Christian Olding Der Pop-Kaplan zieht weiter

EMMERICH · Christian Olding sorgt mit seinem Konzept für Gottesdienste für Furore.

Schnell weg. Das ist der Eindruck, den Kaplan Christian Olding an diesem Sonntagabend hinterlässt. Er verdrückt sich nach einem rund zweistündigen Gottesdienst in der katholischen Pfarrkirche Sankt Aldegundis in Emmerich in die Sakristei. Und bleibt erst mal hinter einer geschlossenen Tür. Bis er die 120 vergangenen Minuten halbwegs verdaut hat.

Vorausgegangen war ein Gottesdienst der Superlative. Auf drei riesigen Bildschirmen zeigte Olding Filmausschnitte aus "Knocking on heaven's door" und "Stadt der Engel", ließ "Tears in Heaven" singen und verzierte die steinernen Wände mit bunten Lichteffekten. Dazwischen schob er die traditionellen Segmente der Eucharistiefeier wie Gabenbereitung, Sanctus und Hochgebet ein. Auch das Schlussgebet fehlte natürlich nicht. Die Besucherin Elisabeth Benze fragt sich anschließend laut, ob sie nun tatsächlich einer Predigt zugehört habe, oder doch auf einem Pop-Konzert war.

Das was da gerade geschehen ist, ist Oldings Spezialität. Seit zweieinhalb Jahren sein Weg, Menschen in die Kirche zu locken. Diese "veni!-Gottesdienste" (veni ist lateinisch und bedeutet "Komm!") sind ein Spagat zwischen Althergebrachtem und dem Versuch, die Kirche attraktiver zu gestalten. Mit Erfolg. Sie sind immer proppenvoll. Schon lange bevor der Gottesdienst los geht, sichern sich Senioren und Schüler gleichermaßen sowie Familien die begehrten Sitzplätze auf einer Bank. Die Besucher kommen an diesem Sonntag aus Magdeburg, Köln und eben Emmerich.

Nicht umsonst trägt der Mann mit dem kahlrasierten Schädel und der markanten schwarz umrandeten Brille den Beinamen "Pop-Kaplan". Wenn er predigt steht er nicht still hinter dem Ambo. Seine Art erinnert mehr an Sprechgesang - nur ohne Reimschema. Er gestikuliert mit der linken Hand, hält das Mikrofon in der rechten und wippt mit dem ganzen Körper im Takt der Silben. Auch an diesem Abend tanzen sein weißes Gewand mit den weiten Ärmeln und die lilafarbene Stola bei jeder Bewegung mit. Er benutzt Worte wie "Arschtritt". Er duzt seine Zuhörer.

Oldings Flucht vom Altar kommt nicht von ungefähr. Das war sein letzter "veni!-Gottesdienst" in der Aldegundiskirche. Das Finale findet im Kino in Kleve am 15. Juni statt. Ab dem 16. Juni 2014 wird er nicht mehr in der Emmericher Gemeinde arbeiten. Nicht ganz freiwillig, und er geht - allerdings auf eigenen Wunsch - etwa ein Jahr früher als er müsste. "Ein Stück Herz bleibt hier", sagt er über seinen Weggang. Seit Januar diesen Jahres wird diskutiert. Über Olding und den ehemaligen Pfarrer Karsten Weidisch. Olding sagt deshalb: "Mir fehlt hier der Rückhalt." Eigentlich endet seine Zeit als Kaplan in Emmerich erst im Juni 2015. Aber nachdem Pfarrer Weidisch gegangen ist und weitere personelle Veränderungen anstehen, sieht Olding für sich keine Zukunft am Niederrhein.

Der 31-Jährige hat mit seiner Art polarisiert und mit Sätzen wie "die Kirche braucht keinen Papst" Kritikern ordentlich Zündstoff geliefert. Eines der Contra-Argumente lautet etwa: "Die "veni!-Gottesdienste" sind zu sehr an die Person Olding gebunden." Hinzu komme wohl Neid aus anderen Gemeinden, weil Oldings Gottesdienste die Menschen in die Kirche ziehe. In anderen Gemeinden seien die Gotteshäuser indes leer geblieben. Und dann auch noch das Platzproblem: Immer wenn Olding seinen Gottesdienst abhielte, seien in der Stadt keine Parkplätze mehr zu bekommen.

Auch Anna Graff (19) aus Brühl ist zum letzten Olding-Gottesdienst gekommen. Sie habe sich schon gewundert, dass das Bistum die Ereignisse in Emmerich so lange geduldet habe. Sie selbst ist in der Jugendkirche Brühl aktiv und versucht dort, mit ihren Mitstreitern ein Projekt nach dem Vorbild von "veni!" zu realisieren. "Das war grandios. Der Wahnsinn", fällt ihr Resümee nach dem Gottesdienst aus. So persönlich. Das vermisse sie bei normalen Predigten.

Während sie das sagt, kommt von den benachbarten Sitzreihen lautes Schluchzen. Taschentücherpakete gehen durch die Reihen und leeren sich. Das "veni!"-Team kann nicht glauben, dass ihr Kaplan geht. Dass dies das letzte Mal in der Aldegundiskirche war. Später sagt einer von ihnen, der lieber anonym bleiben möchte: "Wir fühlen uns verraten. Nicht wenige werden aus der Kirche hier wieder austreten." Olding kann den Missmut nachvollziehen und ärgert sich: "Ich wollte Jugendliche für den Glauben begeistern. Ich wollte nicht, dass sie kämpfen müssen." Passenderweise beschäftigte sich Oldings letzter Gottesdienst mit dem Thema "Tod". Ein Thema das nicht er gewählt hatte, aber zu seiner Situation passte. Die (doppeldeutige) Botschaft: "Am Ende wird alles gut".

Wie es weiter geht, weiß Olding noch nicht. Aus Münster hieß es, dass das Bistum Oldings Charisma nutzen wolle. "Was auch immer das heißt", sagt Olding achselzuckend. Nur eines kommt für ihn nicht in Frage: Er wird seinen Beruf nicht aufgeben. "Dafür bin ich viel zu sehr überzeugter Christ. Das Versprechen von Ehrfurcht und Gehorsam heißt, auch mal in den sauren Apfel zu beißen. Die Menschen zu Gott zu führen, ist nach wie vor mein Hauptanliegen. Auch wenn ich glaube, dass das mit diesem Projekt gut hätte weiter gehen können."

Das Projekt in einer anderen Gemeinde zu realisieren, hält Olding für unwahrscheinlich. So eiskalt könne keiner sein. Das könne er nicht. Jedenfalls für den Moment sei das sehr schwer vorstellbar. "Ich wünsche mir, dass die Jugendlichen für sich weiter machen", hofft Olding. Gemäß dem Motto der Predigt: Am Ende wird alles gut.

"veni!" und die Zukunft: Die Reaktion des Bistums

In einer Stellungnahme auf der Internetseite des Bistums in Münster, zu dem Emmerich gehört, heißt es: "Seitens des Bistums wäre es gerne gesehen worden, wenn Kaplan Olding bis zum Sommer 2015 in Emmerich oder in der Nähe von Emmerich geblieben wäre, insbesondere um daran mitzuwirken, die Zukunft des "Veni!"-Projekts nachhaltig zu sichern."Auch weise das Bistum die Vorwürfe zurück, dass der Rückhalt fehle. Kaplan Olding sei stets der Rücken für seine Arbeit und sein Projekt frei gehalten und Beschwerden aufgefangen worden. Für die Zukunft solle dennoch überlegt werden, wie eine zeitgemäße Jugendpastoral in Emmerich fortgesetzt werden könne. Mit Blick auf den künftigen Einsatz von Christian Olding werde es demnächst ein Gespräch des Bischofs von Münster, Felix Genn, mit dem Kaplan geben, teilte Stephan Kronenburg, Leiter Bischöfliche Pressestelle, mit.

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