Interview mit Hyeonseo Lee „Ich sah die erste Hinrichtung mit sieben“

Bonn · Hyeonseo Lee ist aus der Hölle Nordkoreas geflohen. Mittwochabend trat die Autorin und Aktivistin in Bonn auf. Jasmin Fischer sprach mit der Autorin.

 Zu Besuch in Bonn: Hyeonseo Lee, geflohen aus Nordkorea, macht auf die Situation in ihrer Heimat aufmerksam. FOTO: BENJAMIN WESTHOFF

Zu Besuch in Bonn: Hyeonseo Lee, geflohen aus Nordkorea, macht auf die Situation in ihrer Heimat aufmerksam. FOTO: BENJAMIN WESTHOFF

Foto: Benjamin Westhoff

Mit welchen Hoffnungen sind Sie nach Bonn gekommen?

Hyeonseo Lee: Anlass für meinen ersten NRW-Besuch ist der Jahrestag der deutschen Einheit. Es ist mein Traum und der von 30 000 weiteren Überläufern, die heute in Südkorea leben, dass auch Korea eines Tages die anhaltende Tragödie der Teilung überwinden kann – Deutschland bringt uns dabei vielleicht Glück. In der Zwischenzeit will ich auf das Los der Nordkoreaner aufmerksam machen.

Wie sieht die derzeitige Situation in Nordkorea aus?

Lee: Die Lage verschlimmert sich. Zwar sterben nicht Hunderttausende Menschen wie in der Hungersnot der Neunziger, doch das Leben insgesamt wird schwieriger. Der junge Diktator Kim Jong-un agiert noch härter als sein Vater. Seit 73 Jahren leben die Nordkoreaner nun in einer Diktatur, erfahren Gehirnwäsche, wissen nicht, was in der Welt passiert. Wenn man ihnen vom Leben, der Freiheit außerhalb Nordkoreas erzählt, halten sie einen für verrückt. Sie sind die Sklaven der modernen Zeit.

Wie stark ist die Sehnsucht nach einem Regimewechsel?

Lee: Manche Nordkoreaner hoffen mittlerweile auf eine Wiedervereinigung – dann aber unter südkoreanischer Herrschaft. Andere sehen in China den Retter. Niemand würde das öffentlich sagen, es würde den sicheren Tod bedeuten.

Sie haben schon als Kind Exekutionen gesehen.

Lee: Ich sah mit sieben die erste Hinrichtung, an die ich mich erinnern kann. Sicher war ich auch noch jünger Zeuge, denn Exekutionen waren und sind Alltag in Nordkorea. Ich vergesse den Tag jedenfalls nicht: Ein Mann wurde gehängt, vor unseren Augen, vor einer riesigen Menschenmasse. Niemand sprach, niemand lachte, die Gesichter waren düster.

Sie sind mit 17 Jahren geflohen, haben ihre Mutter nachgeholt. Ist der Rest ihrer Familie in Nordkorea Repressalien ausgesetzt?

Lee: Letztes Jahr, als ich gerade mein Buch fertigstellte und anfing, in die Öffentlichkeit zu gehen, wurden Tanten und Onkel von mir inhaftiert. Ein Onkel starb an der Folter, die ihm widerfuhr. Ich rüste mich eigentlich jeden Tag für schlimme Nachrichten. Es ist auch nicht leicht, zu sehen, wie meine Mutter sich um ihre Geschwister sorgt. Ich bin ein anderer Mensch geworden, einer, der, ohne dass es von außen sichtbar ist, in einer Art Krieg lebt – mit allen Erinnerungen und dem Schmerz, der dazugehört.

Fürchten Sie um Ihre eigene Sicherheit?

Lee: Nicht in Bonn, aber in London etwa nutze ich Personenschützer, um nicht entführt zu werden. Ich muss sehr vorsichtig sein.

Was sind Ihre Pläne?

Lee: Ich habe die wohltätige Organisation „North Star“ in New York gegründet, die sich um Überläufer aus Nordkorea kümmert. Langfristig werde auch ich dorthin ziehen, weil ich denke, dort sicher leben zu können.

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