Regie-Star Addio Bertolucci - Der "letzte große Maestro" geht

Rom · Sein Werk drehte sich um das Verbotene und das Verborgene, überschritt Grenzen und war noch dazu politisch. Nun ist mit Bernardo Bertolucci einer der letzten ganz großen italienischen Filmemacher des 20. Jahrhunderts gegangen.

 Der italienische Filmregisseur Bernardo Bertolucci (r) während der Dreharbeiten zum Film "Der letzte Kaiser" (1987).

Der italienische Filmregisseur Bernardo Bertolucci (r) während der Dreharbeiten zum Film "Der letzte Kaiser" (1987).

Foto: Neal Ulevich

Er war voyeuristisch und politisch, er provozierte und kalkulierte den Skandal. Er wurde gewürdigt mit Oscars und Golden Globes, von den Filmfestspielen in Venedig und Cannes.

Als einer der letzten ganz großen italienischen Filmemacher des 20. Jahrhunderts ist Bernardo Bertolucci am Montag im Alter von 77 Jahren an den Folgen eines Krebsleidens gestorben. Der "letzte große Maestro" des italienischen Kinos habe eine Persönlichkeit gehabt, die sich jemand hätte ausdenken müssen, hätte sie nicht wirklich existiert, schreibt die italienische Tageszeitung "La Repubblica".

Er habe sich immer dagegen gewehrt, das Filmemachen an einer Schule zu lernen, sagte Bertolucci 2012 in einem Interview. "Später wurde mir klar, dass man lernen muss, was es bedeutet, Regisseur in der Realität der Dinge zu sein."

Nach dem Abitur reiste der 1941 in Parma geborene Bertolucci nach Paris, wo er nicht den Louvre, sondern die Cinémathèque besuchte, um sich Filme anzuschauen. Mit dem Schreiben hatte er noch früher angefangen, das sei für ihn - Sohn eines in Italien recht bekannten Literaten - selbstverständlich gewesen. Über seinen Vater lernte Bertolucci Pier Paolo Pasolini kennen, der ihn als Regieassistenten engagierte. Der Weg war geebnet.

1972 dann der Durchbruch: "Der letzte Tango in Paris" wurde nicht nur zum Kultfilm, er lieferte auch eine der wohl bekanntesten und umstrittensten Szenen der Filmgeschichte. Darin zwingt der Amerikaner Paul (Marlon Brando) die junge Jeanne (Maria Schneider) zum Analverkehr - und greift zu Butter als Gleitmittel.

Von diesem Detail wusste die Schauspielerin Schneider nichts - Bertolucci und Brando hatten sie nicht eingeweiht. Spätere Aussagen von Bertolucci über die Szene sorgten für einen Aufschrei, klang es zunächst so, als habe Schneider selbst von der Vergewaltigungsszene nichts gewusst. "Um Filme zu machen und etwas zu erreichen, denke ich, dass du komplett frei sein musst", hatte Bertolucci in dem Zusammenhang gesagt. "Ich wollte nicht, dass Maria ihre Erniedrigung, ihre Wut spielt. Ich wollte, dass Maria es spürt." Dafür habe Schneider ihn ein Leben lang gehasst. Der Film, der in Spanien zensiert wurde, brachte der Schauspielerin nicht nur Ruhm, sondern warf auch Schatten über ihr Privatleben und ihre weitere Karriere.

"Er hat sich nie versteckt, er hat nie Angst gehabt, sich zu zeigen, er hat nie aufgehört, Streit anzuheizen, Stellung zu beziehen", schreibt "La Stampa" zu Bertoluccis Tod.

Tiefe Fußspuren im Kino des 20. Jahrhunderts hinterließ Bertolucci auch mit seinem wohl ehrgeizigsten Projekt "1900" (1976), ein fast fünfeinhalb Stunden langes Epos über die italienischen Bauern- und Klassenkämpfe Anfang des Jahrhunderts. Ein Blockbuster wurde der äußerst politische Film wohl auch wegen seiner Länge nicht - und das trotz Traumbesetzung mit Stars wie Burt Lancaster, Donald Sutherland, Robert de Niro und Gérard Depardieu. Politisch war Bertoluccis Werk auch schon vorher, wie sich in "Vor der Revolution" (1964) und in "Der große Irrtum" (1970) über einen gesetzten Professor während des Faschismus zeigte.

Für seine enorme Bandbreite und künstlerische Klasse wurde der einst bekennende Marxist mehrfach ausgezeichnet. "Der letzte Kaiser" von 1987 bekam neun Oscars und vier Golden Globes und schrieb damit Kinogeschichte. Der Film dreht sich um das Leben des letzten chinesischen Imperators, der bereits als Dreijähriger an die Macht kam, von den Untertanen als Gott verehrt wurde und "wie ein Gefangener seiner eigenen Macht lebte". Bertolucci durfte als erster westlicher Regisseur an Originalschauplätzen in Peking drehen.

Gewürdigt wurde längst nicht Bertoluccis ganze - in Zahlen recht überschaubare - Filmographie. Sein fernöstlicher "Little Buddha" (1993) etwa entpuppte sich als Flop und auch "Die Träumer" (2003) überzeugte das Publikum und Kritiker nicht. Nach einer zehnjährigen Regie-Pause war Bertolucci mit "Ich und du" (2012) in die Kinos zurückgekehrt. "Einen Film will und kann ich noch machen", hatte Bertolucci, der seit einer misslungenen Bandscheiben-Operation im Rollstuhl saß, im Frühling 2018 in einem seiner letzten Interviews der Zeitschrift "Vanity Fair" noch gesagt. "Der Wunsch zu arbeiten ist da, der Rest kommt von selbst."

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