Ein Land in Angst China will Coronavirus mit radikalen Maßnahmen bekämpfen

Wuhan · China ergreift radikale Maßnahmen, um das Coronavirus in den Griff zu bekommen – auch mit erheblichen Folgen für die Wirtschaft. In Wuhan ist die medizinische Versorgung prekär.

 Mitglieder des medizinischen Teams des chinesischen Militärs, die für das Wuhan Jinyintan Krankenhaus im Einsatz sind, bereiten ein Krankenhauszimmer vor.

Mitglieder des medizinischen Teams des chinesischen Militärs, die für das Wuhan Jinyintan Krankenhaus im Einsatz sind, bereiten ein Krankenhauszimmer vor.

Foto: dpa/Cheng Min

Am Sonntag trat Ma Xiaowei, Leiter der nationalen Gesundheitskommission, gleich mit zwei Hiobsbotschaften vor die internationale Presse in Peking: Zum einen würde die Übertragungsfähigkeit des mysteriösen Coronavirus derzeit weiter ansteigen. Und im Gegensatz zum Sars-Virus sei der neuartige Erreger aus Wuhan auch während der Inkubationszeit ansteckend. Dies mache eine Eindämmung ungleich schwerer, schließlich dauert es bis zu zwei Wochen, dass Infizierte erste Symp­tome der Lungenkrankheit zeigen. Die Anzahl an Infizierten könnte also weiter steigen, fügte der Leiter der chinesischen Gesundheitsbehörde an.

Dabei hat sich allein übers Wochenende die Verbreitung des Coronavirus erneut vervielfacht: Mit Stand vom Sonntag haben die Behörden knapp 2000 Infizierte bestätigt. 56 Menschen sind gestorben und mehrere Hundert Patienten befinden sich in kritischem Zustand.

Chinesen dürfen keine Pauschalreisen mehr machen

Die jüngsten Erkenntnisse der Gesundheitskommission erklären die radikalen Eindämmungsmaßnahmen der chinesischen Zentralregierung. Allein am Sonntag wurden über ein Dutzend solcher erlassen: So hat Peking etwa den Start des kommenden Sommersemesters für sämtliche Schulen und Universitäten auf unbestimmte Zeit verschoben. Die südchinesische Provinz Guangdong hat eine Atemschutzmasken-Pflicht für all seine Bürger im öffentlichen Raum eingeführt. Sämtliche Gruppenreisen von Ausländern ins Land wurden gestoppt, auch Chinesen dürfen keine Pauschalreisen mehr buchen – sowohl im In- als auch ins Ausland. Die Zentralregierung hat zudem den Handel mit Wildtieren verboten, schließlich soll der Erreger von einem Markt für exotische Tiere in Wuhan stammen.

Dort ist das öffentliche Leben praktisch zum Erliegen gekommen. Die 11-Millionen-Metropole hat am Sonntag nun auch sämtlichen Autoverkehr auf den Straßen verboten. Das US-Konsulat in Wuhan hat unterdessen die Evakuierung seiner Angestellten sowie einer begrenzten Anzahl an Zivilisten für Dienstag angekündigt. Auch die Regierungen Japans, Russlands und Frankreichs planen Evakuierungen ihrer Staatsbürger aus der sechstgrößten Stadt des Landes.

Die medizinische Versorgung vor Ort ist prekär. Das belegen Videos, die in den sozialen Netzwerken kursieren. Darauf zu sehen sind überfüllte Notaufnahmen, in denen Krankenschwestern verzweifelte Menschen nach Hause schicken müssen. In einem von Patienten gefilmten Video schreit ein Arzt in ein Telefon-Headset: „Feuern Sie mich einfach!“

Laut offiziellen Angaben haben sich mindestens 15 Mediziner in Wuhan mit dem Coronavirus angesteckt, ein Arzt ist bereits verstorben. Die Dunkelziffer liege jedoch viel höher, erzählte ein Arzt der Hongkonger Zeitung „South China Morning Post“. Demnach seien die Krankenhaus-Angestellten ursprünglich nicht darüber informiert worden, dass sich das Virus auch über menschlichen Kontakt verbreiten könne. Zudem fehlten weiterhin Schutzausrüstung und Testkits.

Die Behörden arbeiten unter Hochdruck daran, den Ansturm der Patienten zu bewältigen. Bis in zehn Tagen soll in Wuhan eine riesige neue Klinik mit mehr als 1000 Betten bereitstehen. Am Samstag beschloss die Gesundheitskommission in Peking, über 1200 Experten in die Stadt zu entsenden und 24 allgemeine Krankenhäuser ausschließlich zur Virusbekämpfung umzufunktionieren.

In den sozialen Netzwerken berichten Leute in Wuhan und der umliegenden Hubei-Provinz von leeren Ladenregalen und Preisaufschlägen bei Lebensmitteln. Eine Nutzerin twitterte Fotos von einem Gemüseladen, der nur mehr vereinzelte Salatköpfe führte – für umgerechnet fünf Euro das Stück. Die „New York Times“ berichtet, dass viele Märkte und Läden geschlossen seien. Chinesische Botschaften im Ausland posteten in den sozialen Netzwerken Videos, auf denen ungezählte Lastwagen auf den Einfahrtstraßen nach Wuhan zu sehen sind – angeblich mit Lebensmitteln beladen.

Wirtschaftlich wird die Epidemie wohl schwerwiegende Folgen haben für China. Über ein Dutzend Städte in der Hubei-Provinz wurden abgeschottet und lahmgelegt. Zudem werden die Konsumausgaben während der chinesischen Neujahrsfeierlichkeiten, die am Samstag begonnen haben, wohl massiv einbrechen. 2019 gaben die Chinesen in dieser Zeit umgerechnet 149 Milliarden Dollar aus. Das wird die angeschlagene Wirtschaft weiter schwächen. Derzeit wächst diese nur mit 6,1 Prozent, so langsam wie seit 30 Jahren nicht mehr. In einer ersten Einschätzung geht der Analysedienst Economist Intelligence Unit von einem Einbruch des Wachstums von bis zu einem Prozentpunkt aus.

Auch im asiatischen Ausland reagieren die Menschen hysterisch. In Südkorea gibt es etwa eine Petition auf der Präsidenten-Webseite, in der dazu aufgerufen wird, „chinesische Staatsbürger aus unserem Land zu verbannen“. Nach vier Tagen hat die Initiative bereits über 285 000 Unterschriften gesammelt – obwohl zwei der insgesamt drei Infizierten in Südkorea auch südkoreanische Staatsbürger sind.

Bürger in Hongkong fordern die  Schließung der Grenze zu China

In Hongkong fordern ebenfalls immer mehr Bürger von ihrer Lokalregierung, die Grenzen zu Festlandchina zu schließen. „Vor wenigen Wochen noch haben wir Hongkonger darüber geredet, welche Masken uns am besten vor dem Tränengas der Polizisten schützen. Heute diskutieren wir noch immer über Masken, aber jetzt über welche, die uns vom Coronavirus aus China schützen können“, schreibt Demokratie-Aktivist Joshua Wong auf seinem Twitter-Account.

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