Mückenplage in Deutschland Nach dem Regen kommen die Blutsauger

Bonn · Andauernder Niederschlag hat Deutschland in ein Paradies für die Blutsauger verwandelt. Im Rheinland sind sogar Hubschrauber unterwegs, um die Brutstätten auszurotten. Droht uns in diesem Sommer trotzdem eine Mückenplage?

 Nur weibliche Mücken werden zu Blutsaugern - das Menschenblut dient zur Formung der Eier.

Nur weibliche Mücken werden zu Blutsaugern - das Menschenblut dient zur Formung der Eier.

Foto: dpa

Sie schwirrt auf, als ich das eine Bein über das andere lege. Ich wedle kurz, schon sehe ich sie nicht mehr. Dann blicke ich wieder nach vorn, auf die grüne Wiese vor meinem Balkon, bis sich das kleine, dunkle, fliegende Etwas vor meiner Nase befindet. Wusch! Falsche Taktik. Ich muss sie sich setzen lassen. Sie setzt sich tatsächlich, das blöde Vieh, auf den rechten Fußknöchel, und schon haue ich sie platt. Die Wiese schiebt sich wieder vor meine Augen. Der Feind der guten Stimmung ist tot! Und dann beginnt es am linken Knöchel zu jucken.

Doreen Walther würde jetzt vermutlich sagen: Geschieht ihr recht. Zumindest aber muss sie schon von Berufs wegen vehement dem Spruch „Nur eine tote Mücke ist eine gute Mücke“ widersprechen. Walther ist Biologin und erarbeitet am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (Zalf) in Müncheberg (Brandenburg) den Mückenatlas. Eine Kartei, die deutschlandweit greift, Verbreitungsgebiete und neu eingeschleppte Arten verzeichnet.

Andauernder Regen bot viele Brutplätze

Beides hat Brisanz in Deutschland. Der andauernde Regen dieses Nicht-Sommers, in Teilen Deutschlands zur Naturkatastrophe mutiert, hat den Mücken ein Paradies bereitet. Überall ist es immer wieder nass, und trotzdem ist es warm. Das heißt auf Mückendeutsch: Überall gibt es Brutplätze. Mücken legen ihre Eier nämlich ins Wasser. Und dann kommt die Sonne raus. Wir knallen alles, was Jacke ist, in die hinterste Kleiderschrankecke, schlüpfen in Sommerkleid und Shorts und setzen uns – auf Mückendeutsch – auf die Speisekarte der kleinen Biester.

Eine Mückenplage droht. Eine richtig große, richtig schlimme. Heißt es. Die Experten sind etwas nüchterner. Doreen Walther sagt, ja, es werde wohl in diesem Jahr „schon mehr Mücken als in den zwei vergangenen“ geben. Wegen des Dauerregens. Björn Rulik vom Bonner Museum Koenig findet das mit der Plage „aufgebauscht“ und hat gleich ein paar Zahlen als Beleg parat: „Es gibt weltweit etwa 3700 Mückenarten – in Europa kommen etwa 100 vor. Inklusive unserer asiatischen Freunde, der Tiger- und der Buschmücke, die hierhin eingewandert sind, sprechen wir von etwa 60 Stechmückenarten. Und davon wiederum saugen nur die Weibchen Blut.“ Blut übrigens, das erstens nicht unbedingt von uns Menschen kommen muss – Rulik: „Die asiatische Buschmücke steht mehr auf Vögel“ – und im Übrigen nicht als Nahrung, sondern zur Formung der Eier dient. Jetzt könnte man sagen: Gut, sind die Eier mal gelegt, haben wir Ruhe. Aber ein Mückenweibchen legt einmal im Jahr nicht zehn, nicht 100, nein: 300 Eier. Und die neuen Mückenweibchen haben von Geburt an nur ein Ziel: selber Eier legen.

Experte: Dieses Jahr ist extrem

Nun kommt es auf Norbert Becker an. Der Biologe ist wissenschaftlicher Direktor von Kabs, der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage am Rhein. Rund 100 Kommunen von Bingen bis zum Kaiserstuhl zählen zum Kabs-Einsatzgebiet.Und die Mitarbeiter haben Stress – und zwar richtig: „Durch die Überflutungen haben wir derzeit ideale Mückenbedingungen“, sagt Becker. Kabs kämpft mit einem Eiweißpräparat namens BTI, das wie eine Darmkrankheit bei den Insekten wirkt: Nehmen Larven es auf, sterben sie. Sind Larven aber erst einmal verpuppt, wirkt das Mittel nicht mehr. Bis zur Verpuppung dauert es vier Tage.

Beckers Stress in Zahlen: 300 Mitarbeiter sind derzeit im Einsatz, 17.000 Hektar wurden bislang mit dem Hubschrauber abgeflogen, 7000 zu Fuß zurückgelegt – immer entlang der Brutstätten, immer in der Hoffnung, dass die Mücken noch Larven sind. 280 Tonnen BTI hat Kabs bislang verteilt. 2015 waren es nur 200. „Dieses Jahr“, sagt Becker, „ist extrem.“

Was tun als Mensch und Mückenopfer? Fliehen oder sich anziehen, als sei Winter, empfiehlt Rulik vom Museum Koenig: „Mücken mögen keine freien, trockenen, heißen Flächen. Deshalb kann man es an Stränden aushalten.“ Ansonsten: „Langärmelige Hemden und lange Hosen tragen. Auf den Stoff Mückenspray sprühen – für die Haut ist keines dieser Mittel wirklich gesund. Die einheimischen Stechmücken haben zwar einen so langen Saugrüssel, dass sie quasi durch jede Stofflage kommen, aber besprühter Stoff hält sie fern. Die asiatischen Einwanderer dagegen kommen mit ihren eher kurzen Rüsseln durch den Stoff nicht durch.“

Comeback der Tigermücke

Apropos Einwanderer: Hier kommt wieder Doreen Walther ins Spiel. In den 1970er Jahren erklärte die Weltgesundheitsorganisation Deutschland für malariafrei. Gut 40 Jahre später wird in Baden-Württemberg die Tigermücke entdeckt – die das Denguefieber überträgt. Eine schwarzweiß Gestreifte aus Asien. Wie die hierher kam? Globalisierung. Mücken reisen mit den Menschen um die Welt. Und die Tigermücke ist ein bescheidender Einwanderer: „Ihr reicht ein zwei Millimeter hoher Wasserspiegel, um Eier ablegen zu können“, sagt Walther.

Die Tigermücke war es letzten Endes, die zum Entstehen des Mückenatlas führte. Sie blieb nämlich nicht in Baden-Württemberg, sondern reiste weiter und landete 2011/2012 in Bonn und Köln. Walther fuhr nach Bonn und suchte sie – entlang des Rheins und auf den Friedhöfen, die, wie Rulik vom Museum Koenig bestätigt, eine Art Fünf-Sterne-Hotel für Mücken darstellen: „Lauter Vasen mit Wasser, meist auch Schatten, Ruhe – und immer wieder Menschen.“

Während Walther am Rhein die Vasen umdrehte, klingelte in Müncheberg das Telefon Sturm. Auf einmal wollte jeder überall Tigermücken gesehen haben. Dann immer hinfliegen, um vielleicht „nur“ ein normales einheimisches Mückchen zu finden? Viel zu aufwendig. Stattdessen setzen Walther und Helge Kampen vom Friedrich-Löffler-Institut auf der Insel Riems jetzt auf Menschen, die wissenschaftsfreundlich sind: Für den Mückenatlas haben Walther und Kampen bereits 30.000 Mücken geschickt bekommen. Und zwar nicht platte: „Die können wir ja nicht unters Mikroskop legen“, sagt Walther. Nein, ein bisschen Aufwand im Dienste der Wissenschaft muss sein: „Fangen Sie die Mücke in einem kleinen Döschen, legen Sie sie ins Gefrierfach und dann schicken Sie sie zu uns.“

Walther kann von abenteuerlichen Paketen erzählen. „Manche schicken uns Überraschungseier mit Mücken, andere Mini-Tupperware, Marmeladengläschen, Streichholzschachteln ...“ Eines ist klar: „Wir nehmen jede Mücke“, sagt Walther.

Weitere Infos finden Sie auch www.mueckenatlas.de

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