Unfälle durch Ablenkung So gefährlich sind Handys am Steuer

Bonn/Düsseldorf · Ein kurzer Moment kann tödlich sein. Trotzdem nutzen viele Autofahrer ihr Smartphone während der Fahrt. Geschätzte 60.000 Unfälle pro Jahr sind in NRW auf Ablenkung zurückzuführen.

Wer während der Fahrt ohne Freisprechanlage telefoniert, Nachrichten auf dem Smartphone liest oder tippt, bringt sich und andere in Lebensfahr. Trotzdem nutzen immer mehr Menschen ihr Handy beim Autofahren. Auch bei dem tragischen Unfall am Dienstagabend auf der A61, bei dem ein 26-jähriger Autofahrer ungebremst in ein Stauende fuhr und tödlich verunglückte, ermittelt die Polizei nach Hinweisen in diese Richtung. Ergebnisse gibt es noch nicht, sagte Polizeisprecher Christoph Gilles am Freitag.

Die Polizei NRW hat im vergangenen Jahr 640.027 Verkehrsunfälle aufgenommen, 524 Menschen wurden getötet. Mit rund 13.600 Schwerverletzten gab es 2,9 Prozent mehr als 2015. In der Unfallstatistik ist eine Unfallursache Ablenkung - durch Handys, aber auch das Bedienen des Navis oder Radios und Essen - nicht separat aufgeführt.

Bei schweren Unfällen, bei denen keine andere Ursache erkennbar sei oder es Hinweise von anderen Verkehrsteilnehmern gebe, werde in diese Richtung ermittelt, sagt Wolfgang Beus, Sprecher im Düsseldorfer Innenministerium. Handys werden beschlagnahmt und, auf Antrag der Staatsanwaltschaft, ausgewertet. Angefangene Nachrichten oder Telefonate zur Unfallzeit können dann Aufschluss geben. Belegbare Fallzahlen über die Unfallursache Ablenkung insgesamt gibt es aber nicht.

Laut dem Verkehrssicherheitsprogramm des nordrhein-westfälischen Verkehrsministeriums ist aber Schätzungen zufolge jeder achte bis zehnte Unfall darauf zurückzuführen. Das wären für Nordrhein-Westfalen also mehr als 60.000 Unfälle allein 2016. "Vermutlich ist das Dunkelfeld noch höher", sagt Beus. Die Polizei NRW hat im vergangenen Jahr deshalb die Kampagne "Lenk Dich nicht app" gestartet. Unter anderem mit einem drastischen Video macht sie auf die Gefahr durch Ablenkung am Steuer aufmerksam.

Eine Studie der Technischen Universität Braunschweig aus dem vergangenen Jahr hat ergeben, dass jeder zehnte Autofahrer sein Handy auf der Autobahn benutzt - nicht nur zum Telefonieren, sondern auch um Apps zu bedienen. "Ich sehe es ja selbst jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit, wenn ein Autofahrer abbremst und wieder beschleunigt oder komische Schlangenlinien fährt", sagt Beus.

Auch der ADAC sensibiliert bei seinen Sicherheitstrainings im Fahrsicherheitszentrum in Weilerswist für das Thema. "Die Fahrschüler sind überrascht, dass sie bei wenigen Sekunden Ablenkung nicht mehr rechtzeitig vor einem Hindernis bremsen können", sagt Simone Wans von der Pressestelle des ADAC Nordrhein. Auf dem ADAC-Gelände sind das Wasserfontänen, im realen Straßenverkehr aber das Stauende, ein Fußgänger oder Radfahrer.

Wer bei einer Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde nur eine Sekunde lang unachtsam ist, legt etwa 27 Meter im Blindflug zurück. Das ist lange genug, um in den Gegenverkehr zu geraten oder gegen einen Baum zu fahren, warnt der ADAC. "WhatsApp ist eine tolle Erfindung, aber nicht wert, dass man beim Autofahren sich und andere in Lebensgefahr bringt", sagt Wolfgang Beus.

Wer in Deutschland von der Polizei mit Handy am Steuer erwischt wird, muss 60 Euro zahlen und bekommt einen Punkt in Flensburg. Trotzdem hat die Polizei in NRW allein im Jahr 2016 164.000 Handy-Verstöße im Straßenverkehr geahndet. Eine Steigerung um elf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im ersten Halbjahr 2017 waren es 81.400.

In anderen europäischen Ländern sind die Strafe zum Teil drastisch höher: In Frankreich zahlen Autofahrer ab 135 Euro aufwärts, in Norwegen umgerechnet 160 Euro, in den Niederlanden 230 Euro. In den allermeisten Fällen bleiben die Vergehen außerdem ungesühnt.

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