Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland Jedes zweite Huhn mit Durchfallerreger

Berlin · Obwohl das Gesundheitsrisiko bekannt ist, ist die Belastung von Hähnchen-Fleisch im Einzelhandel mit gefährlichen Keimen stark gestiegen. Verbraucherschützer und Grüne mahnen vor allem mehr Hygiene in den Schlachthöfen an.

Mehr als jede zweite Hähnchen-Frischfleischprobe im deutschen Lebensmitteleinzelhandel ist mit einem Durchfallerreger kontaminiert, der vor allem bei immungeschwächten Menschen zu mitunter gefährlichen Erkrankungen führen kann. 51,8 Prozent der Hähnchenfleisch-Proben enthielten im vergangenen Jahr den Durchfallerreger Campylobacter. 2011 waren es dagegen erst 31,6 Prozent der Proben. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage des Grünen-Fraktionschefs Anton Hofreiter hervor, die unserer Redaktion vorliegt.

Demnach wurde der Erreger 2017 bei Proben durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) an den Schlachthöfen sogar bei 78,8 Prozent der Hähnchen gefunden. 2011 waren es erst 40,9 Prozent der Tiere.

Der Erreger führt nach Angaben des Robert-Koch-Instituts zu 60.000 bis 70.000 gemeldeten Erkrankungen pro Jahr. Das sind 80 bis 90 Krankheitsfälle pro 100.000 Einwohner. Vor allem Kinder, Ältere und Schwangere sind häufig betroffen. Durch Braten und Einfrieren können die Keime abgetötet werden. Ist das Hähnchenfleisch allerdings nicht durchgebraten, können schon kleinere Keimkolonien teils schwerwiegende Erkrankungen auslösen. Die Zahlen der Bundesregierung zeigen, dass der Befall mit dem Durchfallerreger in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat, obwohl das Gesundheitsrisiko bekannt ist.

Die Gründe für die ungehemmte Verbreitung liegen vor allem in den Schlachthöfen. Hier wird Experten zufolge bei den Hygienemaßnahmen zu wenig gegen den Erreger getan. Schnittwerkzeuge werden etwa zu wenig gereinigt. Auf deutschen Schlachthöfen wird in der Regel im Akkord gearbeitet, die Bezahlung ist unterdurchschnittlich. In der Kühlkette vom Mastbetrieb bis in den Einzelhandel gibt es mitunter Lücken, die zu einer zu starken Erwärmung des Fleisches führen können.

Verbraucherschützer-Chef Klaus Müller mahnt

„Der Bundesregierung scheint es egal zu sein, dass immer mehr Durchfallerreger im Fleisch zu finden sind und die Zahl der Infektionen steigt. Sie legt ihre schützende Hand lieber über Agrar- und Schlachtindustrie“, kritisierte Hofreiter. Die Regierung müsse für mehr Hygiene auf den Schlachthöfen sorgen. „Dazu gehört, dass sich die Bundesregierung in Brüssel dafür einsetzt, dass die Grenzwerte für Keimbelastung deutlich nachgebessert werden“, forderte Hofreiter.

„Infektionen, die durch vom Tier auf den Menschen übertragende Keime hervorgerufen werden, müssen ernst genommen werden. Auch antibiotikaresistente Keime können über Lebensmittel übertragen werden und stellen ein erhebliches Risiko dar“, mahnte Verbraucherschützer-Chef Klaus Müller. „Keime auf dem Fleisch stammen überwiegend aus der Tierhaltung. Viele Erreger können während der Schlachtung vom Tier auf das Fleisch übertragen werden. Deshalb ist es entscheidend, dass Schlachthäuser besser kontrolliert und zu verbesserten Hygienemaßnahmen verpflichtet werden.“ Genauso wichtig sei es, dass Hersteller und Handel die Kühlkette einhielten. „Mit Hygiene- und Managementmaßnahmen müssen Betriebe dafür sorgen, dass landwirtschaftliche Nutztiere insgesamt gesünder sind und nur im Ausnahmefall Antibiotika bekommen.“

„Die Zunahme der Belastung von Hähnchenfleisch mit Keimen und hier insbesondere Keime wie Campylobacter, die zu Durchfallerkrankungen führen, ist ein ernstes Problem und seit einigen Jahren zu beobachten“, bestätigte NRW-Agrarministerin Ursula Heinen-Esser (CDU). Die Hygiene in den Geflügelschlachtbetrieben müsse verbessert werden. „Hier sind die Länder mit der Wirtschaft im Gespräch, um die notwendigen Maßnahmen umzusetzen.“

Der Bundesverband des Lebensmittelhandels wies darauf hin, dass die in den USA zulässige Methode, Keime auf dem Fleisch durch die Behandlung mit Chlor zu beseitigen, in Europa nicht erlaubt sei. Auf Geflügelfleisch würden deshalb Verzehrhinweise gegeben. „Solche Produkte sind nicht zum Rohverzehr geeignet und müssen vor dem Verzehr gut durchgart werden. Durch eine Durcherhitzung werden die Keime sicher abgetötet“, so der Verband.

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