Monarchie im Wandel Der vergessene Prinz

London · Die Zeit eines Generationenwechsels im britischen Königshaus rückt näher. Längst setzt Charles Akzente. Sind es auch die Richtigen?

 Als privilegierten Sonderling karikiert die Boulevardpresse Charles gern - vielleicht eine Unterschätzung. Denn Charles weiß sehr wohl, wie er seinen Einfluss geltend macht. Fotos: dpa

Als privilegierten Sonderling karikiert die Boulevardpresse Charles gern - vielleicht eine Unterschätzung. Denn Charles weiß sehr wohl, wie er seinen Einfluss geltend macht. Fotos: dpa

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Großbritannien steht kurz vor einem Bürgerkrieg. An jenem Platz am Buckingham-Palast, wo sich sonst Touristen ihre Kameras um die Köpfe schlagen, fährt bereits ein Panzer auf, um die wütende Bevölkerung zurück- und im Notfall die Krone festzuhalten. Und diese Verfassungskrise hat allein der höchste Mann im Land ausgelöst: Charles.

Queen Elizabeth II. ist mittlerweile tot. Lang lebe also der König. Es ist ein fein gesponnenes Zukunftsszenario. Und alles Theater natürlich. In einem Londoner Haus wird derzeit mit dem Drama "King Charles III." ein Bild des Thronfolgers gemalt, der sein Land in ein Zerwürfnis stürzt, weil er sich weigert, ein neues Gesetz zu unterschreiben, das die Pressefreiheit in Großbritannien einschränken soll. "Ich wurde geboren und aufgezogen, um zu herrschen", sagt er da. Tatsächlich alles nur Theater?

Das Schauspiel um die Zukunft des Monarchen könnte kaum besser zur Gegenwart passen. Königin Elisabeth II. ist zwar eine rüstige Frau, die die Insel politisch unpolitisch repräsentiert und der britischen Gesellschaft stets behütet als Fels in der Brandung dient.

Doch obwohl es kaum jemand auszusprechen wagt, ist sie mit ihren 88 Jahren eine alte Dame. Ihre Regentschaft wird nicht ewig andauern, selbst wenn sie keineswegs abzudanken gedenkt. Dann folgt ihr Sohn, der nach mehr als 61 Jahren in der Rolle des Thronfolgers mittlerweile schon viele ihrer Aufgaben übernommen hat und darüber hinaus ebenfalls mitmischt. Auch deshalb gibt es Diskussionen über die Frage, wie weit ein Monarch sich in Angelegenheiten von Downing Street Nr. 10 eingreifen darf.

Im Zentrum der Aufregung: Die Leidenschaft des 66-Jährigen, Briefe zu schreiben. Offenbar liebt er es, seine Gedanken, unter anderem zu Umweltthemen, auf Papier zu bringen. Das wäre noch nicht das Problem, würde er sie nicht seit mehr als 30 Jahren an die Regierung, an Ministerien, an Politiker und Journalisten verschicken. Mischt sich Prinz Charles in den aktuellen Politikbetrieb ein und betreibt für seine Interessen Lobbyarbeit? Das vermuten zahlreiche Kritiker.

Seit neun Jahren versucht deshalb der britische "Guardian" Einblick in Dutzende Korrespondenzen zu bekommen. Sie seien in seiner krakeligen Schrift mit schwarzer Tinte verfasst, manche Passagen habe der Thronfolger unterstrichen und auch mit Ausrufezeichen und Pfeilen sei er nicht sparsam umgegangen, heißt es. Deshalb sind die Briefe als "Schwarze-Spinnen-Mitteilungen" bekannt. Bislang wehren sich der Prinz und die Regierung gegen die angestrebte Veröffentlichung der 27 Briefe.

Es ist ein heikles Thema, denn seine Rolle als Thronfolger gebietet Neutralität. Seine Mutter hält sich strikt an dieses Credo. Sie polarisiert nicht, sie provoziert nicht, sie interveniert nicht. Charles jedoch will sich auch vom Thron aus in Angelegenheiten äußern, die ihm am Herzen liegen. Er verstehe die Rolle des Monarchen als eine Stimme des Volkes, im Zweifel durchaus auch bewusst als Gegenpol zu gewählten Volksvertretern. Droht Großbritannien also Theater?

Das Königshaus ist so beliebt wie nie zuvor. Prinz William und Herzogin Catherine taugen für viele als Vorbilder und Hoffnungsträger für eine moderne Monarchie. Pflichtbewusst, ohne Skandale, dafür immer hübsch anzusehen, präsentieren sie sich mit Baby George als die strahlend-glückliche Vorzeigefamilie, im März kommt das zweite Kind zur Welt und die Briten seufzen entzückt auf. Doch laut Beobachtern ist es nicht nur die junge Generation, die das neue Bild der Monarchie prägt, die Popularität liege vor allem an der Kontinuität der Royals in einer sich ständig wandelnden Welt - wobei Kritiker genau jenen Widerstand, sich zu verändern, bemängeln.

Mittlerweile haben die Untertanen mit Prinz Charles, der mehr als 25 Wohltätigkeitsorganisationen gegründet hat und mit seiner Stiftung Hunderttausende junge Menschen unterstützt, ihren Frieden geschlossen. Lange schien sein Image unter der gescheiterten Ehe mit Diana zu leiden. Obwohl er als witzig gilt und Schauspielerin Emma Thompson, eine alte Freundin, einmal sagte, mit ihm zu tanzen sei "besser als Sex", wird Charles in der Boulevardpresse als privilegierter Sonderling karikiert.

Das Gerücht, er lasse sich jeden Morgen sieben unterschiedlich lange gekochte Eier servieren, um das ideale zu essen, hält sich trotz Klarstellung von Seiten des Palastes hartnäckig. "Prinz Charles ist beliebt unter den Menschen seiner Generation", sagt Ingrid Seward, Chefredakteurin des königstreuen Magazins "Majesty". Aber er sei es weniger in der jüngeren Generation. "Es gibt außerdem einen gewissen Teil der Gesellschaft, der Charles niemals verzeihen wird, dass er Diana verlassen und Camilla geheiratet hat", so Seward.

Im vergangenen Jahr hat ihn das Magazin "Time" als den "vergessenen Prinzen" betitelt. Während seine Mutter als die unbestrittene Großmutter des Volks gilt und seine Söhne, Prinz Harry und Prinz William mitsamt seiner modebewussten und allzeit perfekt frisierten Gattin Kate, Glamour, Farbe und Frische in die jahrhundertealte Monarchie bringen, wirkt er häufig grau und hölzern.

Doch wer ist Charles wirklich? "Er ist charmant, aufmerksam, fleißig, hochintelligent und mag weibliche Gesellschaft", beschreibt ihn die Adelsexpertin. Die Hauptsorge des Kunst- und Architekturfans, gerne in Gummistiefeln abgelichtet, gelte der Umwelt und "was wir unserem Planeten antun". Nicht zuletzt deshalb wurde er als britischer Al Gore - ehemaliger US-Vizepräsident und Umweltschützer - bezeichnet. Auch der zukünftige König Charles wird sich zu außerroyalen Angelegenheiten äußern. "Doch die Einmischung in politische Belange ist ausgeschlossen und riskant für die Monarchie", warnt Seward.

Würde er in seiner Regentschaft allzu sehr auf eine politische Rolle pochen, könnte sein Schicksal wie im Theaterstück "King Charles III." ausgehen. Um die aufgebrachten Briten zu beruhigen und die Monarchie zu retten, zwingen ihn seine Söhne dazu, abzutreten und die Krone an Prinz William weiterzugeben. Ein Drama um Macht, geschrieben in fünf Akten, aufgeführt mit einer Pause. Im echten Leben könnte seine Monarchenrolle zur Gratwanderung werden.

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