„¿Qué tal?“ - Coronavirus in Spanien Wie ein GA-Reporter die Ausgangssperre auf Mallorca erlebt

Llucmajor · Unser GA-Reporter Michael Wrobel hat seine Basis auf Mallorca. Die Insel hat sich seiner Einschätzung nach mit der Situation arrangiert. Doch wie ernst es ist, merkt auch er an der Supermarktkasse - nicht nur, weil er kein Toilettenpapier mehr findet.

Wie Mallorca die Ausgangssperre erlebt
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Foto: Michael Wrobel

„Wieso hat Deutschland denn nicht auch schon längst eine Ausgangssperre?“ Das Unverständnis steht unserer Nachbarin ins Gesicht geschrieben, als wir uns wie fast jeden Tag von unseren Balkonen aus zuwinken. Während in Deutschland noch immer über härtere Maßnahmen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus diskutiert wird, herrscht in Spanien und damit auch auf Mallorca schon seit dem 15. März eine weitestgehende Ausgangssperre.

Nur Gänge zum Supermarkt, zur Arbeit oder zum Arzt sind noch erlaubt - und das nur einzeln. Noch bis mindestens zum 9. Mai soll diese Ausgangssperre spanienweit bestehen bleiben, teilte Spaniens Ministerpräsident mit.

Die Balearen sind nach Kantabrien bisher die Region in Spanien mit der geringsten Zahl von Infizierten. Mit Stand 18. April waren es auf den Balearen rund 1.750 Erkrankte, 148 Menschen starben. Die balearische Ministerpräsidentin Francina Armengol hatte schon früh gefordert, die Insel abzuschotten, um die Zahl weiter gering zu halten. Seit dem 21. März ist der Flughafen in Palma bis auf ganz wenige Ausnahmen tatsächlich geschlossen. Urlauber wurden nach und nach ausgeflogen, in der Folgewoche wurden alle Hotels der Insel geschlossen (siehe Info-Kasten). Beim Fährverkehr ist lediglich der Warentransport noch erlaubt.

Und der klappt bisher ohne Probleme. Im Gegensatz zu Deutschland, wo vor allem Wasser und Toilettenpapier gehamstert werden, hatten sich die Mallorquiner noch zu Beginn des Alarmzustands wegen der Coronakrise vor allem mit einem eingedeckt: Fleisch. Wie leergefegt waren die Kühlregale. Entsprechend überrascht bin ich, als ich nach einer Woche Ausgangssperre das erste Mal wieder einkaufen gehe: Mittlerweile sind alle Regale wieder voll. Nur Toilettenpapier bekomme ich momentan einfach in keinem Geschäft.

Bis auf wenige Ausnahmen, in denen die Polizei Bußen verhängen musste, halten sich die Menschen an das Ausgehverbot. Fünf Personen nahm die Polizei jedoch zwischenzeitlich fest, da sie mehrfach gegen die Auflagen verstoßen hatten, teilten die Behörden am Montag mit. Kontrolliert wird die Ausgangssperre nicht nur von der Polizei. Mittlerweile sind auch Soldaten auf der Insel, die an Straßensperren und Kontrollposten präsent sind. An das Bild von Militär am Flughafen, vor der Kathedrale von Palma oder auf dem Paseo Maritimo, der Hafenpromenade von Palma, muss man sich erst einmal gewöhnen. Ein mulmiges Gefühl rufen die Soldaten in ihren Flecktarnuniformen auf jeden Fall hervor.

Mallorquiner nehmen Rücksicht beim Einkauf

Im Alltag, wenn man den noch so bezeichnen kann, hat sich die Insel mit der Situation aber irgendwie arrangiert: Bei meinem Einkauf sehe ich, wie jeder wie selbstverständlich auf den Mindestabstand von 1,50 Metern achtet, niemand beschwert sich über die Warteschlange und die Einlasskontrolle vor dem Supermarkt, das Hamstern ist vorbei.

In der Apotheke werden die Kunden nur einzeln eingelassen. Die Mitarbeiterin steht hinter einer provisorisch aufgestellten Plexiglasscheibe und schiebt mir meine Medikamente, die ich auch außerhalb der Coronakrise nehmen muss, mit einem Lächeln durch einen kleinen Schlitz. Erleichtert reagiert sie, als ich meine Kreditkarte zum Bezahlen auf das Lesegerät auflege – Bargeld will dieser Tage keiner so gerne annehmen. Auf dem Boden mit Kreppband aufgeklebte Pfeile weisen mir anschließend den Weg zum Ausgang, während hinter mir der nächste Kunde die Apotheke betreten darf. In der Drogerie nebenan sind nur die notwendigen Bereiche geöffnet. Mit Folien hat man die Regale mit Kosmetika, Parfüms oder auch Spielsachen abgehängt.

„Alles wird gut“: Kinder malen Regenbogen-Bild

Bis auf die kurzen Gänge zum Einkaufen spielt sich das Leben nun nur noch in den eigenen vier Wänden ab – und die sind mitunter ziemlich eng. In einer Nachbarswohnung wartet Joan mit seiner Frau und den drei kleinen Kindern auf das Ende der Ausgangssperre. Um sich irgendwie zu beschäftigen, veranstalten die fünf jeden Mittag mit selbstgebastelten Trommeln auf dem Balkon ein kleines Konzert für die Nachbarschaft – und sorgen bei meiner Frau und mir damit regelmäßig für Gänsehaut. An die Fensterscheiben haben die Kinder einen gemalten Regenbogen gehängt – mit dem Zusatz „Alles wird gut“.

Jugendliche feiern nicht etwa Coronapartys, sondern gehen für ältere Nachbarn wie selbstverständlich einkaufen. Polizisten animieren vor Wohnanlagen die Menschen auf den Balkonen zum Tanzen – und werden damit im Internet zum viralen Hit. Auch wir sind natürlich besorgt über die momentane Situation. Doch es sind solche kleinen Momente, die einen zuversichtlich machen.

Die Notsituation scheint alle enger zusammen zu schweißen, auch wenn momentan jeder auf Distanz gehen muss. Das auch sonst bei Begrüßungen unter Spaniern übliche „¿Qué tal?“ (Wie geht’s?) klingt dieser Tage nicht einfach so dahingesagt. Als es mir die Kassiererin im Supermarkt entgegenbringt, spüre ich deutlich die Sorge in ihrer Stimme.

Allabendliche Solidarität mit den „Helden der Coronakrise“

Während es dieser Tage im wahrsten Sinne des Wortes still auf der Insel geworden ist, zeigen wir jeden Abend um 20 Uhr, dass wir auch laut können: Denn dann treten die Menschen, wie in ganz Spanien, auf die Balkone oder ans Fenster und klatschen lautstark – um so die Solidarität mit den „Helden der Coronakrise“ zu zeigen. Wir bejubeln Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger und Supermarktmitarbeiter. Und jeden Abend machen mehr mit. Dazu fahren Lokalpolizisten mit Sirene und Blaulicht durch die Straßen und werden frenetisch bejubelt.

Die Botschaft dabei ist klar: Wir halten zusammen und werden auch diese Krise gemeinsam überstehen. Auch unsere Nachbarin von nebenan macht mit und lächelt in diesem Moment noch mehr als sonst. Mit der Hoffnung, dass auch Deutschland es den vielen anderen EU-Staaten gleichmacht und konsequent Zuhause bleibt. Um das Virus einzudämmen.

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