Wiener und New Yorker Philharmoniker Viel Klassik und ein Hauch von Punk

Zwei der weltbesten Orchester feiern Geburtstag: Vor 175 Jahren wurden fast zeitgleich die Wiener und die New Yorker Philharmoniker gegründet. Eine transatlantische Geschichte über Basisdemokratie in der Musik, eine „amerikanische Anarchistenbande“ und Strafen für zu lautes Umblättern der Noten.

 Festliches Ambiente: Die Wiener Philharmoniker beim traditionellen Neujahrskonzert in ihrer Heimatstadt am 1. Januar 2012.

Festliches Ambiente: Die Wiener Philharmoniker beim traditionellen Neujahrskonzert in ihrer Heimatstadt am 1. Januar 2012.

Foto: picture alliance / dpa

Auch Orchester führen ganz sportlich ihre Rekordlisten. Mehr als 50 Millionen Fernsehzuschauer in 90 Ländern hatten beispielsweise die Wiener Philharmoniker bei ihrem letzten Neujahrskonzert. Die New Yorker Philharmoniker können da ganz gelassen bleiben und auf einen weltweiten Rekord verweisen, der seit 1986 besteht: 800.000 Musikfreunde waren live im Central Park dabei, als Zubin Mehta ein Konzert zum 100. Geburtstag der Freiheitsstatue dirigierte.

Es ist eine hübsche Pointe der Musikgeschichte, dass sich diese beiden Orchester, die nach wie vor zu den weltbesten philharmonischen Ensembles gehören, diesseits und jenseits des Atlantiks im selben Jahr und in derselben Woche gründeten: am 28. März 1842 die Wiener Philharmoniker, am 2. April die New Yorker. An ihre 175-jährige Geschichte erinnern die beiden Orchester gerade mit wechselseitigen Gastspielen und einer gemeinsamen Ausstellung, die in New York eröffnet wurde und jetzt in Wien zu sehen ist.

Wien verfügte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts natürlich schon über ein gutes Orchester, aber das spielte in der Hofoper; die Konzerte überließ man häufig zusammengewürfelten Truppen aus Profis und begabten Dilettanten. Hofkapellmeister Franz Lachner hatte 1833 schon einmal versucht, Konzertveranstaltungen mit dem Theaterorchester zu etablieren, scheiterte aber am mangelnden Interesse des Publikums.

Der Komponist und Dirigent Otto Nicolai, seit 1841 Erster Kapellmeister an der Wiener Hofoper, probierte es erneut: Am 28. März 1842 – einem Ostermontag – kommt es „mittags um halb 1 Uhr“ im Großen Redoutensaal der Wiener Hofburg zum ersten „großen Concert“ mit dem „sämmtlichen Orchester-Personal des k.k. Hof-Operntheaters“. Es ist die Geburtsstunde der Wiener Philharmoniker.

Fünf Tage später, am 2. April 1842, trifft sich in der New Yorker Shake-speare-Taverne eine Gruppe engagierter Musiker und klopft die Statuten für eine Philharmonic Society fest. Erster Präsident der Gesellschaft und erster Dirigent ihres Orchesters ist ein Amerikaner namens Ureli Corelli Hill.

Der spielt Geige, hat zwei Jahre beim Komponisten, Dirigenten und Geiger Louis Spohr in Deutschland studiert und trifft jetzt die Vorbereitungen für das erste Konzert: am 7. Dezember 1842 in einem Tanzlokal am Broadway, in den Apollo Rooms, und es beginnt mit einer Grand Symphony in C-Minor, der 5. Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Hill muss ein Beethoven-Fan gewesen sein, denn auch in den nächsten Konzerten gibt es Beethoven zu hören, die Eroica, die Egmont-Ouvertüre, die 2. und die 7. Sinfonie.

Das Leben meint es nicht allzu gut mit dem Orchestergründer. Hills Erfindung – ein Klavier, das sich nicht verstimmen soll –, kann sich auf dem Markt nicht durchsetzen und bringt ihn in finanzielle Schwierigkeiten. Dazu verspekuliert er sich bei einigen Grundstücks-geschäften. „Warum“, fragt er in einer letzten Notiz, „sollte ein Mann existieren, wenn er machtlos ist, für seine Familie zu sorgen?“ Mit einer Überdosis Morphium nimmt sich Ureli Corelli Hill am 2. September 1875 das Leben.

Wie in New York ist Beethoven auch in Wien Geburtspate: Otto Nicolai startet die „Philharmonische Academie“ am 28. März mit Beethovens 7. Sinfonie. Ein Jahr später steht die Neunte auf dem Programm, und der höchst einflussreiche Musikkritiker Eduard Hanslick vermerkt: „Die verdienst- und erfolgreiche Dirigententat Nicolais war ohne Zweifel die würdige Aufführung der Neunten Symphonie von Beethoven. Wenn irgendeine Tondichtung, so war diese den Dilettantenorchestern unerreichbar.“

Die Wiener Philharmoniker sind seit ihrer Gründung etwas sehr Spezielles: ein selbstverwaltetes Konzertorchester, das symbiotisch mit dem Orchester der Oper verbunden ist. Nach den philharmonischen Statuten kann nur ein Mitglied des Orchesters der Wiener Staatsoper auch Mitglied bei den Philharmonikern werden.

Wer es ins Opernorchester geschafft hat, muss sich mindestens drei Jahre im Operndienst bewähren, ehe er einen Antrag auf Mitgliedschaft bei den Philharmonikern stellen kann. Und was ihre Dirigenten angeht, so geben sich die Wiener ausgesprochen selbstbewusst: Auf einen Chef verzichten sie. Zu Anfang wählten sie jährlich einen Dirigenten, der für die Abonnementskonzerte der Saison zuständig war, aber ab 1933 arbeiteten sie nur noch mit Gastdirigenten.

Wer sich die Liste der Dirigenten anschaut, die in Wien am Pult standen, blickt in ein Dirigenten-Lexikon von A wie Arturo Toscanini bis Z wie Zubin Mehta. Dasselbe gilt natürlich auch für New York. Die meisten der großen Dirigenten haben diesseits und jenseits des Atlantiks gearbeitet. Wie beispielsweise der Komponist Gustav Mahler, der mehrmals zum Abonnementsdirigenten der Wiener gewählt wurde und von 1909 bis 1911 Chef der New Yorker Philharmoniker war.

Seine fanatische Art zu arbeiten stößt in beiden Orchestern nicht unbedingt auf Gegenliebe; in Wien eckt er mit dem Versuch an, die Musiker für zu lautes Umblättern der Noten zu bestrafen, in New York – Richard Strauss sprach einmal ein bisschen ironisch von der „Anarchistenbande amerikanischer Musiker“ – stoßen seine sehr eigenwilligen Eingriffe in klassische Partituren auf Unverständnis.

Es ist ein beliebtes Spiel, Orchester zu vergleichen und zu bewerten. In den weltweiten Orchester-Rankings der vergangenen Jahrzehnte sind die Wiener und die New Yorker Philharmoniker immer weit vorn mit dabei. Vom amerikanischen Fernsehsender CNN stammt die jüngste Auflistung aus dem Jahr 2015: Die Berliner Philharmoniker haben sich da an die Spitze gespielt, vor Wien und New York auf Platz zwei und drei.

Wie auch immer man zu solchen Bewertungen stehen mag: Der Ruf eines Orchesters hängt natürlich immer auch mit dem Charisma des jeweiligen Chefdirigenten zusammen. Nur die chef-losen Wiener glänzen gleichsam aus sich selbst heraus, leben von einer Klangtradition, die unter den Musikern von Generation zu Generation weitergegeben wird, und von einem Instrumentarium, das sich in Wien speziell bei den Bläsern in seiner Bauweise erheblich von dem anderer Orchester unterscheidet.

Die New Yorker Philharmoniker wurden immer entscheidend geprägt von ihren Chefdirigenten, von Arturo Toscanini oder Bruno Walter, von Pierre Boulez oder Kurt Masur, vor allem aber wohl von Leonard Bernstein, dessen elf Jahre in New York (von 1958 bis 1969) vielen heute noch als die goldene Zeit dieses Orchesters erscheinen mögen.

Toscanini hatte 1930 das amerikanische Orchester erstmals dem beeindruckten europäischen Publikum vorgeführt; Bernstein war es, der 1959, mitten im Kalten Krieg, die New Yorker Philharmoniker bei einem gefeierten Moskau-Gastspiel dirigierte und dort den in der Sowjetunion geschmähten Strawinsky aufs Programm setzte.

Als die New Yorker Philharmoniker 1992 ihren 150. Geburtstag in der Avery Fisher Hall feierten, hatten sie sich Galamäßiges einfallen lassen: Chef Kurt Masur dirigierte Dvorak, Vorgänger Zubin Mehta war mit Strauss zu hören, Vor-Vorgänger Pierre Boulez mit Debussy. Von Leonard Bernstein gab es die „Candide“-Ouvertüre – ohne Dirigenten. „Ein Kritiker“, so hat der Autor Herbert Haffner herausgefunden und in seiner Geschichte über die „Orchester der Welt“ geschrieben, „hielt dies für die beste Interpretation des Abends“.

In einem Punkt sind die New Yorker Philharmoniker ihren Wiener Kollegen unbestritten weit voraus: in der musikalischen Gleichberechtigung. 1924 verpflichteten die New Yorker die Harfenistin Stephanie Goldner als erste Frau fürs Orchester, mittlerweile liegt der Anteil der Musikerinnen dort bei über 40 Prozent. In Wien dauerte es bis ins Jahr 1997, ehe der philharmonische Männerclub mit der Harfenistin Anna Lelkes die erste Frau aufnahm. Heute gehören gerade mal elf Frauen zu den 134 Mitgliedern der Wiener Philharmoniker.

Der augenfällige Konservatismus des Orchesters beschäftigte zeitweilig die österreichische Politik und die internationale Presse. „Kann sich Österreich das noch länger leisten?“, fragten die Grünen. Speziell die Amerikaner hatten große Probleme mit dem „old boys network“ aus Österreich, die „National Organization for Women“ warf dem Orchester eine „rassistische und frauenfeindliche Philosophie“ vor.

Dafür punkten die Wiener auf einem eher weniger musikalischen Gebiet. Sie bringen einen Hauch von Punk in den Konzertsaal. Die britische Designerin Vivienne Westwood, gern Queen of Punk genannt und ihr österreichischer Ehemann Andreas Kronthaler haben unter Verwendung von viel silberner Seide ein bisschen am Konzert-Outfit der Phil-harmoniker gearbeitet.

Die Website „achtung-mode“ weiß zu berichten: „Während der Herrenanzug die Idee des klassischen britischen Cutaways aufgreift, ist das Damendesign stark an die Frühjahr-Sommer-Kollektion 2016 von Vivienne Westwood angelehnt: Durch Raffungen am Rücken geben Westwood und Kronthaler den Blick auf die weibliche Silhouette frei und verleihen dem Anzug neben allem Formellen einen kraftvollen Look.“ Alles gut, wenn’s denn der Musik hilft.

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