Wie die Insel zusammenhält Mallorca eine Woche nach der Unwetter-Katastrophe

Palma de Mallorca · Hätte die Unwetter-Katastrophe, bei der am vergangenen Dienstag auf Mallorca mindestens 12 Menschen starben, verhindert werden können? Möglicherweise hat der Wetterdienst zu spät gewarnt. Ein Stimmungsbericht.

Ein schriller Pfiff aus einer Polizeipfeife unterbricht das bunte Treiben auf dem Marktplatz von Llucmajor. Wo gerade noch Kinder fröhlich gespielt haben, Mallorquiner und Urlauber in den Straßencafés gegessen, sich unterhalten und gelacht haben, herrscht plötzlich Stille. Nur wenige Augenblicke zuvor waren aus verschiedenen Richtungen mehrere Dutzend Menschen gekommen, die sich vor dem Rathaus der Stadt - rund 25 Kilometer vor den Toren Palmas gelegen - versammelten. Punkt 20 Uhr ertönt dann der Pfiff aus der Polizeipfeife eines Beamten der Policia Local, der ebenfalls vor dem Rathaus steht. An der Fassade hängt eine riesige schwarze Trauerschleife. Die Menschen senken ihre Köpfe, einige haben die Hände zum Gebet gefaltet. Für eine Minute herrscht völlige Stille. Nach exakt 60 Sekunden dann ein zweiter Pfiff, gefolgt von Applaus der Anwesenden. Und schon setzt das Gewusel auf dem Markplatz wieder ein.

Schweigeminuten gehören in diesen Tagen auf Mallorca in vielen Orten der Insel zum Alltag. Die Anteilnahme ist riesig, nachdem am Dienstag bei dem schweren Unwetter mindestens 12 Menschen im Nordosten der Insel ums Leben gekommen sind. Darunter waren auch drei Deutsche. Und auch die Hilfsbereitschaft mit den Flutopfern rund um Sant Llorenç im Osten von Mallorca ist überwältigend groß. Die halbe Insel scheint den betroffenen Menschen helfen zu wollen.

Freiwillige und Rettungskräfte im Dauereinsatz

Nachdem vergangene Woche mehr als 1.000 Freiwillige Schlamm beseitigt und Trümmer weggeräumt haben, waren am Wochenende Klempner, Elektriker und Maurer angerückt. Sie kümmern sich seither um die ersten Reparaturarbeiten – und das unentgeltlich. Auch für die nächsten Tage werden weitere professionelle Helfer benötigt, um die Folgen der Sturzflut, die den kleinen Ort heimgesucht hatte, zu beseitigen.

Gebraucht werden auch finanzielle Hilfen für die Betroffenen – und das Geld fließt bereits. So haben viele Mallorquiner, aber auch deutsche Residenten, gespendet. Bei Facebook gibt es ständig neue Aufrufe, den Menschen zu helfen. Geld soll „so schnell wie möglich“ auch von staatlicher Seite fließen, sagte Balearen-Präsidentin Francina Armenhol gestern.

Viele Städte organisieren seit Tagen Busfahrten für freiwillige Helfer in die betroffene Region. So soll verhindert werden, dass sich die Menschen mit den eigenen Autos auf den Weg in den Osten aufmachen und so die ohnehin schon zum Teil unpassierbaren Straßen noch zusätzlich zu verstopfen.

Denn die Wege müssen frei bleiben – für die vielen Rettungskräfte, die noch immer im Einsatz sind: Feuerwehrleute überprüften Häuser und stabilisierten Gebäude, die durch die Flut strukturelle Schäden erlitten hatten. Andere Kräfte pumpen Wasser aus Gebäuden und Zisternen. Und auch die Suche nach dem letzten Vermissten der Flutkatastrophe, dem fünfjährigen Artur, geht weiter.

Suche nach Fünfjährigem geht weiter

Nach Angaben der Mallorca-Zeitung suchen mehr als 200 Taucher der Rettungseinheit des Militärs und der Guardia nach dem Jungen. Auch Spürhunde waren im Einsatz. Anhand mathematischer Formeln, die die Strömungen des Sturzbaches berechnen, der bis ins Meer bei S'Illot fließt, könnte man die Gegend recht exakt bestimmen, zu der der Körper des Kleinen getrieben worden sein könnte, sagte die balearische Ministerin für öffentliche Verwaltung, Catalina Cladera am Montag. Gefunden wurde bisher lediglich der Rucksack des Kindes. Am Donnerstag hatten die Kräfte einen anderen Rucksack entdeckt. Er stammt von Arturs Schwester Úrsula. Das Mädchen war von einem deutschen Radfahrer lebend aus dem reißenden Strom gezogen worden, während die Mutter der Kinder in ihrem Auto mitgerissen wurde und ums Leben kam. Die Familie des Opfers hatte zunächst nach dem Mann gesucht, am Freitag konnte sie sich schließlich bei ihm für die Rettung bedanken.

Insgesamt wurden mehr als 200 Personen aus ihren Häusern oder von Dächern in der Unwetternacht gerettet. Auch rund 60 Tiere konnten lebend geborgen werden, teilten die Rettungskräfte am Wochenende mit. Für 220 Tiere sei dagegen jede Hilfe zu spät gekommen. Sie entkamen den Fluten nicht. Rund 300 Häuser wurden allein rund um Sant Llorenç überflutet, in Mallorcas Osten waren es insgesamt etwa 600. Etwa 400 Autos wurden teilweise oder gänzlich zerstört.

Wetterdienst warnte erst, als die Flut schon da war

Unterdessen fragen sich immer mehr Menschen auf Mallorca, ob die Katastrophe hätte verhindert werden können. In der Kritik steht die Wetterbehörde Aemet, die zu spät vor den starken Regenfällen gewarnt haben soll. So wurde die für derartige Regenfälle vorgesehene Warnstufe Rot erst rund drei Stunden nach den Überschwemmungen in Sant Llorenç aktiviert. Fest steht, dass die Wetterexperten die Menge der Niederschläge massiv unterschätzt hatten. Die Warnstufge Gelb wurde erst in dem Moment auf Orange geändert, als der Sturzbach in Sant Llorenç schon über die Ufer getreten war und die ersten Bilder von weggeschwemmten Autos in den sozialen Medien kursierten. Für die Menschen in den betroffenen Orten kam die Warnung damit viel zu spät.

"Es ist unglaublich schwierig, einen solche Wetterverschlechterung vorherzusagen, weil sie wie aus dem Nichts und rasend schnell kam", versuchte Geographie-Professor Celso García von der Balaren-Universität UIB in einem Interview mit der Mallorca-Zeitung zu relativieren. Das Wasser habe sich in rasendem Tempo in den Bergen der Serra de Calicant nördlich von Sant Llorenç gesammelt und sei dann in vollem Tempo den Sturzbach hinuntergerast. Eine eigene Wetterstation, die frühzeitig die Niederschläge hätte registrieren können, gibt es in Sant Llorenç nicht. Aemet ist deshalb, wie in den meisten Dörfern auf der Insel, auf freiwillige Wettermelder angewiesen.

Und so kommt bei den vielen freiwilligen Helfern, die sich im Krisengebiet engagieren, auch Frust und Ärger auf. Aufhören zu helfen wollen sie jedoch erst, wenn alles wieder aufgebaut ist.

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