Unterwelt-Stars Hollywood liebt die Gangsterbosse

New York/Mexiko-Stadt · In den 1950ern lebte der Western im Kino auf, dann folgten Gangster- und Mafia-Filme. Heute feiert das Krimigenre gern Drogenkartelle um "El Chapo" und Pablo Escobar. Die gefürchteten Bosse faszinieren Zuschauer und werden in Mexiko sogar als Helden besungen.

 Wagner Moura als kolumbianischer Drogenkönig Pablo Escobar in der Serie "Narcos".

Wagner Moura als kolumbianischer Drogenkönig Pablo Escobar in der Serie "Narcos".

Foto: Daniel Daza/Netflix

Es dauerte nicht lang, da tauchten zum Prozess gegen Joaquín "El Chapo" Guzmán in New York die ersten Touristen auf. Schaulustige, die den Drogenboss einmal aus nächster Nähe erleben wollten. Das Verfahren läuft noch, Guzmán droht lebenslange Haft.

Aber dank Filmen, TV-Serien und Musik wird der mutmaßliche Schwerverbrecher, der für bis zu 3000 Morde verantwortlich sein soll, zugleich gefeiert oder zum Mythos verklärt. Für Hollywood ist seine Geschichte ein gefundenes Fressen.

Die Welt des illegalen Drogenhandels bietet Drehbuchautoren erstklassigen Action-Stoff. Zu sehen sind tonnenweise Kokain oder andere Suchtstoffe, Auftragskiller und abgebrühte Drogenfahnder, dazu Schauplätze im kolumbianischen Dschungel oder im staubigen Niemandsland zwischen den USA und Mexiko. Es geht um Macht, sehr viel Bargeld und nicht selten um das Überleben der Beteiligten oder ihrer Familien.

Al Pacino machte mit "Scarface" von 1983 den Anfang. Als kubanischer Drogen-Chef Tony Montana begründete er im Rückblick eine ganze Sparte von Filmen und Serien: Steven Soderberghs "Traffic" (2000), "Blow" (2001) mit Johnny Depp und Penélope Cruz oder "Sicario" (2015) nutzten den Kampf gegen Drogengeschäfte als mal mehr, mal weniger realistische Vorlage. Teils löste der Drogen-Film den Gangster- beziehungsweise Mafia-Film ab, der das Krimigenre bis in die 90er Jahre mit Titeln wie "Der Pate" und "Good Fellas" geprägt hatte.

Dank der unerschöpflichen Content-Maschinerie beim Streamingdienst Netflix ist die Gattung zur Höchstform aufgelaufen. Methamphetamin-Labors dienten schon in den fiktiven Serien "Breaking Bad" und "Better Call Saul" als Lockstoff für Zuschauer, mit "Narcos" um den kolumbianischen Drogenkönig Pablo Escobar und "El Chapo" erzählt Netflix nun auch die Wirklichkeit in dramatisierter Form nach.

"Es ist ein neues Genre geworden, das sieht man", sagte Benicio Del Toro dem "Guardian" im Sommer. "Sie entwickeln sich zum neuen Western." Del Toro ist heute Spezialist der Gattung, mitunter durch "Escobar: Paradise Lost", "Savages" und natürlich "Sicario". Das Drama zeigt, wie weit die USA bei ihren Ermittlungen teils gehen in einem Krieg, der seit den 1980er Jahren tobt und sich kaum gewinnen lässt.

Die Darstellung der beteiligten Lateinamerikaner ist dabei oft mehr als fragwürdig. Gezeigt würden Fratzen schneidende Gangmitglieder mit starkem Akzent oder Geheimtreffen auf mexikanischen Haciendas mit Tequila und "Latinas in Bikinis als Augenschmaus am Poolrand", fasst die "New York Times" zusammen. Die Geschichte der 57 Millionen Latinos in den USA drehe sich meist aber nicht um Drogen, sondern um Ungleichheit und ihrem Kampf für ein besseres Leben.

Den Mythos des Drogen-Barons schreiben Autoren von Serien, Filmen und Musik in Lateinamerika eifrig mit. In Mexiko ist ihnen ein ganzes Musikgenre gewidmet: In den sogenannten "Narcocorridos" werden auf Mariachi- und Polka-Melodien Gewalt und Exzesse mit Rauschgift und Frauen besungen und die Kartellchefs wie Helden gefeiert - was dazu führte, dass die mexikanische Regierung die Übertragung der Drogen-Balladen in den Radios verbot.

Über "El Chapo" gibt es etliche Lieder, die meist mit viel Anerkennung seinen Aufstieg aus der Armut bis an die Spitze des Sinaloa-Kartells thematisieren. Auch Guzmáns Ausbruch aus dem Hochsicherheitsgefängnis Altiplano 2015 durch einen Tunnel in der Dusche in seiner Zelle wird besungen. Im Lied "El Chapo Otra Fuga Mas" (auf Deutsch etwa: Noch ein Ausbruch von El Chapo) heißt es: "Den Chapo einzufangen war ein Skandal - aber gut gekämmt und durch das Bad ist der Herr wieder gegangen."

Auch die Telenovela, die lateinamerikanische Ausprägung der Seifenoper, ist von "drogas" durchzogen. Zuschauer in Kolumbien und anderswo in Lateinamerika verfolgen "Narconovelas". Sie heißen "Las Muñecas de la Mafia" (Die Mafia-Puppen), "El Cartel de los Sapos" (Das Kartell der Verräter) oder "La Reina del Sur" (Die Königin des Südens). Auch hier gilt: Sensationen, Gewalt und Konflikte gepaart mit menschlichen Stärken und Schwächen ziehen beim Zuschauer.

Nelson Martinez, Produzent der Serie "El Capo" beim Sender "Mundo Fox", sagte vor einigen Jahren: "Es ist verblüffend, wie ein Anti-Held wie ein Drogenschmuggler das Publikum in seinen Bann zieht - er ist gleichzeitig komplex und doch menschlich, und deshalb verlieben sich die Leute in ihn."

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