seinem Ehrgefühl als Wissenschaftler verletzt und wehrt sich.

 Hendrik Streeck, Direktor des Institut für Virologie an der Uniklinik in Bonn, sitzt im Gesundheitsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags.

Hendrik Streeck, Direktor des Institut für Virologie an der Uniklinik in Bonn, sitzt im Gesundheitsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags.

Foto: dpa/Marcel Kusch

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck hat Vorwürfe entschieden zurückgewiesen, er habe seine Studie zum Corona-Infektionsgeschehen im Kreis Heinsberg vermarkten lassen. „Das war keine Vermarktung“, sagte Streeck am Mittwoch im Gesundheitsausschuss des Landtags. „Ich bin persönlich ganz schön davon getroffen, dass man das so darstellt.“

Die Öffentlichkeitsarbeit für die Heinsberg-Studie durch die Berliner Agentur Storymachine in sozialen Medien hatte für Kritik gesorgt. Auch die frühe Veröffentlichung von Zwischenergebnissen der Studie vor einem Monat war von einigen Wissenschaftler-Kollegen Streecks bemängelt worden. Sie kritisierten, dass sie zum Zeitpunkt der Pressekonferenz die Zwischenergebnisse noch nicht schriftlich in einem wissenschaftlichen Artikel vorliegen hatten. Die Heinsberg-Studie war im Auftrag der NRW-Landesregierung entstanden.

Streeck räumte nun auch Fehler ein bei der Öffentlichkeitsarbeit für die Studie. Heute wisse er: „Es ist doof gelaufen.“ Er sei mit seinem Team aber in einer Situation gewesen, in der „unheimlich viele Menschen“ an der Studie und der Ausbreitung des Corona-Virus interessiert gewesen seien.

Auf seinem Email-Account sei vom „Traumdeuter“ bis zum Vorschlag eines „Virenstaubsaugers“ sehr viel los gewesen. Er sei deshalb dankbar für den Vorschlag gewesen, dass ihm jemand „über die Schulter geschaut“ habe und die Informationen zur Studie in die sozialen Medien gestellt habe, so dass er sich darum nicht mehr habe kümmern müssen. Er habe „nichts Verwerfliches“ daran gefunden, für die Öffentlichkeitsarbeit Hilfe in Anspruch zu nehmen, sagte Streeck. „Was mir aber schlaflose Nächte bereitet, ist die Frage, dass da etwas anrüchig ist in der eigenen Arbeit.“

Er habe „in Rekordzeit“ eine Studie aufgesetzt und mit Daten zur Diskussion beitragen wollen, sagte Streeck. Dann sei es plötzlich nur noch um Fragen wie Lockerungen der Corona-Beschränkungen gegangen. „Ich habe nie von Lockerungen geredet“, sagte Streeck. „Das wurde einfach unterstellt.“

Ein Forscher-Team um Streeck hatte in Gangelt an der niederländischen Grenze 919 Einwohner in 405 Haushalten befragt und Corona-Tests vorgenommen. In dem Ort hatten sich nach einer Karnevalssitzung Mitte Februar viele Bürger mit dem neuartigen Virus infiziert. Die Gemeinde gilt daher als Epizentrum des Virus in NRW. Die Situation ist allerdings nur bedingt vergleichbar mit anderen Regionen Deutschlands.

Streeck hatte in der vergangenen Woche als Ergebnis der Studie eine Modellrechnung präsentiert, wonach sich bis dahin etwa 1,8 Millionen Menschen in Deutschland schon mit dem Coronavirus infiziert haben könnten. Den Ergebnissen zufolge zeigten in Gangelt 22 Prozent der Infizierten „gar keine Symptome“. Viele davon wussten bis zum Test nicht, dass sie überhaupt krank waren.

Streeck stellte im Ausschuss weitere Ergebnisse der Studie vor. So sei das Infektionsrisiko in den getesteten Haushalten gesunken, je mehr Personen in dem betreffenden Haushalt lebten. Während das Risiko, sich zu infizieren, in einem Zwei-Personen-Haushalte bei etwa 43 Prozent gelegen habe, sei es bei vier Personen auf etwa 18 Prozent gesunken. Wissenschaftlich könne er das noch nicht erklären, sagte Streeck. Da könne er derzeit auch nur spekulieren.

Interessant sei auch die Beobachtung aus der Heinsberg-Studie gewesen, dass die Teilnehmer der Karnevalssitzung in Gangelt sich nicht nur häufiger mit Sars-Cov-2 infiziert hätten, sondern auch mehr Symptome gezeigt hätten. Zugleich bedauerte Streeck, dass in der Studie Kinder unter sechs Jahren unterrepräsentiert seien. Bei Kindern müsse man das Infektionsgeschehen besser verstehen.

Die Forscher gehen davon aus, dass in Gangelt 0,37 Prozent der Infizierten gestorben sind. Allerdings flossen in die Berechnung der Sterblichkeitsrate nur sieben Todesfälle ein.

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort