"12 Years A Slave" Steve McQueen über seinen gerade angelaufenen Film

BONN · Der britische Filmemacher Steve McQueen gehört mit seinem Werk "12 Years A Slave" zu den Favoriten für die Oscars 2014. Mit McQueen sprach Martin Schwickert.

Warum haben Sie sich als britischer Filmemacher dazu entschieden, einen Film über die Sklaverei in den USA zu drehen?
Steve McQueen: Aus meiner Sicht gab es bisher keinen Film, der das Thema Sklaverei adäquat aufgearbeitet und die wirkliche Geschichte erzählt hat. Ich hatte zunächst einen groben Entwurf der Story, die von einem Afroamerikaner handeln sollte, der als freier Mann gelebt hat und dann in den Süden als Sklave verschleppt wird. Aber ich kam mit dem Drehbuchentwurf nicht voran, bis ich auf Solomon Northups Buch "12 Years A Slave" gestoßen bin, das genau die Geschichte erzählte, die ich im Kopf hatte. Das Buch war für mich eine Offenbarung und ich konnte es nicht fassen, dass ich es nicht kannte und keiner meiner Freunde je davon gehört hatte. Für mich ist das Buch "Die Geschichte der Anne Frank" für Amerika, denn beides sind Zeugnisse von Individuen, die in einem Terrorregime zu überleben versuchen.

Wie kommt es, dass Northups Buch fast 150 Jahre unentdeckt blieb?
McQueen: Kurz nach "12 Years A Slave" kam "Onkel Toms Hütte" heraus, der zum wichtigsten Roman dieser Ära wurde. Trotzdem ist es mir ein Rätsel, dass Northups Buch solange nur in Akademikerkreisen bekannt war. Ich bin sehr stolz darauf, dass das Buch durch den Film nun schon seit ein paar Wochen unter den ersten zehn Titeln auf der Bestseller-Liste der "New York Times" steht.

Ihr Film formuliert auch die Brutalität des Systems der Sklaverei deutlich aus. Wie war ihre Herangehensweise an die Gewaltszenen?
McQueen: Wenn man sich dazu entschieden hat, einen Film über Sklaverei zu drehen, gehört es dazu, dass man genau zeigt, was dort vor 150 Jahren passiert ist. Dabei geht es nicht nur um die körperliche Brutalität, sondern auch um die mentale Gewalt. Ich bin auch nicht der Meinung, dass man als Zuschauer diese schmerzhaften Szenen nicht aushalten kann. Da sind manche Werke Shakespeares sehr viel gewalttätiger, aber dort akzeptieren wir das als Teil des Dramas. Mir ging es darum, die historische Realität möglichst genau und professionell zu porträtieren.

Die Gewaltszenen stehen in deutlichem Kontrast zur Schönheit der Umgebung...
McQueen: Der amerikanische Süden ist eine wunderschöne, verwunschene Landschaft. Das spanische Moos hängt von den Bäumen. Der Wind weht durch die Wälder. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden, die Gewaltszenen in einem düsteren Licht zu zeigen, weil man das im wirklichen Leben ja auch nicht beeinflussen kann. Wir wollen immer gern unsere Moral über die Bilder stülpen, um solche Szenen besser aushalten zu können. Aber so ist die Welt nicht. Die Perversion des Lebens besteht ja oft gerade darin, dass an den schönsten Orten die schrecklichsten Dinge geschehen.

Was halten Sie von Quentin Tarantinos "Django Unchained", der dasselbe Thema auf eine vollkommen andere Weise filmisch aufgearbeitet hat?
McQueen: Das sind zwei verschiedene Möglichkeiten, einen Film über eine bestimmte historische Zeit zu machen. "Django Unchained" ist eher eine Abenteuerkomödie und unser Film ein historisches Drama. Aber das schließt sich gegenseitig nicht aus. Im Gegenteil: Die Filme helfen sich in ihrer unterschiedlichen Herangehensweise gegenseitig. Je mehr Filme über dieses Thema gedreht werden, desto besser.

Zudem haben noch "The Butler" und "Lincoln" im letzten Kinojahr das Thema gestreift. Wie kommt es, dass dieses dunkle Kapitel der Geschichte, das das amerikanische Kino lange Zeit höflich umschifft hat, nun gehäuft aufgegriffen wird?
McQueen: Ich glaube, man darf nicht unterschätzen, welchen Einfluss die Wahl Obamas auf die Menschen hat, die dadurch das Gefühl haben, nun ihre Geschichte erzählen zu können. Filme wie "Der Butler" sind Projekte, die möglicherweise schon lange angedacht waren, aber nun das politische Klima finden, in dem sie auch gedreht werden können. Diese Filme setzen eine Debatte in Gang. Die Menschen sprechen über das Thema mehr denn je und das ist sicherlich sehr gesund für die Gesellschaft.

"12 Years A Slave" ist in den USA sehr positiv aufgenommen worden. Hat Sie der Erfolg überrascht? Haben Sie kontroversere Diskussionen erwartet?
McQueen: Es ist natürlich schön, so ein positives Feedback auf einen Film zu bekommen, in den man so viel Arbeit gesteckt hat. Das kann ich aus vollem Herzen annehmen. Und wir haben durchaus auch kontroverse Reaktionen ausgelöst. Vollkommen überrascht hat mich allerdings der kommerzielle Erfolg. Dass der Film nicht nur in den Arthouse-Kinos, sondern auch in den Multiplexen gut läuft - damit hätte ich nicht gerechnet.

Glauben Sie, "12 Years A Slave" hat die Kraft, eine neue Diskussion über dieses Kapitel der Geschichte anzustoßen?
McQueen: Die Diskussion über die Sklaverei als Teil der amerikanischen Geschichte wird nun öffentlich geführt. Aber ob die Diskussion wirklich zu einer neuen gesellschaftlichen Sicht auf das Thema führt, kann man im Moment noch nicht abschätzen.

Worin liegt für Sie die Aktualität des Themas? Wäre es aktuell nicht sinnvoller, einen Film darüber zu drehen, dass fast ein Drittel der afroamerikanischen Jugend im Gefängnis ist?
McQueen: Manchmal ist es wichtiger, die Wurzel der Dinge zu zeigen, die in der Vergangenheit liegen. Wenn wir über Kriminalität und die Situation afroamerikanischer Jugendlicher oder allein erziehende Mütter nachdenken, dann verweist ein Film wie "12 Years A Slave" auf die Wurzel all dieser Übel. Diese Geschichte spielt in 1853, aber man kann eine direkte Linie zu vielen Problemen in unserer Gegenwart ziehen. Und hoffentlich führt diese historische Debatte dann auch zu einer anderen Sicht auf aktuelle Probleme. Die Aufarbeitung der Sklaverei hat nach 150 Jahren in den USA nicht einmal angefangen.

Zur Person

Steve McQueen, geboren am 9. Oktober 1969 in London, gehört zu den wichtigsten Filmemachern der Gegenwart. 2008 stellte er beim Festival in Cannes seinen ersten Spielfilm vor. "Hunger" beschreibt die letzten sechs Lebenswochen des IRA-Mitglieds Bobby Sands (gespielt von Michael Fassbender), der 1981 starb. In McQueens "Shame" (2011) verkörpert Michael Fassbender einen von Sexsucht getriebenen Mann in New York.

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