Rückkehr einer Legende in Berlin Ein Hipster fürs Café Kranzler

Berlin · Nach Niedergang und Umbau eröffnet Ralf Rüller die Berliner Institution am Sonntag wieder. Der Mann hat Erfahrung mit Gastronomie. Im Prenzlauer Berg betreibt er das puristische Lokal The Barn.

 Jetzt auch im Westen der Hauptstadt aktiv: Ralf Rüller, Inhaber der Kaffee-Rösterrei The Barn und Besitzer des neuen Café Kranzler.

Jetzt auch im Westen der Hauptstadt aktiv: Ralf Rüller, Inhaber der Kaffee-Rösterrei The Barn und Besitzer des neuen Café Kranzler.

Foto: dpa

Klagen über den Niedergang der Caféhauskultur gibt es in Berlin so viele wie Pappbecherträger in der U-Bahn – aber jetzt naht womöglich Versöhnung zwischen Coldbrew und Draußen-nur-Kännchen: Ein Hipsterwirt aus Mitte wird am Sonntag das ehrwürdige Café Kranzler am Kurfürstendamm wiederbeleben.

Auch außerhalb Berlins kennt man den Kaffee-Experten Ralf Rüller: Weil er eine Mutter bat, ihr Baby nicht im Schaufenster seines puristischen Lokals The Barn im Prenzlauer Berg zu stillen, entbrannte vor einigen Monaten eine heftige öffentliche Diskussion, die mit einer Petition bis ins Bundesfamilienministerium schwappte.Es gab aber auch viel Zuspruch für den Wirt; denn in dem kinderreichen Bezirk herrscht ausreichend Auswahl an Cafés mit Spielecken und Stillkissen. Rüller, der mit seinem ersten Café in Mitte begonnen hatte, ist eben ein Kaffee-Extremist. In seinem Lokal mit eigener Rösterei treffen sich Menschen, für die der Genuss des Heißgetränks eine Art Hochamt darstellt. Störungen unerwünscht. Auch Laptops sind verboten.

Im Kranzler ist es sehr lange her, dass Kaffeegenuss die Hauptsache war. Eigentlich sind vom Wirtschaftswundermagneten im alten Berliner Westen nur noch zwei Dinge übrig: der Name und die Rotunde mit ihren rot-weißen Blockstreifenmarkisen – beides steht unter Schutz. Schon seit einem Jahr ist das Café geschlossen.

Im Berliner Bautaumel der späten 1990er Jahre entstand auf der einst so berühmten Ecke zwischen Zoo und Ku’damm ein gläsernes Einkaufs- und Bürozentrum mit dem Namen „Neues Kranzler Eck“. Das Café selbst hatte damals schon seine besten Zeiten hinter sich. Ein Jahrzehnt nach dem Mauerfall strebten Berliner und Touristen in die neue Mitte, die sich rasant veränderte. Der Westen war uninteressant. Das Kranzler mit seiner riesigen Terrasse an der Straßenfront hatte zuletzt ohnehin vor allem von Touristen und seiner Geschichte als Bühne der Großstadtflaneure gelebt. Nach der Wende wirkte es nur noch wie eine piefige Erinnerung an das vergangene West-Berlin von Harald Juhnke und den Drei Damen vom Grill.

Eines ist sicher:Es gibt Kaffee

Was im Neubau daraus wurde, war auch nicht viel glamouröser: Im Café gab es nun Damenhosen unterschiedlicher Passform. Die Modemarke Gerry Weber eröffnete ihren Megastore, der gastronomische Betrieb wurde in die denkmalgeschützte Rotunde im ersten Stock verlegt. Der Schmelz vergangener Tage war endgültig dahin.

Mit Lust lässt man in Berlin die Geschichte der Kaffeehäuser Revue passieren, seufzt über deren Niedergang und versucht, die Tradition aufleben zu lassen. Das Kranzler eröffnete einst 1825 als kleine Wiener Konditorei Unter den Linden – damals war der Ku’damm noch plattes Umland. Der österreichische Zuckerbäcker wagte es ein paar Jahre später, Tische auf die Straße zu stellen, was damals in Berlin ungefähr so neu war wie heute ein Stillverbot – es gelang ihm, die Baupolizei von dieser Notwendigkeit zu überzeugen.

Im aufsteigenden Berliner Westen nach der Jahrhundertwende war das Kranzler lange kein Name von Belang. Aber der Ort, an dem es heute steht, hat eine große Tradition. Hier auf der Ecke zum Kurfürstendamm traf sich die Szene der Künstler und Literaten im „Café des Westens“. Es war hip, nicht in der alten Mitte Unter den Linden, sondern im neuen Westen auszugehen. Der damalige Wirt erweiterte flugs in die erste Etage hinauf. Das Café überflügelte als Treffpunkt die privaten bürgerlichen Salons, die Szene öffnete sich in die Stadt hinein und machte aus dem Lokal das Café Größenwahn. Stundenlang wurde debattiert, geschrieben, gefeiert. Max Liebermann hatte hier seinen Stammtisch, Max Reinhardt entwickelte mit Kollegen die Idee zur Kleinkunstbühne Schall und Rauch, das Lokal wurde zum Treffpunkt expressionistischer Maler, angeblich ersannen hier Komponisten ihre Melodien und Theaterautoren ihre Stücke. Die großen Zeiten des Größenwahn waren vorbei, als die Szene ins Romanische Café umzog. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstand das Café Kranzler, das zur Institution wurde.

Ob das Kranzler der Zukunft an diesen Ruf anknüpfen kann, wird sich von Sonntag an zeigen. Straßenflaneure finden auch künftig keine Bistrostühle auf dem Bürgersteig. Die große Fläche wird weiterhin von einem Modelabel betrieben – die britische Kette Superdry eröffnet eine riesige Filiale. Ein interessanter Treffpunkt könnte die neue Dachterrasse werden, die im Frühjahr neben der Rotunde eröffnet wird. Eines ist jedenfalls sicher: Es gibt Kaffee.

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