Maßnahmen gegen radikale Aktivisten London plant Bannmeile um Abtreibungsklinik

London · Vor einer Abtreibungsklinik im Westen Londons stehen seit Jahrzehnten fast täglich Pro-Life-Aktivisten, um sowohl Mitarbeiter als auch Patientinnen „einzuschüchtern und zu belästigen“, wie es heißt.

Der Stadtrat hat deshalb eine weitreichende Entscheidung getroffen. Bald schön könnte das Viertel in der Hauptstadt das erste in Großbritannien sein, das eine Bannmeile um eine Abtreibungsklinik zieht. Auch im Parlament gibt es einer Umfrage zufolge eine Mehrheit für Pufferzonen.

Die Idylle trügt in dieser hübschen Straße mit ihren viktorianischen Häuserreihen, gesäumt von Bäumen und ruhig gelegen an einem Park im West-Londoner Viertel Ealing, in dem an diesem Morgen Enten, Jogger und spazierende Mütter die Herbstsonne genießen.

Denn fast täglich und seit mehr als 20 Jahren versammeln sich Protestler vor einem Klinkerbau in der beschaulichen Straße mit dem Namen Mattock Lane – und ihr Vorgehen wird immer radikaler. Auch an diesem Mittag haben Aktivisten Staffeleien aufgebaut, auf denen Plakate schwangere Frauen, die mit dem Gedanken an eine Abtreibung spielen, ansprechen und an den christlichen Glauben erinnern sollen.

Pro-Life-Aktivisten postieren sich täglich

Ein Mann drückt einer Passantin eine Broschüre in die Hand, in der betont wird, dass das Herz eines Ungeborenen bereits am 18. Tag schlägt und die Leserin aufgefordert wird, „bitte das Leben des Babys zu wählen“. Die Frau verwehrt das Flugblatt und geht schnell und wortlos durch die hellblaue Tür. Dahinter ist eine von rund 70 Abtreibungskliniken untergebracht, die Marie Stopes in Großbritannien betreibt. Die medizinische Einrichtung dürfte derzeit auf der Insel die bekannteste sein, nachdem der Stadtrat von Ealing Mitte Oktober beschlossen hat, „alle Möglichkeiten auszuschöpfen“, um Anti-Abtreibungs-Demonstranten davon abzuhalten, Frauen „einzuschüchtern und zu belästigen“.

Mitarbeiter, Patientinnen sowie Nachbarn scheinen genug von Pro-Life-Aktivisten zu haben, die sich fast jeden Tag vor der Einrichtung postieren, Bibelsprüche rezitieren oder Gebete sprechen, Flyer verteilen und Patientinnen via Poster indirekt als Mörderinnen bezeichnen. Fotos von Embryos in verschiedenen Entwicklungsstadien werden gezeigt, Fötus-Puppen sowie Teddybären verteilt und Frauen vor allem beim Verlassen der Klinik teilweise auf grobe Weise beschimpft. Zu möglichen Lösungen zählt laut Stadtrat eine Bannmeile um die Klinik.

„Straße schlichtweg unpassierbar“

Es wäre die erste in Großbritannien. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov unter 101 Abgeordneten herrscht auch im Unterhaus Unterstützung für die Einführung einer Pufferzone. Mehr als 100 Parlamentarier haben zudem einen Brief unterzeichnet, in dem sie ähnliche geschützte Gegenden vor Kliniken in anderen Teilen des Königreichs fordern. Die Proteste seien intensiver geworden, sagte Clare Murphy vom britischen Schwangerschaftsberatungsdienst. Dies könne nicht weiter so hingenommen werden.

Dabei gehe es nicht um richtig oder falsch beim Thema Abtreibung, sondern darum, dass die Bedrohung und Einschüchterung von Frauen auf den Straßen Großbritanniens „nicht akzeptabel“ sei. „In den vergangenen Jahren wurde die Straße schlichtweg unpassierbar“, sagte die für Ealing im Parlament sitzende Abgeordnete Rupa Huq.

„Ealing schreibt Geschichte“

Sie unterstützt die Entscheidung des Stadtrats, eine protestfreie Zone einzuführen und damit „die Belästigung von Frauen, die auf legale Weise medizinische Dienstleistung nutzen, zu beenden“, wie es einer der Direktoren des Unternehmens Marie Stopes UK bezeichnete. „Es ist eine Art Guerilla-Anschlag auf das Recht von Frauen, selbst zu entscheiden“, befand die Schatten-Innenministerin Diane Abbott.

Um eine Bannmeile einzurichten, könnte der Stadtrat auf die sogenannten Public Space Protection Orders zurückgreifen, ein Sicherheitsinstrument, das Kommunen die Möglichkeit gibt, Aktivitäten, die nicht als kriminell gelten, an exakt definierten öffentlichen Orten zu unterbinden. Mittlerweile versammeln sich neben den Abtreibungsgegnern auch häufig „Pro Choice“-Aktivisten wie jene von „Sister Supporter“ vor der Klinik in Ealing, aber auch vor Krankenhäusern in anderen Teilen Großbritanniens, um Patientinnen auf ihrem ohnehin schon schwierigen Weg Begleitschutz zu geben.

„Ealing schreibt Geschichte“, sagte Bunny Veglio, die zu den Freiwilligen gehört, gegenüber Medien. Nach eigenen Angaben ging sie bereits vor 30 Jahren für die Selbstbestimmungsrechte von Frauen auf die Straße. „Ich kann es nicht fassen, dass ich noch immer für dasselbe demonstriere, aber es fühlt sich an, als hätten sich die Dinge verändert – der Zeitgeist könnte positiver nicht sein.“

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