Interview mit Professor Dieter Sturma "Vertrauen durch Transparenz herstellen"

Bonn · Der Hirntod einer Spenderin wurde nicht rechtmäßig diagnostiziert - ein erneuter Rückschlag. Der Bonner Professor Dieter Sturma befürwortet neue Regelungen für Transplantation

 Der Bauchdeckel war schon geöffnet, da mussten Ärzte in Bremerhaven die geplante Transplantation abbrechen. Die Hirntod-Diagnose bei der Patientin war nicht rechtmäßig durchgeführt worden - kein Einzelfall.

Der Bauchdeckel war schon geöffnet, da mussten Ärzte in Bremerhaven die geplante Transplantation abbrechen. Die Hirntod-Diagnose bei der Patientin war nicht rechtmäßig durchgeführt worden - kein Einzelfall.

Foto: dpa

Die Unregelmäßigkeiten bei der Feststellung eines Hirntods im Klinikum Bremerhaven berühren menschliche Urängste. Professor Dieter Sturma ist auf das Thema Ethik in den Biowissenschaften spezialisiert. Mit ihm sprach Annette Claus.

Der Wartelisten-Skandal ist noch präsent, da wird bei einer geplanten Transplantation der Hirntod des Spenders nicht korrekt festgestellt und eine Organentnahme im letzten Moment abgebrochen. Wie konnte das passieren?
Dieter Sturma: Die genauen Hintergründe kenne ich nicht. Es scheint aber so, dass diese Hirntodfeststellung an den bestehenden Richtlinien vorbei nicht fachgerecht durchgeführt wurde. Man muss bei jeder Regelung mit handwerklichen Fehlern rechnen. Dass es Falschdiagnosen geben kann, ist unvermeidlich. Man kann natürlich technisch darauf reagieren. Eventuell müssen die Richtlinien insofern verschärft werden, dass die Ärzte bei der Feststellung des Hirntods mehr Erfahrung haben müssen. Eventuell müsste der Kreis der Disziplinen, die dafür in Frage kommen, auf die Neurologie eingeschränkt werden.

Genau das fordert jetzt die Deutsche Stiftung für Patientenschutz: Drei Teams aus speziell qualifizierten Neurologen müssten den Tod prüfen. Man könne dies nicht den Krankenhäusern überlassen, die Organe entnehmen wollen.
Sturma: Das ginge in die Richtung. Wie man das technisch ausstatten muss, kann ich als Nicht-Mediziner nicht beurteilen. Dadurch würden sicherlich höhere Kosten entstehen, die aber aufgrund der existenziellen Bedeutung des Eingriffs gerechtfertigt wären. Es muss Vertrauen durch Transparenz hergestellt werden.

Aktuell müssen laut Bundesärztekammer verschiedene Ärzte, die selbst nicht in den Transplantationsprozess eingebunden sind, den Hirntod feststellen.
Sturma: Dass diese Ärzte nicht in den Transplantationsprozess eingebunden sind, ist der ethisch entscheidende Punkt.

Nach dem neuen Transplantationsgesetz muss ein Transplantationsbeauftragter an der Klinik den Prozess begleiten. Der würde etwa eine Fehldiagnose am OP-Tisch aber nicht verhindern.
Sturma: Stimmt. Insgesamt muss man sagen: Diese Skandale sind im höchsten Maße unerfreulich, und zwar unabhängig von dem Einzelfall, weil sie die Institution der Organspende als solche in einem negativen Licht erscheinen lassen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die Organspende ein ethisch willkommener und sehr gut begründeter Akt ist, der natürlich nicht prinzipiell eingefordert werden kann. Die einzelne Person wählt ihn für sich oder statthalterisch tun dies die Angehörigen, wenn sie meinen, dass das im Sinne des Verstorbenen ist. Über die Ausgestaltung muss man sich natürlich unterhalten. Das ist nicht nur ein medizinisch-technisches Problem, sondern dazu gehört das soziale Umfeld, auch die Art und Weise, wie mit den Angehörigen kommuniziert wird.

Am besten sensibel.
Sturma: Das ist aufgrund der Schwere des Vorgangs unbedingt geboten. Im Einzelfall, wie hier in Bonn am Venusberg, ist das beispielsweise der Fall, aber ich höre auch anderes.

Glauben Sie, dass die ohnehin niedrigen Organspenden nun weiter absinken?
Sturma: Ja, das kann passieren. Wir sollten aber nicht vergessen: Die Wahrscheinlichkeit solcher Fälle, wie sie jetzt beschrieben werden, ist extrem gering.

Lebendig begraben zu werden, ist jedoch eine Urangst, auf die die Öffentlichkeit stark reagiert.
Sturma: Das kann ich verstehen. Nur: Wir haben keine Gewähr, dass sich stets alles unter optimalen Bedingungen vollzieht. Schicksalsschläge gibt es, auch im Krankenhaus. Und das, was man aus Bremen/Bremerhaven hört, wirft natürlich Fragen auf. Aber wir gehen davon aus, dass das Ausnahmen sind. Und wir sollten bedenken: Bei Organspendern wird nicht vorzeitig eine sozial teilnehmende, kommunizierende Existenz im Sinne bewusster Lebensführung abgebrochen, diese ist mit der Schwerstschädigung des Hirns bereits beendet.

Zur Person

Nach dem Studium der Philosophie, Germanistik und Geschichte promovierte Dieter Sturma zum Dr. phil. an der Universität Hannover. 1998 wurde er zum Ordentlichen Professor an der Universität Essen berufen. Seit 2007 hat der 61-Jährige die Professur für Philosophie unter besonderer Berücksichtigung der Ethik in den Biowissenschaften an der Universität Bonn inne. Gleichzeitig ist er Direktor des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE) und des Instituts für Wissenschaft und Ethik (IWE) in Bonn. Seit 2009 ist er außerdem Direktor des Instituts für Ethik in den Neurowissenschaften (INM-8) am Forschungszentrum in Jülich.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort