Gerichtsthriller in den USA „Er verlässt das Gericht als freier Mann und Opfer“

Washington · Dem deutschen Geiger Stefan Arzberger wurde ein Mord vorgeworfen. In den USA drohte ihm ein Leben hinter Gittern. Nach 16 Monaten kann er aufatmen: Die Justiz hat den Vorwurf fallen lassen.

 Um viele bittere Erfahrungen reicher: Geiger Stefan Arzberger gestern beim Verlassen des US-Gerichts.

Um viele bittere Erfahrungen reicher: Geiger Stefan Arzberger gestern beim Verlassen des US-Gerichts.

Foto: dpa

16 Monate lang hielt das Leben für Stefan Arzberger nur Melodiebögen in Moll bereit. Der ehemalige Primarius des berühmten Leipziger Streichquartetts saß in New York wegen eines bizarren Mordverdachts fest, der weltweit Schlagzeilen auslöste. Perdu. Die Justiz hat die schweren Vorwürfe endgültig fallen gelassen. „Schon sehr bald“, so sagte Arzbergers Anwalt Nicholas Kaizer am Mittwoch, werde der Star-Violinist „als freier Mann und Opfer“ in seine sächsische Heimat zurückkehren. Um die bittere Erfahrung reicher, dass im Nachtleben der Stadt, die niemals schläft, Fallgruben lauern, in denen man sein ganzes Leben vergeigen kann.

Der Reihe nach: Am 27. März 2015 ist Arzberger mit seinen Quartettkollegen Tilman Büning, Ivo Bauer und Matthias Moosdorf für ein Gastspiel in Manhattan gebucht. Am Vorabend lernt der groß gewachsene Musiker eine Dame kennen. Und nimmt sie nachts mit auf sein Zimmer im schmucken Hudson-Hotel.

„Melissa“, das zeichnen die Sicherheitskameras auf, verlässt 45 Minuten später die Herberge in Midtown. Unter dem Arm hat sie das iPad Arzbergers und in der Tasche , wie sich später bei der Verhaftung herausstellt, dessen Kreditkarten. Schnitt. Drei Stunden später dokumentieren die Hotelkameras, wie Arzberger nackt im 9. Stock über den Hotelflur irrt und mit den Fäusten an Zimmertüren trommelt. Als Pamela Robinson (64) aus North Carolina verschreckt öffnet, würgt Arzberger die Frau wie von Sinnen. Ein Wachmann des Hotels verhindert Schlimmeres. Wieder Schnitt. Im Polizeigewahrsam kann sich Arzberger an „gar nichts mehr erinnern“. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Seine einzige Erklärung und die seines Anwalts: „Melissa“, die sich später als transsexuelle, zwölffach vorbestrafte Prostituierte entpuppen sollte, muss ihm eine der in New York berüchtigten „Date Rate Drugs“ verabreicht haben – K.o.-Tropfen, die lähmen und Amnesie auslösen. Weil die Polizei Arzbergers Blut aber nicht zeitnah auf Drogen untersuchen lässt, ein klarer Ermittlungsfehler, bleibt er den Nachweis schuldig.

Was nun beginnt, ist eine Odyssee, die Arzberger nie vergessen wird. Nach wenigen Stunden Gefängnis kommt er auf Kaution von 100 000 US-Dollar frei. Aber er darf New York nicht verlassen und auch seinen Beruf nicht mehr ausüben. Sein Pass wird eingezogen. Freunde und Kollegen lassen ihn bei sich wohnen.

In Deutschland veranstaltet die Kammermusik-Szene Benefiz-Konzerte. Seine Frau Doreen treibt Geld ein für Anwälte und Privat-Detektive. Die Kulturstaatsministerin in Berlin wird eingeschaltet. In rund 20 Anhörungen vor Gericht drehen sich die Beteiligten im Kreis. Arzberger kann das Dunkel um die entscheidenden Stunden im Hotel nicht erhellen. Die Justiz arbeitet im Schneckentempo. New York wird für Stefan Arzberger zu einem Gefängnis ohne Gitterstäbe. Wie all das an ihm zehrt, dokumentierte erst neulich das ZDF. Autor Daniel Harrich zeigt in „Eine verhängnisvolle Nacht“ einen Mann, der Haltung bewahrt, obwohl hinter der Fassade Verzweiflung tobt.

Umso größer die Erlösung am Mittwoch. Staatsanwalt Joshua Steinglass lässt den Mordvorwurf fallen – „es gab kein Motiv“. Arzberger sei bei dem Angriff auf Pamela Robinson kaum zurechnungsfähig gewesen. Man könne nur von einer „rücksichtslosen Tätlichkeit“ sprechen, zu der sich der Deutsche auch bekennt. Robinson stimmt dem Beschluss des Gerichtes zu.

Arzberger kommt ohne Strafe davon. Und die zivilrechtlichen Folgeschäden? Die ehemalige Stewardess hatte ursprünglich 20 Millionen Dollar verlangt. Anwalt Nicholas Kaizer: „Ich bin optimistisch, dass wir das Thema vielleicht schon in den nächsten Tagen beilegen können“, sagt der Verteidiger.

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