MH 370 Verschollen im Himalaya des Meeres

BANGKOK · Pralhad Shirsath fasst seine Seelenlage in fünf schlichten Worten zusammen. "Man fühlt sich so hilflos", sagt er und schwenkt eine Sammlung loser Blätter mit belanglosen Sätzen. "Wir erhalten immer nur die gleichen Antworten von Malaysias Regierung und Malaysian Airlines."

 Loch im Puzzle: Graffiti zur MH 370 in Kuala Lumpur.

Loch im Puzzle: Graffiti zur MH 370 in Kuala Lumpur.

Foto: dpa

Seine Frau Kranti befand sich an Bord der Boeing 777, die am 8. März 2014 von Kuala Lumpur Richtung Beijing startete. "Mach dir keine Sorgen um mich", sagte sie am Telefon, während sie das Flugzeug bestieg. Zwölf Monate später fehlt immer noch jede Spur von ihr und den insgesamt 239 Menschen an Bord.

Statt einer Erklärung über die Ursache des mysteriösen Verschwindens gab es Ende Januar nur eine schroffe Mitteilung der Fluglinie, die per Email verbreitet wurde: "Malaysia Airlines erklärt den Flug MH 370 offiziell als Unfall. Alle Passagiere und Besatzungsmitglieder dürften umgekommen sein."

Offizielle Stellen in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur rechtfertigten die brüske Entscheidung mit Rücksicht auf die Angehörigen der Vermissten. Nun könne mit dem Entschädigungsprozess begonnen werden. Für Verwandte und Freunde, die auf Antworten hoffen, war es einer jener unverständlichen Schritte, mit denen Malaysias Behörden seit dem Verschwinden für weltweite Verwirrung und immenses Misstrauen gesorgt haben.

"Ich habe zwei Söhne", beschreibt in Indien der Witwer Pralhad Shirsath den mühsamen Weg in eine scheinbare Normalität, "sie müssen jeden Tag zur Schule. Ich muss ihr Mittagessen vorbereiten. Ich muss sie vom Bus abholen." Die mühsamen Kleinigkeiten des Alltags, um die sich früher häufig seine Ehefrau kümmerte, ruhen nun allein auf seinen Schultern.

Doch nicht alle Angehörigen der vermissten Passagiere von MH 370 ist es vergönnt, im kleinen Kreis der Familie wieder ein Stück Normalität aufzubauen. Möchtegern-Hellseher melden sich unaufgefordert, weil sie angeblich neue - und narrensichere - Informationen entdeckt haben wollen.

[kein Linktext vorhanden]Pseudo-Experten tischen ständig neue Theorien auf. Besonders schlimm sind die Emails mit gefälschten Fotomontagen, die Passagiere von MH 370 angeblich beim Strandbad oder beim Einkaufsbummel zeigen. Die Verfasser verlangen Geld, bevor sie Informationen über vermeintlich konkrete Spuren preisgeben würden.

Zweifelhafte Figuren versuchen sich mit Lockvogelangeboten, um verzweifelt nach Antworten suchenden Angehörigen auch noch Geld aus der Tasche zu ziehen. Eine Gruppe von ihnen hatte 100 000 US-Dollar gesammelt und einen Privatdetektiv beauftragt.

Das Geld wurde mittlerweile ausgegeben. Antworten konnte der Mann ebenso wenig finden wie die Suchmannschaften, die seit Oktober mit hypermoderner Technik rund 60 000 Quadratkilometer im Indischen Ozean absuchen. Gut 40 Prozent des bislang unerforschten Gebiets, das etwa der Größe Bayerns entspricht, wurden bislang überprüft.

Vor allem macht die Geographie zu schaffen. Denn der Meeresboden in bis zu zehn Kilometer Tiefe gleicht einem unter Wasser liegenden Himalaya. Tiefe Schluchten mit steilen Wänden erschweren die systematische Suche ohne direkten Blickkontakt. Die Mannschaften der Bergungsschiffe, die das Gebiet Zentimeter um Zentimeter nach Trümmerteilen der Boeing durchforsten, müssen sich auf Sonar und elektronische Signale verlassen, die über kilometerlange Kabel übertragen werden.

Martin Dolan, der Chef der australischen Luftsicherheitsbehörde ATSB, gibt sich weiter zuversichtlich. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir die Flugzeugreste in unserem Suchgebiet finden werden. Es ist eben ein sehr großes Gebiet. Die Suche erfordert viel Zeit."Die aber läuft den Suchmannschaften gerade davon. Sie haben noch bis Mai, um die verbleibenden 40 000 Quadratkilometer abzusuchen. Sollte dann keine Spur des Wracks entdeckt werden, gelten alle Versprechen der vergangenen zwölf Monate nicht mehr.

Knapp 50 Millionen US-Dollar hatten die beteiligten Länder für die Suche bereitgestellt. "Ich hoffe, wir werden bis Mai etwas entdecken", erklärte Australiens Premierminister Tony Abbott am Donnerstag, "sollte nichts gefunden werden, kann ich nicht versprechen, dass die Suche so intensiv weitergeführt wird."

Tatsächlich blühen hohe Kosten. Denn jenseits des prioritären Suchgebiets müssten insgesamt weitere 1,1 Millionen Quadratkilometer des weitgehend unbekannten Meeresbodens durchkämmt werden. Die Kosten, so scheint es, wiegen am Ende mehr als die Probleme der Familien, die immer noch von Ungewissheit geplagt werden.

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