Der alltägliche Sündenfall Habgier ist so alt wie die Menschheit

Bonn · Die Empörung ist groß. Ausgerechnet ein Bischof. Dabei sind die Worte des Apostels Paulus, die er in seiner Gefängniszelle in Rom für einen Brief nach Ephesus wählte, im Grunde doch unmissverständlich: "Ihr könnt sicher sein, dass kein habgieriger Mensch je das Reich Christi und Gottes miterben wird."

 Habgier, Raffgier, Habsucht: Das rücksichtslose Streben nach materiellem Gewinn um jeden moralischen Preis hat viele Namen.

Habgier, Raffgier, Habsucht: Das rücksichtslose Streben nach materiellem Gewinn um jeden moralischen Preis hat viele Namen.

Foto: Fotalia

Der ausgeruhte Flug zu den Ärmsten der Armen, der Dienstsitz samt Dienstwohnung für 31 Millionen Euro - vielleicht werden es am Ende gar 40 Millionen sein, mutmaßen Experten. Ein Limburger Ratsherr versicherte unterdessen der FAZ, allein die frei stehende Badewanne in den Privatgemächern des Bischofs habe 15.000 Euro gekostet. Und der neue Konferenztisch schlug mit 25.000 Euro zu Buche.

Seit Jahren schon werden die Gehälter der Kirchenbediensteten in dem für 680.000 Katholiken zwischen Lahn und Main zuständigen Bistum gekürzt, Gemeinden beklagen die Streichung von Zuschüssen für Substanz-Erhalt und Beheizung ihrer Pfarrkirchen.

Ausgerechnet ein Bischof. Andere Berufsgruppen haben uns schon zur Genüge staunen lassen in den vergangenen Jahren. Bankkaufleute verkauften ihren treuseligen Stammkunden windige Geldanlagen, gegen die sie anschließend Wetten abschlossen, um am Scheitern ihrer Kunden zu profitieren.

Nicht wenigen Prominenten wurde die Gier inzwischen zum Verhängnis: Zumwinkel, Wulff, Hoeneß und jetzt Franz-Peter Tebartz-van Elst, Sohn eines kinderreichen Landwirts aus dem niederrheinischen Kevelaer.

Natürlich sind Ursache und Wirkung, Dimension und Schadensumfang in den genannten vier Fällen bei näherer Betrachtung weder politisch noch juristisch miteinander vergleichbar. Doch was die moralische und psychologische Dimension betrifft, ähneln sie sich in einem Punkt frappierend und münden in der Erkenntnis: Ein weit überdurchschnittliches Einkommen und das damit einhergehende materiell sorglose Leben schützen offenbar keineswegs vor den Versuchungen der Gier.

Aus dem Tierreich kennen wir den Futterneid. Raubtiere eines Rudels balgen sich um die erlegte Beute - so lange sie hungrig sind. Sobald aber ein Tier seinen Hunger gestillt hat, käme es nie und nimmer auf die Idee, dem Artgenossen das Futter streitig zu machen. Allerdings gilt diese Beobachtung nur für Wildtiere. Bei von Menschen domestizierten Haustieren wie Hund oder Katze, die in enger Lebensgemeinschaft mit Frauchen oder Herrchen leben, kann das schon wieder ganz anders aussehen: Der eigene, stets bis zum Rand gefüllte Fressnapf wird nicht selten auch von pappsatten Tieren bis aufs Blut verteidigt.

Der gierige Mensch

Der gierige Mensch: Krone der Schöpfung oder Fehlkonstruktion der Evolution? Selbst unser Strafgesetzbuch schlägt sich mit der Habgier herum. Sie ist zum Beispiel eines der Tatbestandsmerkmale, die eine Tötung zum Mord qualifiziert. Die Rechtswissenschaft definiert sie als "rücksichtsloses Streben nach Gewinn um jeden Preis". Bedauerlicherweise dienen nicht wenige Mordmerkmale aber auch als starke Motivation für das alltägliche Handeln in Beruf und Privatleben.

Die Habgier des Menschen scheint sich zwar in unserem Zeitalter der Globalisierung ungehemmter als in den Jahrzehnten zuvor entfalten zu können. Aber sie ist so alt wie die Menschheit.

Schon in der antiken griechischen Mythologie stoßen wir auf einen König Midas. Dessen Gier war fast so groß wie seine Dummheit. Er bat seinen Gott Dionysos inständig darum, alles was er berühre, möge augenblicklich zu Gold werden. Der kluge Dionysos erfüllte den Wunsch des Königs, um ihm (und mit der schönen, plastischen Geschichte möglichst vielen Menschen der griechischen Antike) eine Lehre zu erteilen: Auch das Brot, das Midas mit seinen Händen berührte, um es zu essen, verwandelte sich augenblicklich in Gold. Der König wäre beinahe verhungert. Auch die großen Weltreligionen orteten früh die Gier als Geisel der Menschheit und sparten nicht mit Geboten, Verboten und Sanktionen - ein vergeblicher Versuch, ihr den Garaus zu machen.

So wissen die Christen aus dem zehnten Gebot: "Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut." Im Buddhismus gilt die Gier als eines der drei Geistesgifte. Und vom Hindu Mahatma Gandhi stammt das Zitat: "Es ist genug da für jedermanns Bedürfnis, aber nicht genug für jedermanns Gier." Für den Islam hat der Prophet Mohammed die 55 schlimmsten Sünden aufgelistet. 55 schlimmste Sünden: Da kann das Christentum gar nicht mithalten. Gleich ein halbes Dutzend dieser schlimmsten Sünden widmet sich den vielfältigen Ausprägungen der Habgier. So hat der Prophet zum Beispiel das Nehmen von Zinsen für verliehenes Geld verboten.

Manche behaupten, ohne die heute als verwerflich erscheinende Haltung des Limburger Bischofs seien zu anderen Zeiten weder der Kölner Dom noch einige andere stattliche, die Hochglanz-Einbände der Reiseliteratur zierende Gotteshäuser Europa je gebaut worden.

Vielleicht überrascht die hemmungslose Gier als heute wieder deutlicher sichtbare evolutionäre Grundausstattung des Menschen vor allem jene, die ihre Sozialisation im "Rheinischen Kapitalismus" erfahren haben. In Bonn, der Keimzelle und dem politischen Zentrum der jungen Bundesrepublik, prägten christdemokratische Politiker den Begriff der "Sozialen Marktwirtschaft". Wirtschaftsminister Ludwig Erhard schrieb 1957 ein Buch mit dem Titel "Wohlstand für alle". Es wurde ein Bestseller.

Soziale Marktwirtschaft

Drei Jahre später wurde der soeben promovierte Jurist Franz Möller Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, später persönlicher Referent des Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmeyer, noch später, neben seinem Amt als Landrat des Rhein-Sieg-Kreises, für 18 Jahre direkt gewählter Bundestagsabgeordneter.

Unmittelbar vor seinem Ausscheiden war Möller als Mitglied des Ältestenrates maßgeblich an der nach der Wiedervereinigung erforderlichen Neufassung des Grundgesetzes beteiligt. In einem Gespräch mit dem General-Anzeiger aus Anlass seines 80. Geburtstages vor drei Jahren erzählte er, was er bis dahin noch nie öffentlich erzählt hatte: von seiner damaligen Idee, in einem Aufwasch die Soziale Marktwirtschaft im Grundgesetz zu verankern.

"Doch das war zu diesem Zeitpunkt politisch nicht mehr durchsetzbar", sagte Möller mit spürbarer Enttäuschung in der Stimme. Bei keiner der beiden großen Volksparteien war hinter den Kulissen eine Mehrheit zu bekommen, das politische Erbe verfassungsrechtlich zu verankern.

Selbst die Revolutionen des 20. Jahrhunderts vermochten es nicht, der Habgier Herr zu werden. Spätestens nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch der kommunistischen Idee in Osteuropa offenbarte sich, um wie viel gleicher manche in der Gemeinschaft der Gleichen zu leben verstanden.

Falls die Gier und ihre bösen Geschwister, der Geiz und der Neid, zur Grundausstattung des Menschen gehören sollten: Unterscheidet jene, die nicht gierig sind, von jenen, die der Gier verfallen, nur der Mangel an Gelegenheiten? Schließlich sind wir doch das Volk der Sparfüchse und Schnäppchenjäger. "Geiz ist geil", predigte uns jahrelang ein Elektronik-Discounter. Wir lassen es zu, dass Innenstädte veröden, wenn wir alles im Internet bestellen. Es soll Zeitgenossen geben, die sich im Fachgeschäft ausführlich beraten lassen und anschließend online ordern, weil es dort ein paar Euro billiger ist. Und Hand aufs Herz: Haben Sie ihre letzte Steuererklärung wahrheitsgemäß ausgefüllt?

Wir werden wohl mit der Habgier leben müssen. Aber wir sollten uns darüber empören. Immer wieder.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort