Schaulustige an Unfallorten Polizeigewerkschaft will härter gegen Gaffer vorgehen

Bottrop/Düsseldorf · Immer wieder werden Einsatzkräfte an Unfallorten attackiert. Hinzu kommen häufig Schaulustige. Solange der Einsatz nicht behindert wird, ist reines Gaffen nicht verboten. Das müsse sich ändern, fordert die Deutsche Polizeigewerkschaft.

Es ist etwa ein Uhr in der Nacht zu Sonntag, als die Polizei zu einem Verkehrsunfall mit drei Verletzten an die Prosperstraße in Bottrop gerufen wird. Als die Beamten eintreffen, sehen sie sich etwa 50 aggressiven Schaulustigen gegenüber, die offenbar aus einem Lokal auf die Straße gekommen sind, darunter auch Angehörige der Unfallopfer. Die Menge hindert die Polizisten und Notärzte daran, die Verletzten zu behandeln. Zur Verstärkung werden zwölf Streifenwagen mit Besatzungen gerufen.

„Aus der Menge heraus sind wir angegriffen und massiv beleidigt worden“, sagt ein Polizeisprecher. „Das hat es in der Dimension bei uns im Kreis Recklinghausen noch nicht gegeben“, sagt der Polizeisprecher. Die Polizei leitete gegen zwei Angreifer Strafverfahren ein. Dabei handelt es sich um einen 19- und einen 47-Jährigen. „Beides sind Familienangehörige der Unfallopfer“, sagt der Polizeisprecher.

Seit einigen Jahren gibt es dieses Phänomen nun schon. Immer häufiger – so hat es den Anschein – sind Polizisten, Feuerwehr und Rettungsdienst in Nordrhein-Westfalen solchen Situationen wie am vergangenen Wochenende in Bottrop ausgesetzt. Hinzu kommen häufig die Gaffer. „Während es für die Opfer oft um Leben und Tod geht, verfolgen die Gaffer nur eines: Hollywoodreife Bild- und Filmaufnahmen“, sagt eine Sprecherin des NRW-Innenministerium. „Sie schauen aus selbstsüchtigen Motiven auf das Geschehen, wie zum Beispiel bei schweren Verkehrsunfällen, nehmen Fotos und Videos auf, um selbst zum Geschichtenerzähler werden zu können – auf Kosten und zu Lasten der Opfer“, so die Sprecherin.

Härteres Vorgehen gegen Gaffer gefordert

Dabei ist das reine Gaffen an sich bislang kein Straftatbestand. „Blöd gucken ist erlaubt. Solange derjenige den Rettungseinsatz nicht behindert, kann man dagegen nichts machen. Auch wenn ich persönlich ein solches Verhalten moralisch verwerflich und pietätlos finde“, sagt Michael Mertens, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in NRW. Der Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) fordert härteres Vorgehen gegen Gaffer, die sich am Leid anderer erfreuen, auch wenn sie nicht den Einsatz behindern. „Das muss ein Straftatbestand werden. Dann können auch hohe Geldstrafen verhängt werden, die richtig weh tun“, sagt der DPolG-Vorsitzende.

Gaffer, die Rettungskräfte behindern oder Unfallopfer filmen, werden bereits bestraft – so wie vor zwei Wochen auf der Autobahn 2 bei Dortmund. Dort hatten gleich mehrere Schaulustige aus ihren fahrenden Wagen ein brennendes Auto gefilmt. Laut Polizei filmten sie ungeniert mit ihren Smartphones und bremsten auch ab, um bessere Bilder von den Flammen schießen zu können. Doch die Polizei fotografierte zurück. Vier Gaffer wurden identifiziert. Sie müssen nun mit Bußgeldern und jeweils einem Punkt in Flensburg rechnen, so die Polizei.

"Wir wollen helfen und werden dafür angegriffen"

Soweit es die Situation an den Einsatzstellen zulässt, verfolgt die Polizei konsequent das rechtswidrige Verhalten von Schaulustigen. Genaue Zahlen zu „Gaffer-Verstößen“ werden laut Innenministerium aber nicht erhoben. „Es gibt keinen speziellen Verstoß Gaffen, sondern die Polizei verfolgt zum Beispiel das missbräuchliche Benutzen von Smartphones während der Fahrt“, erklärt die Sprecherin des Innenministeriums.

Wieso aber greifen Angehörige Notärzte an, wenn diese wie in Bottrop Leben von Familienmitgliedern retten wollen? Wieso behindern Schaulustige immer wieder die Arbeit der Rettungskräfte? Und wieso filmen manche die Unfälle und die Opfer oder machen Fotos davon? Fragen, auf die auch die Polizei nicht wirklich eine Antwort weiß. „Ein solches Verhalten ist völlig irrational. Wir wollen helfen und werden dafür angegriffen. Das kann kein vernünftiger Mensch verstehen“, sagt Mertens. Und auch die Polizei in Bottrop scheint ratlos zu sein. „Diese Fragen haben wir uns auch gestellt. Das kann man einfach nicht begreifen“, sagt der Polizeisprecher.

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