Wohnzimmer aus Plastikflaschen Deutsche Organisation engagiert sich für Recycling auf Madagaskar

Madagaskar · Auf Madagaskar befindet sich eines der wenigen Recycling-Museen weltweit. Deutsche Organisationen setzen sich auf der afrikanischen Insel für einen besseren Klima- und Umweltschutz ein.

  Ein Wohnzimmer  aus Plastikflaschen.

Ein Wohnzimmer aus Plastikflaschen.

Foto: Isabelle Ortlieb

Ein Sofa, flankiert von drei Sesseln, in der Mitte ein Couchtisch – ein ganz normales Wohnzimmer eben. Wäre da nicht das seltsame Aussehen des Mobiliars: Die Sessel, das Sofa und der Tisch bestehen aus Plastikflaschen, ihre roten Deckel sorgen für Farbtupfer. Und die Wohnzimmerlampe ist aus altem Stoff hergestellt.

Auf ihr selbst gebautes Wohnzimmer mitten in ihrem Museum ist Leiterin  Carole Burkhard besonders stolz. Sie möchte beim Kampf gegen die Umweltverschmutzung mit Recycling helfen und die Bewohner von Tuléar („Toliara“ auf Malagasy), einer Stadt im Südwesten Madagaskars, für dieses Thema sensibilisieren.

 Ein Museum der ganz besonderen Art im Südwesten der Insel Madagaskar entstand so wie das komplette Recycling-Konzept für die Region mit deutscher Hilfe   .

Ein Museum der ganz besonderen Art im Südwesten der Insel Madagaskar entstand so wie das komplette Recycling-Konzept für die Region mit deutscher Hilfe   .

Foto: Isabelle Ortlieb

Im August 2019 eröffnete Burkhard das „Tulé’art Recycling Museum“. Es ist das erste Recyclingmuseum Madagaskars und Teil eines größeren Projekts: Zusammen mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) setzt sich die Welthungerhilfe (WHH) auf der Insel für ein besseres Management der Abfälle ein. Denn obwohl die Madagassen nur etwa 450 bis 500 Gramm Müll pro Tag produzieren – rund die Hälfte der Produktion eines Europäers – hat das Land ein großes Problem mit der Verwertung seiner Abfälle. Die Bewohner hatten vor Ankunft der WHH keine andere Möglichkeit, als ihren Müll auf den Straßen oder an den Stränden zu entsorgen.

„Es gab keinerlei Müllabholung, bevor die WHH in Tuléar war. Niemals hätte ich dort wohnen wollen. Aber jetzt ist die Stadt wirklich schön geworden“, berichtet Burkhard. Und so lebt die gebürtige Schweizerin heute in der Stadt im Südwesten der Insel. In ihrem Museum mit zwei Angestellten und drei Praktikanten möchte sie der Bevölkerung zeigen, was sich alles aus Müll herstellen lässt. „Viele Menschen sammeln mittlerweile Abfälle ein. Flaschen werden zum Beispiel weiterverkauft und wiederverwendet, aus alten Reifen stellen die Leute Sandalen her“, sagt die 55-Jährige. Das bringt sie schon Kindern und Schulklassen bei, die gratis das Recyclingmuseum besichtigen können. Es sei wichtig, die Bevölkerung für Themen wie Mülltrennung und –verwertung zu sensibilisieren. Denn Mülltonnen gab es lange Zeit nicht. In Tsongobory, drei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, lud die Bevölkerung seit 60 Jahren ihre Abfälle in der freien Natur ab. „Es fallen 120 Tonnen Müll pro Tag an, aber damals gab es kaum Transportmittel, um diese zu entsorgen, und keine Infrastruktur“, erklärt Virginia Careri, Leiterin der Welthungerhilfe für die Region Atsimo Andrefana im Südwesten Madagaskars. Lediglich ein LKW stand zum Einsammeln des Mülls zur Verfügung. Und da dieser oft defekt war, wurden die Abfälle nur spärlich eingesammelt.

Auf einer riesigen Fläche sammelten sich Essensreste, Plastikflaschen und ausrangierte Kleidungsstücke. Und nicht nur das: Die schlechten hygienischen Bedingungen in Madagaskar und der Mangel an sanitären Einrichtungen zwang die ärmsten Menschen dazu, die Fläche als Toilette zu benutzen.  „Es war eine hygienische, ökologische und sanitäre Krise“, so Careri. „Wir haben das Projekt 2014 gestartet. Es ging uns vor allem um die Einsammlung, die Verarbeitung und die Verwertung des Mülls. Außerdem musste sich das Verhalten der Leute ändern.“

So schloss die WHH die wilde Müllhalde im November 2017 endgültig. Dadurch konnten die hygienischen Bedingungen verbessert, die „stinkende Zone“ von Tuléar entfernt, der Tourismus gefördert und die Zahl der Krankheitsfälle verringert werden. Gleichzeitig entstand eine neue Müllverwertungsanlage auf einer Fläche von etwa sechs Hektar, die mit Solarstrom betrieben wird. Mehr als 100 Arbeitsplätze wurden geschaffen. Nicht nur in der Anlage selbst, sondern auch in den verschiedenen Vierteln von Tuléar, wo riesige Container zur Entsorgung des Mülls aufgestellt wurden. Sie müssen regelmäßig abgeholt und zur Verwertungsanlage gebracht werden. „Es werden jetzt 50 bis 60 Tonnen Müll pro Tag eingesammelt. Vorher waren es gerade mal 10“, erklärt Careri.

Auch die Verwertung läuft inzwischen deutlich besser ab: Sechs Wertschöpfungsketten ermöglichen die weitere Verwendung des angefallenen Abfalls. Den organischen Müll sammeln die Mitarbeiter auf einem Kompost, der später zur Düngung der Felder eingesetzt wird. Aus Plastik und Kartons stellen die Angestellten in der neuen Anlage verschiedene Ziegelsteine her, die unter anderem zum Ausbau von Straßen genutzt werden. Alteisen, Schrott und Sandalen werden weiterverkauft. „Wir sortieren den Müll und wollen ihn dann so gut wie möglich aufwerten“, sagt Careri. Einige Teile bekommt Burkhard für ihr Museum. Aus Holzstücken, Ästen und Papier erzeugt die Anlage außerdem sogenannte „grüne Holzkohle“ (green charcoal) – Briketts, die beispielsweise zum Kochen verwendet werden können.

„Wir wollen den Menschen zeigen, dass es eine Art Kreislauf gibt. Wenn sie etwas essen, entsteht organischer Müll. Daraus kann aber wieder Energie gewonnen werden, die sie wiederum zum Zubereiten von Nahrung benötigen und so weiter“, sagt Careri. So kann ein Großteil des produzierten Mülls wiederverwendet werden. Ob das immer so bleibt, ist unklar. „In den letzten Jahren tauchten neue Abfälle auf, insbesondere Verpackungsmüll“, so die Leiterin des Projekts. Denn je nachdem, wie gut ein Land entwickelt ist, ändern sich auch seine Abfälle. „In Entwicklungsländern gibt es eine ganz andere Zusammensetzung des Mülls als in reicheren Ländern“, erklärt Careri. Elektroschrott zum Beispiel falle in Tuléar nur sehr wenig an. So sei es wichtig, dass die Verwaltung des Mülls auch nach Beendigung des Projekts der WHH im Dezember weiterhin reibungslos funktioniere und ausgebaut werde. Die Einbeziehung der Bürger funktioniere sehr gut, berichtet Careri. Schwieriger sei es, die Institutionen zu überzeugen. Deshalb hofft die Leiterin der WHH im Südwesten der Insel auf eine Verlängerung, um alle Aufgaben an die Stadtverwaltung weiterzugeben. „Außerdem wollen wir weiter Bewusstsein schaffen für das Thema. Diese Aufgabe ist noch nicht komplett abgeschlossen. Und wir wollen versuchen, noch mehr Müll einzusammeln. 70 bis 80 Tonnen pro Tag sind das Ziel“, sagt Careri.

Auch Burkhard hat noch viel vor. Sie will das Museum als eine Art Treffpunkt in Tuléar etablieren: „Das Projekt hat gerade erst angefangen, ich hoffe, dass ich weitermachen kann. Es gibt noch viel zu tun“, sagt sie. In den Familien müsse die Mülltrennung noch deutlich besser vonstattengehen. Und noch etwas hält die 55-Jährige für sinnvoll: „Die Leute bezahlen keine Steuer für die Abholung ihres Mülls. Das müsste sich ändern, insbesondere wenn die WHH nicht mehr vor Ort ist.“

Der Weg dahin ist jedoch noch lang. Madagaskar gehört laut der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Ländern: Häufig auftretende Wirbelstürme, tropische Zyklone und periodische Trockenheit hinterlassen Schäden an der Infrastruktur und verursachen Ernteausfälle. Nur rund 15 Prozent der Bevölkerung haben Zugang zu Elektrizität. Hinzu kommt, so die GIZ, dass die demokratischen Institutionen des Landes wenig entwickelt sind. Von den fruchtbaren Böden und zahlreichen Rohstoffen wie Pfeffer, Vanille oder Saphire kann die Bevölkerung deshalb kaum profitieren – die viertgrößte Insel der Welt gehört zu den ärmsten Ländern der Welt.

Deshalb engagieren sich neben der WHH zahlreiche andere Organisationen in dem Land für besseren Klima- und Umweltschutz. Die GIZ mit Sitz in Bonn und Eschborn setzt sich im Auftrag des BMZ im Südwesten der Insel mit einem Projekt zum Schutz natürlicher Ressourcen ein. Dazu zählen zum Beispiel die Nutzung von Biomasse zur Energiegewinnung sowie die Reduzierung der Abholzung. Ein wichtiger Bestandteil des Projekts ist ferner die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Kleinstbergbau. Denn durch die Schürfarbeiten bleiben oft metertiefe Löcher in der Landschaft zurück, die zur Gefahr werden können. Und auch die Biodiversität leidet unter den Arbeiten.

Bewusstseinsschaffung für die Erhaltung der natürlichen Ressourcen spielt hier ebenfalls eine wichtige Rolle. Das macht sich sogar im Tourismus bemerkbar: Die Madagassen erkennen den Mehrwert, den der natürliche Bestand für Reisende darstellt. Die Schaffung von Arbeitsplätzen geht meist automatisch mit einher: „Allein im Tourismus in selbstbewirtschafteten Schutzgebieten können jetzt um die 100 Menschen Geld verdienen“, erklärt Edmond Randrianarivony, Koordinator der GIZ in der Region Atsimo Andrefana.

Die GIZ arbeitet mit den politischen Verantwortlichen zusammen, damit Umwelt- und Klimaschutz auch nach der Schließung des Programmbüros im Südwesten im Juni 2020 vorangetrieben werden. In Fragen zum Einsatz erneuerbarer Energien und zur Erstellung von Landnutzungsplänen möchte die GIZ die Kapazitäten und Handlungsmöglichkeiten der politischen Akteure stärken. Die Bevölkerung zeige meist ihren guten Willen, etwas ändern und beim Umwelt- und Klimaschutz mitwirken zu wollen. „Aber die Armut spielt oft eine noch größere Rolle“, so Randrianarivony.

Und diese bekämpft auch Burkhard in ihrem Museum, indem sie den Menschen erklärt, wie sie aus Müll neue Schuhe, Mobiliar oder Schmuck herstellen können. Jeder neue Gegenstand, den sie aus den Abfällen zaubert, gefällt ihr besser als der vorherige. „Ich fühle mich sehr erfüllt von dieser Arbeit“, sagt die 55-Jährige. Sie möchte die wunderschöne Natur der Insel wahren – diese war schließlich einer der Gründe, weshalb Burkhard nun in Madagaskar lebt. Statt die Natur durch Müll zu zerstören, verwandelt sie diesen in etwas Neues. „Diese Transformation ist unglaublich. Die Abfälle haben wirklich eine Schönheit“, findet Burkhard.

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