Kunst-Debatte Wer macht die Kunst?

Bonn · Wie Karrieren gebaut werden: Ein Künstler-Ranking mit dem Kölner Museumsmann Yilmaz Dziewior und ein erfrischend kritisches Buch zum Thema von der Bonner Professorin Anne-Marie Bonnet

Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat zur Jahreswende im Wirtschaftsteil sechs zeitgenössische Künstler aufgelistet, „die bleiben“. Ein Anlagetipp für Sammler sozusagen. Für solvente Sammler – untermauerte doch Jeff Koons mit seinem „Balloon Dog“, der 2013 bei einer Auktion 46,6 Millionen Euro erlöste, erneut seinen Rang als teuerster lebender Künstler. Koons zählt mit Ernst Wilhelm Nay, Damien Hirst, Peter Doig, Tracey Emin, Howard Hodgkin und Hurvin Anderson zu den „sechs Meistern, deren Werke überleben“, befindet die „Zeit“ recht kühn. Dem „Zeit“-Leser fallen spontan ein Dutzend mehr ein.

Stichwortgeber waren Yilmaz Dziewior, exzellent vernetzter Chef des Museums Ludwig in Köln, sowie vier „kunstinteressierte Laien“, die die „Zeit“ in der Londoner Tate Modern befragte. Dziewior gießt jedoch Wasser in den Kunstwein: Hirsts „Lullaby Spring“ findet er „noch schlechter als Koons“, wiewohl er in Koons Ansatz „grundsätzlich eine Bereicherung“ entdeckt (ihn aber für zu teuer befindet). Nay sei für die deutsche Nachkriegskunst „von nicht zu unterschätzender Bedeutung“. Doig bleibe „nachhaltig in Erinnerung“, Emin habe den Finger „in die sexistische Wunde unserer Gesellschaft“ gelegt, Anderson wird gelobt, zu Hodgkin sagt er: „Schöne Bilder sind nun mal teuer.“

Viel heiße Luft für eine Doppelseite mit Empfehlungscharakter im Wirtschaftsteil. Reicht das für ein doch recht ambitioniertes Urteil? Wie verhält es sich mit anderen Indizes, mit dem Ranking des „Kunstkompass“, das seit 1970 den Markt bewertet und das Gerhard Richter, Bruce Nauman und Rosemarie Trockel an der Spitze dominieren? Wer macht die Kunst? Wie wird aus Kunst erfolgreiche Kunst?

Im „Betriebssystem Kunst“ wirken unkontrollierbare Kräfte

Bereits seit den 1980er Jahren wird das „Betriebssystem Kunst“ heiß diskutiert. Gemeint sind damit die Strukturen, Regeln, Faktoren und Agenten, die den Prozess der Kunstwerdung bestimmen. Da spielen Kunstakademien und Museen ebenso eine Rolle wie Stipendienjurys, öffentliche und private Auftraggeber, Galeristen und Kuratoren, Kunstkritiker und Kunsthistoriker, Sammler und Kunstberater. Es ist ein spannendes Feld. Ein höchst undurchsichtiges Feld zudem, auf dem sich nicht selten Profilierungswünsche mit finanziellen Interessen paaren. Erfolg versprechende Künstler werden von angesagten Akademien und angesagten Professoren ausgebildet, von Galeristen oder Kunstberatern in die „richtigen“ Ausstellungen gehievt, von Jurys, in denen zum Beispiel Freunde der Professoren neben wichtigen Multiplikatoren und Museumsleuten sitzen, mit Kunstpreisen versorgt und so Zug um Zug in den Kunstmarkt hochgespült.

Das Museum als letztes Glied der Wertschöpfungskette

Einen sehr pointierten Blick hinter die Kulissen dieses „Betriebssystems Kunst“ bietet die Kunsthistorikerin Anne-Marie Bonnet in ihrem Buch „Was ist zeitgenössische Kunst oder Wozu Kunstgeschichte?“, das herrlich kritische Passagen zu bieten hat. Bonnet weiß, von was sie schreibt: Sie ist Professorin für Kunstgeschichte an der Universität Bonn, hat geforscht, Essays und umfangreiche kunsthistorische Untersuchungen veröffentlicht, Ausstellungen gemacht, sie sitzt in Jurys, Ankaufskommissionen und kulturpolitischen Gremien. Sie ist mittendrin. So ist der mitunter pessimistische Blick auf das „Betriebssystem Kunst“ auch ein Akt der Selbstkritik. Die Kunstgeschichte als Disziplin, die die Kunst zu erforschen, zu klassifizieren, einzuordnen und zu bewerten hat, kommt als Player in diesem Koordinatensystem ähnlich schlecht weg wie die Museumslandschaft, die als Regulativ, als kritische Instanz teilweise versagt.

So im Fall einer Ausstellung des MoMA zur Gegenwartskunst, bei der die Kunstkritikerin Roberta Smith monierte, alle Künstler seien bereits in Museen oder Bluechip-Galerien gezeigt worden. Smith beschreibe, so Bonnet, das moderne Kunstmuseum, als „risikolose letzte Bestätigungsinstanz einer Wertschöpfungskette im gegenwärtigen Kunstgeschehen“.

Museen erscheinen als Instanzen, die Künstler, die es im das „Betriebssystem Kunst“ über die Schwelle zum Kunsttempel geschafft haben, ohne einen Anflug von Kritik oder kritischer Hinterfragung pushen – sehr zur Freude der jeweiligen Sammler. Das Museum als Durchlauferhitzer. Die jeweilige Katalogprosa bezeichnet Bonnet als „Promotionsliteratur“: „Tatsächlich kritische oder gar wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Materie sind spärlich. Entsprechend wenig erkenntnisreich oder anregend ist die Lektüre von Beschreibung und Affirmation bzw. Behauptung des Bestehenden.“

Gerhard Richter und seine mächtige Deutungs-Trias

Bonnet spricht von „Bedeutungserzeugungskombinaten“, in denen Kritiker, Kuratoren und Sammler eine Deutungshoheit aufbauen und verteidigen – und sich gegenseitig ihrer Bedeutung versichern. Bonnet nennt zwei Fälle. Tino Seghal etwa verdanke die Karriere seines Werks den klugen Schriften einer exzellent vernetzten Kunsthistorikerin – Dorothea von Hantelmann – die überdies die Frau des Künstlers sei. Fall zwei: Gerhard Richter verfüge über die Trias aus Benjamin Buchloh, Dietmar Elger und Hubertus Butin. Diese renommierten Kunstkritiker und Kunsthistoriker verdankten, so Bonnet, ihre eigene Bekanntheit wiederum der Monopolstellung, die ihnen die Deutung des als eines der wichtigsten Künstler der Nachkriegszeit aufgebauten Malers verleihe. „Das geschlossene System der Selbstpromotion in Form des wechselseitigen Versicherns der Bedeutsamkeit zwischen Künstlern und Sammlern, Kuratoren und Galeristen entzieht sich der Kritik, da in der sogenannten freien Marktwirtschaft die Regeln des Spiels von Angebot und Nachfrage sakrosankt sind.“

Die Geschmacksverstärkerdes Kunstdiskurses

Museen, große Auktionen, bedeutende Sammlungen verleihen Gütesiegel und Renommee. Über künstlerische Kriterien werde nicht mehr geredet. Bonnet fragt: „Was haben zum Beispiel Gerhard Richter und Sean Scully zur Malerei der Moderne beigetragen? Was haben Andreas Gurskys Fotoarbeiten de facto dem Medium der digitalen Fotografie hinzugefügt?“ Noch nie sei die Produktion zeitgenössischer Kunst so umfänglich gewesen wie heute, bemerkt sie, und doch träten überall die gleichen Künstler auf, von den gleichen Kuratoren promotet und den gleichen Sammlern gekauft. „Zu fast jeder Rede über zeitgenössische Kunst gehören inzwischen als Geschmacksverstärker des Kunstdiskurses Unmutsbekundungen über Manipulationen und die Macht des Pekuniären.“

Kenntnisreich erläutert Bonnet die Geschichte der Museen und deren Entwicklung bis heute, die Erfindung wegweisender Großausstellungen, Motivationen des Sammelns, Positionen der Kunstgeschichte – das alles, um Errungenschaften zu skizzieren, die seit der Postmoderne der 1980er Jahre Stück für Stück erodieren. „Während des wirtschaftlichen Booms der Ära Kohl-Reagan-Thatcher eroberte jedoch das Ökonomische allmählich die Dominanz gegenüber dem Sozialen und Kulturellen, ein Prozess, der sich durch die Globalisierung um die Jahrhundertwende noch verstärkte“, schreibt Bonnet. Die Akteure, der frühere Börsenmakler Koons und Hirst, beherrschen die Spielregeln des Marktes. Womit wir wieder bei der Umfrage der „Zeit“ wären.

Anne-Marie Bonnet: Was ist zeitgenössische Kunst oder Wozu Kunstgeschichte? Deutscher Kunstverlag, 104 S., 14,90 Euro.

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