Sänger Peter Schilling im GA-Interview Völlig losgelöst: "Major Tom" kommt nach Bonn

BONN · Peter Schilling? Klar doch, „Major Tom“, 1982. Der Song des Schwaben zählt zum musikalischen Erbe der Nation. Jetzt kommt der Sänger für ein Konzert nach Bonn. Und im Interview mit dem General-Anzeiger gibt er Einblick in eine ungewöhnliche Künstlerbiografie.

 Sänger Schilling: 2013 bei einem Auftritt in Kehl

Sänger Schilling: 2013 bei einem Auftritt in Kehl

Foto: J. Rolff/MTR München

Der Stuttgarter machte Millionen, ging früh nach Amerika. Sieben Jahre später war der Komet überhitzt, aber noch nicht verglüht. Schilling fuhr die Systeme runter, schrieb Bücher über Burnout – und fand langsam zurück in die Musikszene.

Vor zwei Jahren erschien sein 13. Album „DNA“, mit dem er jetzt auf Tournee geht. Kürzlich stattete Schilling dem Bonner Musikclub Harmonie einen Besuch ab. Eine Ortsbesichtigung. Am 20. November gastiert er dort. Mit Peter Schilling (60) sprach Heinz Dietl.

GA: Herr Schilling, was wäre aus Ihnen geworden, wenn Sie seinerzeit den anderen Vertrag unterschrieben hätten, nämlich den vom VfB Stuttgart?

Peter Schilling: Deutscher Meister 1984, vielleicht auch Weltmeister 1990 (lacht). Ich hatte als Jugendlicher in der Stadtauswahl gespielt, es gab 1970 diesen Vorvertrag mit dem VfB, aber auch einen mit der Plattenfirma Global Records. Mich hat die Musik dann doch mehr interessiert – und meine Freunde haben mich für verrückt erklärt.

GA: Der Erfolg hat noch 12 Jahre auf sich warten lassen. Warum?

Schilling: Ich musste 12 Jahre lang Absagen einstecken. Deshalb habe ich mich bei denen, die mich als Musiker abgelehnt hatten, einfach an einer anderen Stelle beworben, um einen Fuß in die Tür zu bekommen. So landete ich in Hamburg in der Vertriebsabteilung der Plattenfirma WEA.

GA: Was genau war Ihr Job?

Schilling: Tourneebegleitung von Künstlern wie Jürgen Drews und Fleetwood Mac. Man wollte mich 1979 befördern, doch ich habe gekündigt.

GA: Warum gekündigt?

Schilling: Ich wollte meine eigene Musik machen, einen Nummer-1-Hit schreiben. Vier Jahre später war es soweit: Ich kam zurück zur WEA, aber als Künstler.

GA: Wie ist der Megahit „Major Tom“ eigentlich entstanden?

Schilling: Für mein Debütalbum fehlten noch zwei Songs, aber ich hatte eine unglaublich kreative Kooperation mit einem Heavy-Metal-Gitarristen. So entstanden tief in der Nacht „Die Wüste lebt“ und „Major Tom“. Ein göttlicher Moment. Peter Schilling war geboren.

GA: Was hat dieser Erfolg mit Ihnen gemacht?

Schilling: Erfolg ist ein Wimperschlag. Er ist da – und gleich wieder weg. Denn schon kommen die Verpflichtungen. Das Management baut dir innerhalb kürzester Zeit ein Umfeld auf, das diesen Erfolg auch nachhaltig trägt. Wir haben an manchen Tagen 85 000 Tonträger verkauft, wir mussten Presswerke in Holland buchen, weil die deutschen nicht mehr hinterherkamen.

GA: Keine Zeit, den Erfolg zu genießen?

Schilling: Nur diesen einen Wimpernschlag. Ein Lernprozess: Ich musste erst mal verstehen, was da passiert.

GA: Was ist denn passiert?

Schilling: Fans standen plötzlich vor meiner Wohnung, ganze Schulklassen. Es war nicht mehr möglich, in Stuttgart über die Königsstraße zu laufen. Klingt sexy, doch es war ein sozialer Schock. Nach der ersten „ZDF-Hitparade“ schauten mich auch meine Freunde merkwürdig an.

GA: Nena, Trio, Extrabreit: Empfanden Sie sich als Teil der Neuen Deutschen Welle?

Schilling: Die NDW habe ich gar nicht mitbekommen, da war ich schon in Amerika. Einer der Plattenbosse hatte das eingefädelt. Videodreh, PR-Aktionen – ich musste sofort rüber.

GA: Musste oder wollte?

Schilling: Ich wurde freiwillig gezwungen, es war das Größte. Selbst Südamerika ging ab. Oder Kanada: zwei Monate Platz 1 mit Single und Album. Gelebt habe ich überwiegend in New York.

GA: Immer auf der Überholspur?

Schilling: Ich habe 1989 mit Michel Cretu das Album „The Different Story“ gemacht, es ging wieder in die Charts, aber: Ich wog nur noch 52 Kilo. Mein Körper war ausgezehrt.

GA: Zu viel Druck?

Schilling: Arbeit, Schlafmangel, die Plattenfirmen, schlechte Ernährung, das permanente Überfliegen von Zeitzonen, kein soziales Umfeld. Alle Freunde waren weg, weil ich nie da war.

GA: Ein bemerkenswerter Satz.

Schilling: Nun, es gab keine Handys, kein Facebook. Telefonieren war teuer und umständlich. Jedenfalls: Bei einem Besuch in Österreich bin ich dann zusammengebrochen. Das war’s.

GA: Was war was?

Schilling: Der Notarzt hat mich zurück ins Leben geholt, ich bin in die USA geflogen und habe um die Auflösung aller Verträge gebeten. Ich hatte Burnout. Ich musste mit psychologischer Hilfe die Strukturen meiner Persönlichkeit ändern.

GA: Mussten Sie auch Ihren musikalischen Ehrgeiz therapieren?

Schilling: Ja, das trifft es. Mein Ehrgeiz war Glück und Segen zugleich. Er führte dazu, dass ich fast alles in Personalunion erledigte: Ich war Komponist, Musiker, Texter, Produzent, Interpret und – habe ich was vergessen?

GA: Ja. Sie waren auch der Inhaber des Bankkontos, auf das die Tantiemen überweisen wurden.

Schilling: Genau, und das war der Segen. Es geht zwar nicht nur um Geld, aber es ist schön, welches zu verdienen.

GA: War die Liquidität jemals in Gefahr?

Schilling: Nein. Auch ich habe Verluste gemacht, aber nur solche, die man verkraften kann. Vor 1982 wusste ich noch nicht, was Steuerklassen sind. Meine Wohnung kostete 260 Mark Miete – und plötzlich kommen Summen auf mich zu, die ich nicht fassen konnte.

GA: Was kam nach dem Burnout?

Schilling: Ich musste zurückfinden, langsam. Ich habe meine Archive gesichtet, alte Demos. 2002 fühlte ich mich soweit, eine Plattenfirma nahm Kontakt mit mir auf, die nächsten vier Alben entstanden, aber in Ruhe. 2014 spielte ich das Album „DNA“ ein, und jetzt kommt eine Tournee, die Königsdisziplin.

GA: Was spielen Sie in Bonn?

Schilling: 33 Jahre Peter Schilling. Natürlich spiele ich alle Hits, und zwar so, dass man sie erkennt. Ich muss nicht demonstrieren, dass ich auch Techno kann. Der Kunde, der Fan, wird bestens bedient.

GA: „Major Tom“ spielt im Weltraum. Ein Astronaut blickt auf die Erde und macht sich so seine Gedanken. Was fasziniert Sie immer noch an diesem Thema?

Schilling: Mich fasziniert die rasante Entwicklung der Naturwissenschaften. Stichwort Quantenmechanik. Klar ist: Wir müssen ins Kleinste gehen, um das Große zu verstehen.

GA: Verstehen Sie das „Große“, das Universum?

Schilling: Nun, 13,7 Milliarden Jahre sind eine lange Zeit. Aber: Seit 1990 stellt sich uns der Weltraum durch das Hubble-Teleskop ganz anders da. Zum Beispiel die UItra-Deep-Field-Aufnahme. Dabei wurde das Teleskop auf einen dunklen Fleck im All gerichtet. Die Belichtungszeit betrug elf Tage. Plötzlich sah man Galaxien in einer Entfernung von 13 Milliarden Jahren.

GA: Werden wir jemals das Geheimnis des Urknalls lüften?

Schilling: Ich glaube nicht. Wir werden die Null nicht erreichen können, geschweige denn unterschreiten. Vielleicht kommen wir auf eine Tausendstelsekunde an den Urknall heran, aber weiter wird es wohl nicht gehen.

GA: Musik und Astrophysik, wie passt das zusammen?

Schilling: Brian May, der Gitarrist von Queen, ist Astrophysiker. In seiner Doktorarbeit beschäftigt er sich mit Radialgeschwindigkeiten im interplanetaren Staub.

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