Jelinek-Premiere bei der Ruhrtriennale Wut im Bauch

Duisburg · Elfriede Jelineks „Kein Licht“ wird in Duisburg bei der Ruhrtriennale zum musiktheatralischen Spektakel. Nach zweieinviertel Stunden ist der großartige, action- und gedankenreiche Abend zu Ende.

 „Kein Licht“, aber viel Wasser: Caroline Peters produziert ein Selfie. FOTO: DPA

„Kein Licht“, aber viel Wasser: Caroline Peters produziert ein Selfie. FOTO: DPA

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Der erste Auftritt gehört Cheeky. Auf diesen hübschen Namen hört ein kleiner Foxterrier, der auf einem zitronengelben Behälter in der Gebläsehalle im Duisburger Landschaftspark Nord mit dem Schwanz wedelt und laut jaulend – begleitet von elektronischen Klängen und einer gedämpften Trompete – das Ende der Welt zu beklagen scheint. Diese kuriose Szene ist die Ouvertüre zu einem apokalyptischen musiktheatralischen Abend, den der französische Komponist Philippe Manoury und der deutsche Regisseur Nicolas Stemann aus Elfriede Jelineks Theaterstück „Kein Licht“ geformt und für den sie den neuen, an das gute alte Singspiel angelehnten Gattungsbegriff Think-Spiel erfunden haben.

Uraufgeführt wurde es am Freitag bei der Ruhrtriennale. Stoff zum Denken und Nachdenken bietet schon Jelineks Text zur Genüge, den sie 2011 als Reaktion auf die Atomkatastrophe im japanischen Fukushima mit sehr viel Wut im Bauch niederschrieb. Dass diese Wut eine sehr lange Halbwertszeit hat, erlebt man bei dieser Premiere auch. Denn Jelinek hat ihren Text zwei Mal ergänzt, 2012 mit einem Epilog, der sich mit Angela Merkels Atomausstiegsszenario beschäftigt, und nun ganz aktuell mit einem weiteren Teil über Donald Trump, dessen Umweltpolitik und Sympathie für die Atomenergie am Pranger stehen.

Jelineks Theaterstück, bei dessen Uraufführung in Köln vor sechs Jahren Karin Beier noch Musik von Franz Schubert oder John Cage benutzte, ist weit entfernt von einem klassischen Drama. Es gibt keine echte Handlung, und es werden natürlich auch keine echten dramatischen Konflikte zwischen den Personen entwickelt. Die Burgtheater-Schauspielerin Caroline Peters, die man vor allem als Kriminalkommissarin Sophie Haas aus der Eifel-Krimiserie „Mord mit Aussicht“ kennt, und ihr Kollege Niels Bormann spielen zwei Figuren, die sich als „erste“ und „zweite Geige“ bezeichnen und in ihrem absurden Dasein an Samuel Becketts Dramenpersonal erinnern.

A und B, wie sie im Textbuch heißen, beklagen sich darüber, dass sie nichts hören, sie befinden sich im Nichts und gehen wortreich der Frage nach, wie es zu der Katastrophe kommen konnte. Sie tragen beide schwarz glitzernde Paillettenkleider, was hübsch zu der Szenerie passt. Das Publikum ist nicht nur Zeuge des Reaktorunfalls, sondern auch eines gleichzeitig spielenden Konzertes darüber. Jelinek artikuliert in ihrem Wuttext nicht allein pure Verzweiflung, oftmals kalauert sie sich durch die Menschheitskatastrophe, was dem Text selbst und dem, was der erfahrene Jelinek-Deuter Stemann in Duisburg daraus macht, einen nicht geringen Unterhaltungswert beschert.

Nichts scheint so ernst zu sein in dieser Welt, dass man nicht auch darüber lachen könnte. Wie die beiden Schauspieler dabei die Textmassen bewältigen, ist bewundernswert. Es gibt wohl kein anderes Musiktheaterstück, in dem so viel geredet wird. Peters und Bormann artikulieren unglaublich nuancenreich, beherrschen das Spiel zwischen Ernst, Satire und Ironie mit geschliffener Virtuosität.

Es wird auch gesungen

Aber wo bleibt da der Raum für die Musik? Philippe Manoury will die Textkaskaden mit Modulbausteinen in den Griff bekommen, 31 an der Zahl, die bei Aufführungen auch ausgetauscht werden können, was durchaus den improvisatorischen Charakter von Text und Inszenierung unterstützt. Die Partitur benutzt vorproduzierte Bauteile mit elektronischen Klängen ebenso wie klassische Musikinstrumente, die von dem kleinen Ensemble United Instruments of Lucilin (Leitung: Julien Leroy) gespielt werden. Manoury selbst sitzt am Schaltpult und wacht über die Klänge. Zweimal jedoch verlässt der schlohweiße Schöpfer der Musik seinen Platz und liest selbst Texte vor, einen über die Zunahme des CO2-Ausstoßes nach dem deutschen Atomausstieg und einen über seine computergenerierte Musik („Diese Musik wurde nicht von einem menschlichen Gehirn erdacht“).

Gesungen wird auch. Und zwar von einem Vokalquartett aus Zagreb und den Solisten Sarah Jun (Sopran), Olivia Vermeulen (Mezzosopran), Lionel Peintre (Bariton) und Christina Daletska (Alt). Sie hat die anrührendste Szene des Abends, wenn sie langsam eine Treppe an der Rückwand der Halle emporsteigt und Zarathustras Nachtwandlerlied „O Mensch! Gib acht!“ aus Gustav Mahlers dritter Sinfonie singt, die Manoury mit eigenen Klängen begleitet.

Im dritten, Trump gewidmeten Teil „Der Einzige, sein Eigentum (Hello darkness, my old friend)“ aber folgt die Katastrophe nach der Katastrophe. Die von Katrin Nottrodt gestaltete Bühne wird mit Wasser geflutet, worin die in großen Bällen festsitzenden Schauspieler herumplanschen. Eine Videokünstlerin mit VR-Brille vor dem Gesicht führt in der von Claudia Lehmann mit Videoeinspielungen reich bebilderten Inszenierung einen elektronischen Pinsel, um mit ruhigen Gesten die Erdkugel zu bemalen, bestückt sie mit einer Tsunamiwelle, Reaktoren und Atombomben. Das Ergebnis kann man sich denken. Nach zweieinviertel Stunden ist der großartige, action- und gedankenreiche Abend zu Ende. Ein einsamer Buhrufer erhebt sich über den insgesamt zustimmenden Applaus.

Weitere Aufführungen: 1. und 2. September. Karten und Infos: www.ruhrtriennale.de

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