Streitbare Rocklegende Promi-Geburtstag vom 6. September 2018: Roger Waters

London · Nur wenige Rockstars sind politisch und musikalisch so kompromisslos wie Roger Waters. Der einflussreiche Artrocker machte erst jahrelang Schlagzeilen im Rechtsstreit mit früheren Pink-Floyd-Kollegen, nun mit Antisemitismus-Vorwürfen.

 Roger Waters wird 75.

Roger Waters wird 75.

Foto: Hans Klaus Techt/APA

"Is this the life we really want?" betitelte Roger Waters sein erstes Soloalbum seit 25 Jahren - "Ist das wirklich das Leben, das wir wollen?"

Die Frage schwebt wie das legendäre Schwein über Waters' Show seit dem Krach mit Pink-Floyd-Sänger David Gilmour. Und vielleicht fragt Waters sich das nun auch, wenn er an seinem 75. Geburtstag an diesem Donnerstag zurückblickt.

Waters' Vater wurde im Zweiten Weltkrieg getötet, als der junge Roger ein paar Monate alt war - dieser setzte ihm später mit dem meditativen Album "The Final Cut" (1983) ein musikalisches Denkmal. Seine Mutter war Lehrerin und engagierte sich für Menschenrechte: "Ich wuchs mit Aldous Huxley, George Orwell und H. G. Wells auf", erinnerte sich Waters. Kein Wunder, dass er sich bereits während der Schulzeit gegen Atomwaffen einsetzte; der Beginn eines politischen Bewusstseins, das ihn in viele Kontroversen führen sollte.

Die legendäre Band Pink Floyd entstand aus Jugendfreunden: Mit Frontmann Syd Barrett ging Waters zur Schule in Cambridge. Dessen späterer Ersatz David Gilmour wohnte in derselben Gegend; mit Schlagzeuger Nick Mason und Keyboarder Richard Wright studierte er Architektur in London. Musik stand zunächst nicht im Vordergrund: "Ich fing mit Rock'n'Roll an, weil ich flachgelegt werden wollte", verriet Waters später der Musikzeitschrift "Rolling Stone".

Doch die Band schrieb Musikgeschichte, vor allem, nachdem der drogenabhängige Genius Syd Barrett von David Gilmour abgelöst wurde. Obwohl sie fast punkig anfingen, repräsentierten sie bald alles, was Punk nicht war: musikalisch versiert, konzeptionell ambitioniert und - mit über 250 Millionen verkauften Platten - stinkreich. Sex-Pistols-Frontmann Johnny Rotten stellte damals seinem Pink-Floyd-T-Shirt ein "I hate" voran, aber bekannte 2010 bei "The Quietus": "Du musst ein Einfaltspinsel sein, um zu sagen, dass du Pink Floyd nicht magst."

Die psychedelischen Underground-Helden der 60er Jahre wandelten sich mit "The Dark Side Of The Moon" (1973) und "Wish You Were Here" (1975) in elektronische Showmaster und emotionale Artrocker. Doch schon während der nächsten Alben "Animals" (1977) mit der ikonischen Battersea Power Station auf dem Cover und Waters' Meisterwerk "The Wall" (1979) bahnte sich der jahrzehntelange Streit zwischen den beiden Egos David Gilmour und Roger Waters an.

Im "Guardian" urteilte Gilmour damals: "Roger sitzt herum und sondert seine Ideen ab, worum es in der Welt geht. Ich mag was wir sagen - obwohl ich nicht immer denke, dass er es sehr gut sagt." Waters schoss später in einem legendären Interview des "Rolling Stone" zurück: "Es macht keinen Sinn für Gilmour, Mason oder Wright, Texte zu schreiben. Weil sie nie so gut sein werden wie meine. Gilmours Texte sind sehr drittklassig. Das werden sie immer sein."

Nach "The Final Cut" verließ er die Band Mitte der 80er Jahre, um weiter als Solokünstler zu arbeiten - und ging fest davon aus, dass Pink Floyd ohne ihn nicht weiter existieren könne. Doch Gilmour machte mit dem Rest der Band als "Pink Floyd" weiter. Waters verklagte ihn - ohne Erfolg. Damals muss ihn besonders gekränkt haben, dass seine Solokarriere kommerziell weit hinter dem Erfolg seiner ehemaligen Bandkollegen zurückstand: Sie füllten mit ihrem neuen Album "A Momentary Lapse of Reason" Stadien, er mit "Radio K.A.O.S." kleine Musiktheater. Dafür inszenierte er nach dem Fall der Mauer die Mega-Show "The Wall - Live in Berlin" mit prominenten Gastmusikern vor Hunderttausenden von Zuschauern.

Erst 2005, nach mehr als 20 Jahren Feindseligkeiten, standen Pink Floyd ein einziges Mal wieder komplett auf der Bühne: Für Bob Geldorfs Live 8 Konzert im Londoner Hyde Park. Der neuseeländischen Plattform "Stuff" sagte Waters: "Ich bin so froh, dass wir es getan haben, bevor Rick (Wright) starb. Wir haben nicht wirklich Frieden geschlossen, aber es war ein letzter Auftritt und ich habe es wirklich genossen."

Ein mildes Urteil vom charismatischen Zyniker Waters, den seine ehemaligen Kollegen als "Bandtyrann" und "Egomanen" beschrieben. Seit Jahrzehnten klagt er Autoritarismus, Krieg, Überwachung und Machtmissbrauch an, und nun in seinem aktuellen Album natürlich auch Fake News und Donald Trumps US-Präsidentschaft. "Wir leben in 1984" - Orwells apokalyptischem Bestseller - warnte er in "Stuff".

Doch Kontroversen und Streitigkeiten geht er selbst mit über 70 nicht aus dem Weg: Seit mehreren Jahren engagiert er sich so kompromisslos für Palästinenser und gegen den Staat Israel, dass ihm häufig Antisemitismus vorgeworfen wird. Waters ist ein lautstarker Aktivist der BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) gegen Israel und beschuldigte 2012 den Staat der "ethnischen Säuberung", "Apartheid" und "internationaler Verbrechen" in einer Ansprache an die Vereinten Nationen.

In seinen Shows zeigte er den Davidstern in umstrittenem Kontext, nahm missverständliche Zeilen nur unter dem Druck von Produzenten aus Songtexten und nutzt seine derzeitige Welttournee "Us + Them" nicht nur, um Donald Trump zu beschimpfen, sondern auch um israelische Politik anzuprangern. Mehrere ARD-Sender verzichteten daher auf eine Präsentation seiner Konzerte im vergangenen Juni.

Waters setzt seine "Us + Them"-Welttournee nach seinem 75. Geburtstag im Herbst in Südamerika fort - älter vielleicht, aber definitiv nicht leiser.

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