Masern-Impfung Je gebildeter, desto skeptischer

BONN · Das Ziel, in Deutschland die Infektionskrankheit auszurotten, scheitert gerade das zweite Mal. Ursache: Zu geringe Impfquote

Die jüngste Masernwelle in Deutschland und den USA hat die Debatte über den Sinn und Nutzen einer Impfung im Kleinkindalter neu entfacht. Allein in der letzten Januarwoche registrierte Deutschland 82 neue Fälle - so viele wie noch nie seit 2001, bewertete das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin die Infektionsdynamik. Inzwischen marschiert die Gesamtzahl der Fälle auf die 600er-Marke zu, und 90 Prozent der Betroffenen gaben nach RKI-Angaben an, nicht geimpft zu sein.

Eigentlich sollte die Ansteckungskrankheit, die unspektakulär mit Erkältungssymptomen beginnt, aber im schlimmsten Fall tödlich endet, 2015 in Deutschland ausgerottet sein. Doch dieses Ziel wäre realistisch nur erreichbar, wenn, so die Weltgesundheitsorganisation (WHO), 95 Prozent der Kinder, bevor sie eine Gemeinschaftseinrichtung besuchen, gegen Masern geimpft sind. In einem Land gelten die Masern als besiegt, wenn weniger als ein Mensch von einer Million erkrankt.

Nach einschlägigen Erhebungen ist Deutschland keineswegs impfmüde. 2013 hatte das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland einen Masern-Impfatlas veröffentlicht, jedoch stammten die Daten aus 2008 bis 2010. Da betrug die durchschnittliche Impfquote bei Kindern bis zum ersten Lebensjahr bei der Erstimpfung 85,8 Prozent, bei der Zweitimpfung jedoch nur noch 62 Prozent. Inzwischen bewegt sie sich in beiden Phasen bei rund 90 Prozent, jedoch sind die regionalen Unterschiede beachtlich. Im Süden sind die Impflücken am größten. 2010 variierte die Quote bei der Zweitimpfung zwischen 79,5 (Neuss) und 35,1 Prozent (Rosenheim). Jürgen Graalmann, AOK-Bundesvorsitzender, appellierte gestern an die Eltern: "Wenn es um das Leben von Kindern geht, die noch nicht allein entscheiden können, sollten wir auch einmal aufhören zu diskutieren und uns an das halten, was uns Medizin und Forschung lehren."

Folgt man einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, so gibt es gar keinen ernstzunehmenden Streit über den Impfnutzen, denn nur ein Prozent der befragten Eltern lehnen eine Impfung ihrer Kinder strikt ab. Eine bemerkenswerte Erkenntnis der Masern-Impfatlas-Studie war zudem, dass die Impfverweigerung mit einem höheren Bildungsgrad der Mütter nicht etwa sinkt, sondern steigt.

"Auch der Einfluss regional unterschiedlich stark vertretener impfkritischer Ärzte, Heilpraktiker und Homöopathen wirkt sich vermutlich aus", so Sandra Mangiapane vom Bundesgesundheitsministerium. Danach sind anthroposophische Überzeugungen besonders in den bayerischen Landkreisen Rosenheim, Garmisch-Partenkirchen und Bad Tölz verbreitet - den Schlusslichtern im Impfatlas. Aus dem Masern-Merkblatt der Gesellschaft Antroposophischer Ärzte in Deutschland: "Durch das Fieber überwindet das Kind nicht nur die Maserninfektion, sondern individualisiert dabei seinen Organismus. So kann die Regulation des Immunsystems dabei ausreifen."

Ein weiteres Argument gegen die Mumps-Masern-Röteln-Impfung (MMR): Eine Studie habe ergeben, dass das Serum die Entwicklung von Autismus begünstigt. Tatsächlich hatte die Ende der 1990er Jahre im britischen Fachblatt "The Lancet" veröffentlichte Studie massive Auswirkungen auf die Impfquote in Großbritannien. Sie sank zeitweise unter 80 Prozent. Zwölf Jahre hatten die zweifelhaften Erkenntnisse des Mediziners Andrew Wakefield Zeit, die Impfskepsis über das Königreich hinaus zu beflügeln. Erst 2010 zog "The Lancet" die Veröffentlichung zurück, nachdem die britische Ärztekammer von "unethischen Forschungsmethoden" sprach. Zuvor hatte die "Sunday Times" berichtet, dass Ärzte und Wissenschaftler, die gegen den MMR-Impfstoff plädierten, mehr als 3,5 Millionen Pfund erhalten hatten.

Auch in den USA tobt eine Masern-Debatte, die sich - wie in Deutschland - um die Frage dreht: Soll der Staat eine Impfpflicht einführen? Im Land der vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten begann alles ausgerechnet im "Disneyland": Jemand habe dort vermutlich aus Übersee im Dezember 2014 die Masern eingeschleppt, berichtet die US-Gesundheitsbehörde CDC. Insgesamt 118 Masern-Fälle gab es infolge dieser Infektion seitdem bislang. Zwei weitere Masern-Ausbrüche verursachten mehr als 30 weitere Ansteckungen. Insgesamt sind 17 Bundesstaaten betroffen. Bereits 2014 gab es der CDC zufolge 644 Masern-Fälle - so viele wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr, als die Krankheit in den USA eigentlich für ausgerottet erklärt worden war.

In den USA besteht eine Quasi-Impfpflicht bereits in Teilen, da die meisten Schulen bereits heute die MMR-Impfung vorschreiben. Die meisten Bundesstaaten lassen allerdings Ausnahmen aus religiösen oder moralischen Gründen zu. Zehntausende Eltern haben davon Gebrauch gemacht und ihre Kinder nicht impfen lassen - meist entweder aus Argwohn gegen die Regierung oder gegen die Pharmaindustrie oder aus religiösen Gründen. Insgesamt sind nach Schätzungen von Ärzten rund ein Zehntel der Kinder in den USA nicht ausreichend geschützt.

In den Medien und sozialen Netzwerken wird das Thema Masernimpfung scharf diskutiert. Die US-Regierung ist bislang nicht für eine Impfpflicht, hat aber deutlich mitgeteilt: "Eltern im ganzen Land haben die Verantwortung, ihre Kinder gegen Masern impfen zu lassen."

Nach WHO-Angaben sterben weltweit pro Tag rund 400 Menschen an Masern, meist Kinder unter fünf Jahren und vor allem in Afrika südlich der Sahara. Das Ziel der WHO, die Masern in Europa zu eliminieren, scheitert gerade zum zweiten Mal. Erst war das Jahr 2010 angepeilt, aber auch die fünfjährige Verlängerung reichte nicht. Ursache: Die Impfquoten in den Staaten reichen nicht, um "Herdenimmunität" herzustellen, wie es im Insiderjargon heißt.

Wie sich der Impfschutz erneuern lässt

Zuerst fühlt es sich an wie eine Erkältung, dann breitet sich der rote Ausschlag über den ganzen Körper aus: In Deutschland gehen die Masern um. Hunderte Menschen sind erkrankt, ein Junge starb. Experten empfehlen, unbedingt den Impfschutz zu prüfen.

Impfschutz-Prüfung

Alle Impfungen sind im Impfpass dokumentiert. Wenn der verschwunden ist, stellt der Hausarzt einen neuen aus. Allerdings werden in das neue Exemplar nur Impfungen, die nachweisbar - also dokumentiert - sind, eingetragen. Eine Möglichkeit ist es dann, alle Ärzte, von denen man geimpft wurde, aufzusuchen und um Auszüge aus der Patientenakte zu bitten. Wenn aber zum Beispiel der Kinderarzt zwischenzeitlich in Rente gegangen ist und keine Auskunft mehr geben kann, hilft nur eines: noch einmal impfen lassen. Und für die Zukunft empfiehlt der Deutsche Hausärzteverband: "Der Hausarzt sollte über sämtliche Impfungen stets informiert sein und beispielsweise eine Kopie des Impfpasses vorliegen haben." Auch mit einem Bluttest lässt sich der eigene Impfstatuts überprüfen. Allerdings sollten sich Patienten nicht darauf verlassen. Denn nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) sind fehlerhafte Laborbefunde nicht ausgeschlossen. Die sogenannte Titertestung, bei der das Blut auf Masern-Antikörper untersucht wird, hält das RKI daher nicht für sinnvoll. Besser sei es, sich im Zweifel erneut impfen zu lassen, denn man könne nicht "überimpfen".

Lebenslanger Schutz

Eine zweimalige Impfung gegen Masern bietet einen optimalen Schutz. Denn zwischen fünf und zehn Prozent der Geimpften werden nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) durch die erste Impfung gegen Masern nicht immun. Nach zwei Impfungen sinke dieser Anteil, so dass die Impfeffektivität auf bis zu 99 Prozent steige. Grundsätzlich wird nach zweimaliger Impfung nach Angaben des RKI von einer lebenslangen Immunität ausgegangen. Wer sich gegen Masern impfen lässt, ist aber nicht sofort gegen die Krankheit immun. Bis dahin dauert es ungefähr zehn bis 14 Tage, erklärt Professor Thomas Löscher, Leiter der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin des Klinikums der Universität München. Auch wer einmal die Masern hatte, ist dagegen lebenslang immun. Da erst seit rund 40 Jahren gegen Masern geimpft wird, zählen alle vor 1970 Geborenen nicht zur Risikogruppe, weil sie in ihrer Kindheit meist die Masern hatten.

Ansteckungsrisiko

Da Masern hochansteckend sind, führt fast jeder Kontakt von ungeschützten Personen mit einem Erkrankten zu einer Ansteckung. Darauf weist die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hin. Zudem können Masern bereits fünf Tage vor Auftreten des Hautausschlags übertragen werden. Masern verbreiten sich über Tröpfcheninfektion und durch den Kontakt mit virenhaltigen Körperflüssigkeiten. Hohes Fieber und der typische Ausschlag sind die häufigsten Symptome, es kann aber auch zu lebensbedrohlichen Lungen- oder Gehirnentzündungen kommen.

Nestschutz

Tatsächlich erhält das ungeborene Kind via Blutkreislauf und das Neugeborene über die Muttermilch bereits Masern-Antikörper, weshalb Mediziner von "Nestschutz" sprechen. Doch dies gilt nur, wenn die Mutter selbst eine Masern-Infektion überstanden hat oder geimpft ist. Doch dieser natürliche Schutz verflüchtigt sich in den ersten Lebensmonaten zunehmend. Deshalb empfiehlt das RKI die erste Impfung zwischen dem 11. und 14. Lebensmonat. dpa/tma/ga

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