20-Jährige vor U-Bahn gestoßen „Er wird es nicht bestreiten“

Berlin · Eine junge Frau wird in einem U-Bahnhof in Berlin wie aus dem Nichts attackiert. Ein Mann, der erst tags zuvor in Hamburg aus der Psychiatrie entlassen wurde, stößt sie vor einen einfahrenden Zug. Der Prozess soll viele Fragen klären.

 Der 29-jähriger Mann, der eine Abiturientin in Tötungsabsicht vor eine einfahrende U-Bahn gestoßen haben soll, im Gerichtssaal des Kriminalgerichts Moabit.

Der 29-jähriger Mann, der eine Abiturientin in Tötungsabsicht vor eine einfahrende U-Bahn gestoßen haben soll, im Gerichtssaal des Kriminalgerichts Moabit.

Foto: dpa

Der kräftig gebaute Mann sieht scheinbar ruhig in die Kameras. Der Medienandrang ist groß, als der Prozess um den tödlichen Angriff gegen eine 20-jährige Frau beginnt, die in Berlin vor eine einfahrende U-Bahn gestoßen wurde. Von einem heimtückischen Mord geht die Staatsanwaltschaft aus. Begangen von einem Mann, der wegen einer psychischen Erkrankung nicht schuldfähig gewesen sei. Die Vorwürfe hört sich der 29-Jährige aus Hamburg am Donnerstag vor dem Berliner Landgericht regungslos an. Einer seiner beiden Verteidiger aber erklärt später: „Es hat sich so zugetragen, er wird es nicht bestreiten.“

Es war 23.35 Uhr, als die 20-Jährige am 19. Januar 2016 auf dem U-Bahnhof Ernst-Reuter-Platz in Charlottenburg stand. Sie schrieb ihrer Mutter noch eine SMS: „Bin gleich zu Hause. Ich liebe dich.“ Als der Zug um 23.36 Uhr einfuhr, griff plötzlich ein ihr unbekannter Mann von hinten an. Mit großer Wucht habe er sie gestoßen, so die Anklage. Die Zugführerin bremste. Doch sie konnte die Tragödie nicht verhindern. Die junge Frau wurde überrollt. Sie starb im Gleisbett.

Der Beschuldigte war nur einen Tag vor der Tat aus einer Psychiatrie in Hamburg entlassen worden. „Ich habe für die Abläufe da wenig Verständnis“, sagt einer seiner Verteidiger nun in die Mikrofone. Auch die Anwälte der Nebenklage sehen voller Zweifel auf den Umgang mit dem in Hamburg geborenen und aufgewachsenen Beschuldigten: „Man muss prüfen, ob in Institutionen in Hamburg Fehler passiert sind.“

Hätte der 29-Jährige früher gestoppt werden können? Auch um diese Frage wird es im Prozess gehen. Ein Nebenklage-Anwalt sagt am Rande der Verhandlung, der seit seiner Jugend psychisch kranke und - wenn er nicht in einer Klinik war - immer wieder kriminelle Mann habe im vergangenen Jahr etwa ein Dutzend Straftaten begangen. Alle seien von der Hamburger Staatsanwaltschaft wegen Schuldunfähigkeit eingestellt worden. Dabei habe der 29-Jährige mehrfach bei der Polizei erklärt, dass er Straftaten begehen werde, bis man ihn endlich einsperre.

Er war gerade zwei Stunden in Berlin, als er die 20-Jährige angriff - ein Zufallsopfer, sind die Ermittler sich sicher. Nach der Tat soll er ruhig in Richtung Ausgang gegangen sein. Mehrere Männer hielten ihn fest und übergaben ihn der Polizei.

Gegenüber den Ermittlern schwieg der Mann. Im Gespräch mit einer Psychiaterin aber soll er erklärt haben, sich verfolgt gefühlt, die Frau aber verwechselt zu haben. Zudem habe er sie auch nur zur Seite schieben wollen. Was geschehen sei, tue ihm leid. Die Staatsanwaltschaft strebt seine dauerhafte Unterbringung in der Psychiatrie an.

Die Bestürzung war groß. Blumen, Briefe und Bilder wurden auf dem Bahnsteig abgelegt - darunter ein ergreifender Abschiedsbrief von Mutter und Schwester der Getöteten. „Keine Worte der Welt bringen dich zu mir zurück, aber ich werde dich für immer im Herzen tragen„, schrieb die Mutter.

Die Eltern sind nun Nebenkläger im Prozess. Doch ihre Plätze bleiben leer, als das Verfahren beginnt. „Es belastet zu stark“, sagen ihre Anwälte. Mit einem Urteil wird für Mitte Oktober gerechnet.

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