"Hast du das Zeug zum Cop? Stirbt das Sie aus? - In Berlin wird gerne geduzt

Berlin · Duzen oder Siezen? In Deutschland stellt sich für viele immer noch diese Frage. In Berlin aber geht es oft ein bisschen lockerer zu. Hier duzt einen sogar der Regierende Bürgermeister. Naja, fast.

 "Weil wir dich lieben": Werbespruch der Berliner Verkehrsbetriebe.

"Weil wir dich lieben": Werbespruch der Berliner Verkehrsbetriebe.

Foto: Jörg Carstensen

Im Englischen gibt es kein Problem: "you" ist "you". Gedanken darüber, ob man jemanden siezen oder duzen möchte, muss sich keiner machen. Im Deutschen aber bleibt die Frage: Du oder Sie? In Berlin scheint die Antwort klar.

Die Verkehrsgesellschaft (BVG) duzt ihre Kunden ("Weil wir dich lieben"), die Polizei wirbt im Kumpelton für Nachwuchs ("Da für dich") und der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) lädt zum Fest der Deutschen Einheit mit dem Slogan: "Nur mit Euch".

In vielen Cafés in hippen Stadtteilen wie Neukölln oder Mitte ist die Sprache sowieso oft Englisch. "Könnten Sie mir noch einen Kaffee bringen"? klänge seltsam dort. Vor allem wenn man schon im U-Bahn-Schacht geduzt wird.

"Wenn ihr eure Fahrkarten nicht stempelt, habt ihr schnell 100 problems." Für flapsige Sprüche ist die BVG bekannt. Und laut Pressesprecherin Petra Reetz ist das gewollt: "Die Kampagne funktioniert, weil wir uns selbst nicht so ernst nehmen - und dafür mussten wir weg vom Sie."

Dabei sei durchaus diskutiert worden, ob man die Kunden wirklich duzen wolle. Aber es gehe nicht anders. "Die Selbstironie würde nicht gut zum Sie passen", sagt Reetz. Davon abgesehen habe man es mit einer neuen Generation zu tun, in der das Du selbstverständlicher werde, sagt die BVG-Sprecherin.

"Das Duzen ist normaler geworden und ein bisschen harmloser. Im Zuge der Internationalisierung verliert das Sie an Gewicht", sagt auch der Wirtschaftspsychologe Prof. Joost van Treeck von der Hochschule Fresenius in Hamburg. Vom Aussterben bedroht sei es aber nicht. "Insgesamt sind wir in Deutschland noch sehr formal und werden noch lange beim Sie bleiben."

In Berlin sieht es trotzdem oft anders aus. Im stadtweiten Blog "MitVergnügen" kommt kaum ein Artikel ohne das Du aus. "Ihr werdet nicht glauben, was ihr alles über euch erfahrt, wenn ihr euch selbst googelt" kann man dort lesen - bei einer Zielgruppe von jungen Hipstern ist das natürlich nicht überraschend.

Dagegen fällt die Polizei auf, die ja doch eher für Autorität als Lässigkeit steht. "Hast du das Zeug zum Cop?", fragen die Berliner Beamten, wenn sie um Nachwuchs werben. Und erklären auf ihrer Facebook-Seite: "Da für dich, wenn die Kreuzberger Nächte zu lang werden."

Für den Werbeexperten van Treeck sind die Kampagnen auffällig. "Das ist durchaus etwas Berlinspezifisches, es ist dieses typisch Rotzige. Da kann man auf der Straße vielleicht eher mal einen Polizisten duzen als in München. Auch in Hamburg hätte ich Bedenken, das käme wohl auf den Stadtteil an."

Auch BVG-Sprecherin Reetz glaubt nicht, dass man "Weil wir Dich lieben" in München machen könnte. "Das ist schon eine Berliner Sache." Die Stadt habe den Ruf, ruppig und direkt zu sein.

Normalerweise arbeite Werbung mit eher formalistischen Formulierungen, um ein klares Du oder Sie zu vermeiden, sagt Professor van Treeck. Hier sei genau überlegt worden, in welchem Verhältnis man zu dem Kunden stehe - und man habe sich für eine Beziehung wie zu einem Freund entschieden. "Das ist sehr clever, denn dem Freund verzeih' ich auch mal, wenn er nicht so sauber arbeitet." Im Fall der Verkehrsbetriebe: Wenn der Bus mal wieder nicht kommt.

Die Feier zur Deutschen Einheit, die dieses Jahr Berlin ausrichtet, wirbt mit der lockeren Einladung "Nur mit Euch". "Nur mit Ihnen" klänge wohl auch etwas steif. Andererseits spricht Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hier die Besucher an, und umgekehrt würde man Müller - der die Menschen auf seiner Facebook-Seite übrigens siezt - wohl nicht duzen. Projektleiter Julian Mieth sagte dazu der "taz", Absender der Kampagne sei nicht Müller, sondern Deutschland. "Und die Bundesrepublik kann ihre Bürgerinnen und Bürger schon einmal mit zwinkerendem Auge duzen."

Sicher kann sie das. Zumal das Duzen eben nicht nur ein Berliner Phänomen ist. "Wohnst du noch oder lebst du schon?" fragt immerhin schon seit Jahren der schwedische Möbelhersteller Ikea.

Der Konzern verwirrte mit seiner hartnäckigen Duz-Strategie einst die Großmutter von Werbeexperte van Treeck, wie er erzählt. Beim gemeinsamen Besuch des Möbelhauses hätte der Lautsprecher immer wieder verkündet "Jetzt neu für dich!" Irgendwann habe seine Oma bemerkt: "Die kennen hier aber viele!"

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