Frauen und Automarken in Moskau Jeder will eine "Bestie" fahren

MOSKAU · Die Moskauer vergöttern ihre Parkettjeeps. Sie sind mechanische Muskulatur, Statussymbol und Zweitwohnsitz. Moskauerinnen, auch sehr junge, kennen sich erstaunlich gut aus, was Automarken angeht.

 Viel PS, garniert mit Weiblichkeit: Auf der Moskauer Automobilmesse werden Wagen gern mit leicht bekleideten Frauen in Szene gesetzt.

Viel PS, garniert mit Weiblichkeit: Auf der Moskauer Automobilmesse werden Wagen gern mit leicht bekleideten Frauen in Szene gesetzt.

Foto: dpa

Dascha, fünf Jahre, weiß was sie will. "Ich will einen grünen!" Was für einen grünen? "Einen grünen Kia Sorento. Mama will auch so einen. Aber einen roten."

Wie die anderen Russen versichern auch die meisten Moskauer, sie seien orthodoxe Christen. Aber im Alltag wird einem anderen Kult gefrönt: Die Hauptstadt-Russen vergöttern ihre Autos. Und sie opfern ihnen ein Vermögen.

Die russische Wirtschaftskrise ist vor allem eine Autokrise. Große ausländische Konzerne haben ihre Werke entweder dicht gemacht wie General Motors - oder die Belegschaft in Urlaub geschickt wie VW. Aber wer den Fehler begeht, sich tagsüber in Moskau in einen Pkw zu setzen, der gerät sehr schnell in eine grandiose Verknotung von Blechschlangen.

Bei einem Durchschnittstempo von acht Stundenkilometern hat er Muße genug, den 3,9 Millionen Pkw zählenden Automobilmarkt der reichsten Stadt Russlands zu bestaunen: deutsche, koreanische, schwedische und japanische Limousinen, vor allem aber Parkettjeeps mit Namen "Outlander", "Rover" oder "Geländewagen".

Die Russen, erst recht die Moskauer, haben ein Faible für schwere bis überschwere Kraftprotze, deren Radstand die überhohen russischen Bordsteinkanten nicht fürchtet, von deren Fahrersitzen sie aber auf möglichst viele andere Verkehrsteilnehmer herabschauen können. Diese Keiler sind oft schwarz-metallic lackiert wie die Jeeps der Putin-Eskorten, in der Stadt aber völlig unpraktisch.

Dafür besitzen sie Masse. Und Masse ist in Russland Schönheitsideal. Die "Bestien mit dem brutalen Gesicht", wie die Werbung jubelt, bedeuten Millionen Moskauern glänzende Zweithaut und mechanische Muskulatur, sind gleichzeitig Machtinstrument und zweiter Wohnsitz, in denen man auch Fünf-Stunden-Staus aussitzen kann - Videofilme schauend. "Toll, jetzt lassen mich plötzlich alle vor", staunt Anna, Friseurin aus Twer, die den Nissan-Patrol ihres Freundes fahren darf.

Nach Karambolagen warten die Jeep-Konkurrenten stundenlang, oft erstaunlich entspannt miteinander plaudernd, auf die überlastete Polizei. Die Besitzer der Parkettjeeps sind meist Mittelständler, eigentlich Pragmatiker und kaskoversichert. "Herren des Lebens" nennt man sie.

Aber nur ein Bruchteil der "Bestien" ist wirklich auf dem Weg an die Rjublowko-Uspenskoje-Chaussee, der Millionärsmeile, wo außer Wladimir Putin Wirtschaftsoligarchen und Filmstars wohnen. Die Masse parkt abends im Schatten 17-stöckiger Plattenbauten.

Dort stehen auch Hummer Jeeps oder Cayenne GTS Porsche, die mit umgerechnet knapp 100 000 Euro etwa so viel kosten wie die Einzimmerwohnungen der Makler-Klasse "Ökonom", die ihre Besitzer oft bewohnen. In den Augen von Millionen Moskauern schlägt das Automobil die Immobilie als Statussymbol.

Auch die ehrgeizigsten Angestellten und Kleinunternehmer lernen in Moskau schnell, dass das Establishment dieser Stadt die Sessel in den Chefetagen und die wirklich lukrativen Bauaufträge längst unter sich aufgeteilt hat. Moskau ist wirklich nicht die Stadt, in der Teller- oder Autowäscher Millionäre werden. Und 99 Prozent ihrer Bewohner werden ihren Traum von einer Villa an der Rubljowka nie verwirklichen. Also investieren sie ihr Geld zumindest in eine Karosse, die dem Rest der Welt beweist, dass sie es doch sehr, sehr weit gebracht haben.

Viele Mittelklassemoskauer bekleben die Heckscheiben ihrer Volkswagen oder BMWs mit großen weißen Buchstaben: Trofejnaja Maschina, zu deutsch: "Beute-Auto". Eine hurrapatriotische Anspielung auf den vor 70 Jahren gewonnenen Krieg gegen Hitlerdeutschland. Aber auch trotzige Selbstbehauptung: Seht, was für ein Prachtexemplar ich dieser gierigen Stadt entrissen habe.

Übrigens sieht man in der Hauptstadt nur sehr wenige vaterländische Automobile, obwohl Putin persönlich tagelang im Lada Kalina Reklame fuhr. Aber bei Autos hört der Patriotismus auf. Oder wie ein Freund über meinen russischen Niwa-Kleinjeep spottete: "Eine Stunde Schande, und du bist zu Hause angekommen."

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