Kommentar zum Katastrophentourismus Katastrophe und Komfort

Meinung | Braunsbach · Es wiederholt sich mit trauriger Regelmäßigkeit: Wo Schlimmes geschieht, sind Gaffer nicht weit. Deren Motive sind allzu menschlich, doch schlicht respektlos.

 Autos liegen am 30. Mai in Braunsbach (Baden-Württemberg) unter einer Schutthalde. Durch heftigen Regen waren zwei kleine Bäche über die Ufer getreten, Häuser und Autos wurden beschädigt.

Autos liegen am 30. Mai in Braunsbach (Baden-Württemberg) unter einer Schutthalde. Durch heftigen Regen waren zwei kleine Bäche über die Ufer getreten, Häuser und Autos wurden beschädigt.

Foto: dpa

Es erscheint als zwanghafter Reflex: Da ist etwas so schlimm, dass man es unbedingt sehen muss. Auch wenn Wegsehen die wohlerzogenere Variante wäre. Das Hinsehen ist beispielsweise bei Unfällen eine bekannte Hässlichkeit. Da liegen Menschen schlimmstenfalls in ihrem Blut, sind Helfer im Rettungseinsatz – und vorbeifahrende Zeitgenossen bremsen ab, zücken ihre Handys und werden zu Gaffern.

Ist solches Verhalten noch der Zufälligkeit der Gelegenheit geschuldet, so ist in Braunsbach zurzeit geplante Sensationssucht zu beklagen: Der am 29. Mai von einem verheerenden Unwetter in Teilen verwüstete Ort in Baden-Württemberg wird von Katastrophentouristen heimgesucht. In anderthalb Stunden schickten Polizisten am Sonntag 180 Autofahrer zurück, die auf gesperrten (!) Strecken in Richtung vermeintlicher Schauwerte unterwegs waren.

Keine Frage: Das Außergewöhnliche lockt. Und auch der Reiz, die Auswirkungen von Naturgewalten zu beobachten, die einen selbst nicht getroffen haben, ist nachvollziehbar. Menschliche Neugier ist eben das: menschlich. Und auch das leise Schaudern angesichts der Hinterlassenschaften elementarer Gewalten ist nachzuempfinden. Verbunden mit dem leisen Aufatmen, dass Dach, Wände und Möbel zu Hause unbeschadet auf einen warten, der Weg von der Katastrophe zurück zum Komfort klimatisiert und risikofrei zu bewältigen ist.

Doch neben dieser allzu menschlichen Neugier gibt es zumindest die Anlage für eine weitere Regung in uns, die übrigens nicht einmal allen Tieren fremd ist: Mitgefühl. Das äußert sich schwerlich in Krokodilstränen, während man zugleich nach der Kamera fingert. Das könnte sich äußern in praktischem Zupacken oder unmittelbarer materieller Hilfe. Oder einfach nur darin, dass man seine Neugier bezwingt und zu Hause bleibt. Wer es nicht kennt: Respekt ist ein schöneres Gefühl als befriedigte Sensationslust.

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