Kriminalität in Deutschland Immer mehr Senioren werden kriminell

Bonn · Alte Menschen als Gesetzlose? Noch sind es oft skurrile Einzelfälle. Doch mit immer mehr älteren Menschen wird es auch mehr ältere Kriminelle geben, sagen Experten.

 Greise im Seniorenknast – unser Karikaturist Burkhard Mohr hat das Thema überzeichnend aufgespießt.

Greise im Seniorenknast – unser Karikaturist Burkhard Mohr hat das Thema überzeichnend aufgespießt.

Foto: ga

In Bonn erpresst ein 74-jähriger Rentner aus Dortmund die Süßwarenfirma Haribo. Aus Geldnot, wie er sagt. Er bekommt seine geforderte Million nicht. In Bremen steht eine 80-Jährige vor Gericht, die – offenbar angetrunken – eine 63-jährige Frau durch Schläge mit einer Blumenvase und Messerstiche getötet haben soll. Skurril anmutende Fälle von Kriminalität durch Senioren aus jüngster Zeit, die Fragen aufwerfen: Wird es der Staat künftig mit mehr – wenn auch nur altersmäßig – gereiften Straftätern zu tun bekommen? Und wie geht er mit ihnen um?

Das sei zurzeit so ein „mediales Modethema“, sagt der Kölner Strafrechtsprofessor Michael Kubiciel. Doch glaubt er nicht, dass es aus der Mode kommen wird. Ganz im Gegenteil: „Die Zahlen zeigen, dass Seniorenkriminalität zunimmt“, sagt der Experte. Und er ist sicher: „Das Phänomen wird seine Skurrilität und Außergewöhnlichkeit verlieren.“ Allein aus demografischen Gründen: Immer mehr Menschen werden immer älter – und damit auch immer mehr mögliche Täter.

Das Statistische Jahrbuch 2016 weist mit den jüngsten vorliegenden Zahlen von 2014 von den insgesamt 2 149 504 polizeilich ermittelten Tatverdächtigen sieben Prozent aus, die 60 Jahre und älter waren. Die derzeit noch aktuellsten regionalen Zahlen aus dem Jahr 2015 liegen etwa im bundesweiten Trend. Das Polizeipräsidium Köln, zuständig auch für Leverkusen, weist unter 56 463 ermittelten Tatverdächtigen 2912 im Alter von über 60 Jahren aus, das Polizeipräsidium Bonn kommt auf 1044. Die Kreispolizeibehörde des Rhein-Sieg-Kreises hat 8118 Tatverdächtige ermittelt, 551 davon waren älter als 60 Jahre,

„Fast das gesamte Spektrum des Strafrechts“, so Strafrechtler Kubiciel, lernten auch Senioren kennen. Spezifische Delikte gebe es da nicht, doch handele es sich um ein „kriminologisch untererforschtes Gebiet“. In einer Hinsicht allerdings ist er sicher: „Das ist kein Armutsphänomen.“ Grundsätzlich sieht er ein Problem darin, dass „die Folge von Vereinsamung einzelner Menschen“ künftig verstärkt dazu führen könne, dass diese „eigennutzorientierter“ handelten. Auch ohne Rücksicht auf Gesetze, da solche Menschen mitunter nicht mehr sozial austariert seien.

Noch sind es eindeutig ältere Männer, die als Gesetzesbrecher auffallen. Rund 70 Prozent der im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Köln erfassten Delinquenten im Seniorenalter sind Männer, die anderen Polizeibehörden bestätigen diesen Trend. Und manche Täter sind über 90. Wie soll der Staat solche Menschen im Sinne von Einsichtsfähigkeit und Resozialisierung noch bestrafen?

Strafrechtler Kubiciel sieht den Strafvollzug da „in der Breite noch nicht gut aufgestellt“. Es komme selten zu Verurteilungen, viele Verfahren würden eingestellt, der Staat zeige „häufig keine sinnvolle Reaktion“. Ein Problem des Erwachsenenstrafrechts, wie Kubiciel meint. Als Straffolgen stünden nur Freiheits- oder Geldstrafe zur Verfügung, die „häufig auf bestimmte Personen nicht passen“. Grundsätzlich sei mit Blick auf die Straffolgen „Kreativität gefragt“. Der Professor kann sich da gemeinnützige Arbeit vorstellen oder auch Sozialkurse. Die bestehende Dualität jedenfalls hält er für überdenkenswert.

Wenn es denn der Knast sein muss, „kommt der Staat seiner Verpflichtung nach“, sagt Kubiciel. Tatsächlich gibt es immer mehr Gefängnisabteilungen, die sich auf ältere Gefangene eingerichtet haben. In der Justizvollzugsanstalt Rheinbach gibt es eine Abteilung für Senioren, im baden-württembergischen Singen sogar eine ganze Anstalt für „lebensältere Gefangene“, wie das Behördendeutsch sie nüchtern nennt. Der Bedarf steigt, wie Wartelisten für den altersgerechten Strafvollzug zeigen.

Doch auch wenn alles vom Steuerbetrug über Eigentums- und Vermögensdelikte bis hin zur Körperverletzung und in Einzelfällen zur rohen Gewalttat auch in Seniorenkreisen zu finden ist, wird ein Delikt wohl auch künftig in keiner Kriminalstatistik auftauchen: Der „Bankraub mit Rollator“ hat es nur zum Titel einer Komödie gebracht.

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