Maria Böhmer: "Deutschland ist ein Integrationsland"

Die Staatsministerin im Kanzleramt über Thilo Sarrazin, die Politik und den Umgang mit Migranten.

Maria Böhmer: "Deutschland ist ein Integrationsland"
Foto: picture-alliance

Bonn. Mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer, sprach Ulrich Lüke.

General-Anzeiger: Sie wollen das Jahr 2011 zum "Jahr der Integration" machen. Was meinen Sie damit?

Maria Böhmer: Es ist wichtig, dass wir bei der Integration schneller vorankommen, dass wir bei den Migrantinnen und Migranten Vertrauen wieder aufbauen, das in den letzten Monaten eindeutig verloren gegangen ist. Und dass wir auf den drei Großbaustellen - Sprache, Bildung/Ausbildung und Arbeitsmarkt - Boden gut machen.

GA: Thilo Sarrazin hat der Debatte also geschadet?

Zur Person Maria Böhmer ist seit November 2005 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Die 1950 in Mainz geborene CDU-Politikerin gehört seit 1990 dem Bundestag an. Sie ist Vorsitzende der Frauen-Union, Mitglied im CDU-Präsidium und im Zentralkomitee der Katholiken.Böhmer: Ja, inzwischen liegen Untersuchungen vor, dass vor der Sarrazin-Debatte ein wirklich gutes Vertrauensverhältnis zwischen den Migranten und der deutschen Bevölkerung gegeben war. Inzwischen wissen wir, dass viele Migranten enttäuscht und verunsichert sind, sich zurückgestoßen fühlen. Vertrauen ist ein hohes Gut. Gerade wenn es um Integration geht.

GA: Was tun Sie?

Böhmer: Wir als Bundesregierung haben in der Integrationspolitik sehr bewusst umgesteuert. Miteinander, nicht mehr übereinander reden - dieser Leitgedanke hat sich bewährt. Ich denke an die Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin, den Nationalen Integrationsplan, die deutsche Islam-Konferenz. Das sind klare Schritte nach vorne.

GA: Ist es da sinnvoll zu sagen: Multikulti ist gescheitert? Wo das doch nur heißt, dass verschiedenen Kulturen zusammen leben.

Böhmer: Wenn Multikulti das heißen würde, wäre es nur eine Beschreibung der Situation in unserem Land. Aber Multikulti hat sich ja in einer anderen Form ausgeprägt. Da war Beliebigkeit in der Politik, die Migranten hat man auf sich gestellt sein lassen. Wo nur eine bunte Vielfalt vorhanden ist, ist Integration noch nicht geschehen. Insofern ist dieser Ansatz gescheitert.

GA: Sie machen also der Politik den Vorwurf, das Thema über Jahre verschlafen zu haben?

Böhmer: Alle, die wir uns heute mit Integration befassen, kämpfen mit den Versäumnissen der Vergangenheit. Diese Versäumnisse sind auf allen Seiten vorhanden. Viele, auch aus meiner Partei, haben doch immer wieder negiert, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Wir gehören heute zu den Ländern mit dem höchsten Migrantenanteil. Mehr noch: Deutschland ist ein Integrationsland.

GA: Sie wollen in dem geplanten Integrationsbeirat die Probleme offen ansprechen. Tun Sie das hier bitte mal an drei Beispielen.

Böhmer: Da gibt es sehr pragmatische Ansatzpunkte. Die Bildungssituation bei vielen Migranten ist schwierig. Wir haben immer noch einen deutlich höheren Anteil von Schulabbrechern, wir haben auch immer noch viel zu viele ohne berufliche Qualifizierung.

GA: Zweitens?

Böhmer: Das zweite ist die Rolle der Frau. Da ist ein ganz zentrales Anliegen und ein Prüfstein für die Integration: Frauen, egal welcher Herkunft, müssen in unserem Land natürlich gleichberechtigt leben können, ihr Leben gestalten können, wie sie es wollen. Sie dürfen nicht gehalten werden, auf den Besuch eines Sprachkurses zu verzichten oder sich ihren Ehepartner nicht selbst aussuchen.

GA: Und drittens?

Böhmer: Was bedeutet es, Ja zu sagen zu Deutschland? Was bedeutet fördern und fordern? Integration heißt Anstrengung von allen Seiten. Da darf es keine Dinge geben, die man ausblendet.

GA: Fordern und fördern. Wird da zum Beispiel der Integrationsverweigerer gegen die Tatsache ausgespielt, dass es schlicht zu wenig Angebote gibt?

Böhmer: Von Schwarze-Peter-Spielen halte ich überhaupt nichts. Die gesetzlichen Regelungen reichen übrigens aus. Wer ohne triftigen Grund Sprachkurse verweigert, verweigert sich der Integration. Für diese wenigen Fälle gibt es klare Sanktionen. Aber vieles, was wir im gesetzlichen Bereich vernünftig geregelt haben, wird von den Behörden nicht entsprechend umgesetzt. Man muss sich eben richtig kümmern. In Kanada findet das erste Beratungsgespräch meist am ersten Tag statt - noch auf dem Flughafen. Deshalb will ich noch in diesem Jahr Integrationsvereinbarungen in Deutschland, auch an zwei Orten in NRW, erproben,

GA: Erstes Gespräch in Kanada am ersten Tag, Wie lange dauert es in Deutschland?

Böhmer: Unsere Beratungsangebote sind ja freiwillig. Viele Migranten wissen nicht, welche es gibt. Faltblätter bei den Ausländerbehörden reichen eben nicht. Die Menschen müssen von Anfang an begleitet werden. Integration soll ja nicht ein Prozess von unendlicher Dauer sein.

GA: Die Behörden sind also mehr als bisher gefordert?

Böhmer: Sie sind mehr als bisher gefordert. Integrationskurse haben wir erst vergangene Woche zur Pflicht gemacht, und wir werden in diesem Jahr eine gesetzliche Grundlage für die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse schaffen. Das wird ein Meilenstein in der Integrationspolitik.

GA: Darf es ein Auswahlkriterium werden, nur noch Menschen ins Land zu holen, die hier gebraucht werden?

Böhmer: Selbstverständlich ist, dass wir auch zukünftig Menschen, die aus humanitären Gründen kommen, die auf der Flucht sind, die Asyl suchen, Unterstützung geben werden. Genauso wie es den Familiennachzug gibt. Übrigens wie in Kanada oder den USA. Aber wir müssen uns sehr klar mit der Frage auseinandersetzen: Wie sieht unser Zuwanderungsbedarf aus? Wen brauchen wir? Ich bin dafür, dass wir unsere Zuwanderung stärker am Kriterium der Qualifikation ausrichten - auch an den Spracherfordernissen und der Integrationsbereitschaft.

GA: Wie stark ist der Zusammenhang zwischen Religion, Migration und manchen Grundrechten?

Böhmer: Ihre Fragestellung zeigt ja schon, dass wir, was Religionen angeht, erst recht, wenn Sie es auf den Islam zuspitzen, einen großen Nachholbedarf an Information haben. Es gibt ja nicht den Islam. Ich habe erlebt, dass die verschienenen islamischen Gruppierungen sehr viel mehr Diskussionsbedarf untereinander haben als mit der staatlichen deutschen Seite. Wir müssen also einander besser kennen lernen.

GA: Haben Sie von Angela Merkel die Zusage, in der nächsten Legislatur - ein entsprechendes Wahlergebnis vorausgesetzt - ein Integrationsministerium zu bekommen?

Böhmer: Solche Fragen werden dann entschieden, wenn es konkret ist. Aber ich habe keinen Hehl aus meiner Überzeugung gemacht, dass die Zeit reif ist für ein solches Ministerium.

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