Konfirmationen und Gottesdienste Was die Kirche so treibt

Die Evangelische Kirche hat ein Problem. Mit sich selbst. Ein Glaube, in dem einst die eherne Regel vom „Sola scriptura“ galt und der einige der schönsten Kirchenlieder deutscher Sprache hervorbrachte, vergisst seine eigenen Traditionen und nervt seine Gottesdienstbesucher.

 Das „Abendmahl“ von Lucas Cranach dem Älteren, als Plakat-Nachbildung dem Lutherhaus in Wittenberg vorgehängt. So wie dem weltberühmten Bild in dieser Aktion ergeht es heute dem Evangelischen Glauben: Um der Modernisierung willen wird die eigentliche Botschaft mindestens vernebelt, manchmal auch zerknittert.

Das „Abendmahl“ von Lucas Cranach dem Älteren, als Plakat-Nachbildung dem Lutherhaus in Wittenberg vorgehängt. So wie dem weltberühmten Bild in dieser Aktion ergeht es heute dem Evangelischen Glauben: Um der Modernisierung willen wird die eigentliche Botschaft mindestens vernebelt, manchmal auch zerknittert.

Foto: picture alliance / dpa

Das Frühjahr ist die hohe Zeit der Konfirmationen. Wer die Ehre hat, Kinder auf dem Weg ins Leben zu begleiten, ist gefordert. Es könnte ein Vergnügen sein, denn Kirchgänge mit Jugendlichen zu festlichen Anlässen machen Spaß. Anderthalb Stunden in überfüllten Kirchenbänken wären leicht auszuhalten, gäbe es nicht diese permanente Irritation aus dem Altarraum. Am Ende der Saison muss eine Frage gestellt werden: Liebe evangelische Kirche und liebe Pastoren – was treibt ihr da eigentlich?

Ein paar Erlebnisse der letzten Wochen. Da war die moderne Kirche am Rande einer Großstadt. Aber war das wirklich ein Gottesdienst? Am Ende der zweistündigen Sitzung ist klar, dass es in dieser Gemeinde einen Diakon gibt, der die Jugendarbeit macht und ein Faible für kirchliche Popmusik hat. Da seine musikalischen Fähigkeiten nicht dazu angetan sind, große Menschenmengen in Konzerte zu locken, nutzt er die Bühne im voll besetzten Saal, um seine Musik zu spielen. Seichte Texte zu simplen Melodien, schlecht gesungen. Fluchtmöglichkeit keine.

Zwischendrin gibt es auch das eine oder andere Gebet, gepredigt wird auch, gesungen nicht. Die Kirchgänger beschäftigten sich mit ihren Handys oder mit Videokameras. Irgendwann ist es glücklicherweise vorbei. Der Pastor scheint mit sich zufrieden, der Diakon ist glücklich.

In der anderen Gemeinde erfuhr die Pastorin ihre Sozialisation offenbar auf dem Hamburger Kirchentag um 1980. Jedenfalls gibt es nur Friedenslieder. Ob das alles ist, was die Kirche zu bieten hat? Aber egal. Eigentlich lassen sich die Lieder mitsingen – allein, dafür hätte es eines Textblattes und einiger Noten oder einer Orgel bedurft, die begleitet. Aber offenbar rechnete niemand mit Besuchern, die gerne mitmachen möchten.

Immerhin dauert es nur etwa 80 Minuten, bis alles vorbei ist. Irgendwann im Mittelteil lässt die Pastorin wissen, dass man ja bei jeder Konfirmation „Geh aus mein Herz und suche Freud“ singe. Das wolle sie jetzt auch gerne tun. Immerhin sei das Lied 400 Jahre alt und vielleicht lernten die Konfirmanden es ja auch irgendwann einmal schätzen. Auf den Zuschauerrängen erhebt sich die Frage, was denn die Pastorin in den zwei Jahren Konfirmandenunterricht mit den Kindern gemacht hat? Oder geht es gar nicht mehr darum, Glaubensinhalte, Traditionen, Lieder und Texte zu vermitteln? Man möchte ihren Satz für Satire halten, aber Selbstironie wäre in einer evangelischen Kirche dann doch eine Überraschung.

Und dann ist da jene Gemeinde, die einen prima Gospelchor hat. Weil Konfirmationen auch immer ein wenig kirchliche Leistungsschauen sind, ist er stark in Stellung gebracht. Das heißt konkret, etwa drei Viertel aller Lieder werden vorgesungen, natürlich in Englisch, auf einem so hohen Niveau, dass garantiert keine Beteiligung der Gemeinde möglich ist. Als Konzert wirklich höhrenswert, im Gottesdienst zu viel des Guten. Auf- und Abtritt dauern lange. Aber der Chorleiter ist glücklich. Das Publikum darf immerhin mitklatschen. Irgendwann wird es einigen so langweilig, dass sie aufstehen oder sich unterhalten. Außerdem wird fleißig fotografiert.

Probleme hat die evangelische Kirche nicht nur mit der Musik, sondern auch mit ihren Texten. Neuerdings steht offenbar das Glaubensbekenntnis auf der Kippe. Gewiss kein einfacher Text, aber einer mit Gewicht und Kraft. Einmal gibt es den alten Text in einfacher Sprache, was in Ordnung wäre, wenn das Original auch noch zu hören wäre. So versteht niemand mehr irgendetwas. Das andere Mal hat sich ein Mensch mit Hang zu länglichen Sätzen und verkitschten Formulierungen den Text vorgenommen und ihn umgeschrieben. Er ist doppel so lang, aber leider nicht besser als das Original.

Und dann sind da die vielen Regiefehler in den Gottesdiensten: Es ist ja keine neue Erfahrung, dass eine Menschenmenge leichter gemeinsam singt als gemeinsam spricht. Warum dann aber nicht gesungen, dafür aber komplizierte Texte im Chor gesprochen werden – vielleicht weiß es der Pastor.

Was ist eigentlich los in der Kirche? Warum degradiert sie die Gottesdienstbesucher zu Zuschauern – die sich dann auch so verhalten, als wären sie gerade ganz unverbindlich auf der Party vorbeigekommen? Eigentlich sind sie überflüssig, vermittelt die Kirche, und die Gottesdienstbesucher machen was sie wollen. Viele Pastoren haben dann aber nicht die Energie, Störungen durch Videoaufnahmen oder Fototermine am Altar während des Gottesdienstes zu unterbinden. Sie überlassen geltungsbedürftigen Diakonen das Feld. Sie danken einfach ab.

Die Kirche hat 2000 Jahre Erfahrung mit der Dramaturgie selbst schwierigster Veranstaltungen wie Beerdigungen zum Beispiel. Sie hat einen riesigen Fundus von Ritualen und starken Texten. Sie hat Kirchenlieder, die jeder kennt und die jeder mitsingen kann. Aber sie pfeift auf diesen Schatz. Die evangelische Kirche macht einen riesengroßen Fehler. Sie gewinnt die jungen Besucher nicht, holt sie nicht in die Tradition, und sie schließt auch noch jene aus, die ganz gerne kommen. Sie ruiniert sich freiwillig und auf lange Sicht. Warum? Keine Ahnung.

Warum man trotzdem zu Konfirmationen gehen sollte? Es gibt da immer noch ein paar magische Momente. Wenn Eltern ihren pubertierenden Kindern ihre Segenswünsche mit auf den Weg geben zum Beispiel. Oder wenn die eben noch kleinen Kinder sich an großen Gedanken versuchen. Oder wenn ein Pastor es schafft, sein Publikum einzubeziehen und damit zu gewinnen. Ach, liebe Kirche, warum kriegst Du das so selten hin?

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