Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie Zauber der Gegensätze

Hamburg · Nach der festlichen Eröffnung stellt sich bei allem Jubel über das gelungene Wahrzeichen Hamburgs heraus: Auch Weltklasseakustik hat ihre Tücken.

 Geschwungene Linien: Das Publikum in den Rängen applaudiert nach dem Konzert.

Geschwungene Linien: Das Publikum in den Rängen applaudiert nach dem Konzert.

Foto: AFP

Kein anderes Ereignis in der deutschen Kulturlandschaft wurde in jüngerer Zeit stärker herbeigesehnt als die Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie nach fast zehn Jahren Bauzeit. Und alle wollten dabei sein, die Prominenz kam in Scharen: Schauspieler Armin Müller-Stahl, Hannelore und Nina Hoger, Regisseur Fatih Akin und Moderatorin Sandra Maischberger. Das Fest war auch ein Stelldichein der Intendanten: Louwrens Langevoort (Philharmonie Köln), Jürgen Flimm (Staatsoper Berlin) und Markus Hinterhäuser (Salzburger Festspiele) wurden ebenso gesichtet wie die an die Zürcher Tonhalle gewechselte frühere Bonner Beethovenfestchefin Ilona Schmiel.

Traum und Albtraum,Witz und Wunder

Die Neugier auf das Herzstück des spektakulären Baus ist verständlich. Die Elbphilharmonie „galt als Traum und als Albtraum, als Weltstar und als Witz, als Blamage und als Wunder“, fasste Bundespräsident Joachim Gauck am Rednerpult auf der Bühne die wechselvolle Baugeschichte des neuen Wahrzeichens der Hansestadt am Ufer der Elbe zusammen. Und er sagte, sie lebe vom „Zauber der Gegensätze“. Gauck: „Es ist ein einzigartiges Haus, dieses Haus im Fluss, das nun entdeckt und mit Leben gefüllt werden will.“

Gauck, der die Reihe der mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundestagspräsident Norbert Lammert und weiteren Persönlichkeiten vertretenen Politprominenz anführte, hatte mit seiner Formulierung vom „Zauber der Gegensätze“ in gewisser Weise das Leitmotiv für das Eröffnungskonzert mit dem NDR Elbphilharmonie-Orchester intoniert, dessen Programm bis zuletzt wie ein Staatsgeheimnis gehütet worden war.

Wenn auch das offizielle, von NDR-Chefdirigent Thomas Hengelbrock ausgerufene Motto in Anlehnung an Richard Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ „Zum Raum wird hier die Zeit“ lautete. Beides passte programmatisch gleichermaßen. Denn die Gegensätze von Benjamin Brittens Solostück „Pan“ für Oboe, das Kalev Kuljus vom Rang des Großen Saales herabblies, bis zur klanglichen Opulenz in Olivier Messiaens zehntem Turangalîla-Sinfonie-Satz konnten größer nicht sein. Sie machten den Raum auf sehr konträre Weise erfahrbar.

Jeder Akzent wie ein Donnerschlag

Das Potpourri aus Einzelnummern und -sätzen in unterschiedlichsten Besetzungen (und mit sorgfältig einkomponierten Hamburg-Bezügen) hatte etwas von einer Tüv-Prüfung für den auf Hunderten Federpaketen ruhenden und so akustisch von der Außenwelt entkoppelten Konzertsaal. Die zu Beginn des Festakts erklungene „Prometheus“-Ouvertüre Ludwig van Beethovens machte klar, dass hier jeder Akzent wie ein Donnerschlag wirkt, sehr präsent und knochentrocken. Das kommt den Interpretationen Hengelbrocks entgegen, der hier wie auch in Felix Mendelssohn Bartholdys Ouvertüre „Ruy Blas“ und im Schlusssatz aus Johannes Brahms' zweiter Sinfonie auf Tempo, Klarheit und dynamische Kontraste setzte.

Aber die in den Ingenieurbüros des Japaners Yasuhisa Toyota entwickelte, nahezu hallfreie Akustik, die durch die genarbte Oberfläche Tausender individuell gefräster heller Gipsplatten erzeugt wird, ist zugleich anspruchsvoll und problematisch. In den groß besetzten Orchesterstücken wie Rolf Liebermanns vitalem, kraftgeladenem „Furioso“ wirken die Blechbläser oftmals überpräsent.

Im Vorspiel zu Wagners „Parsifal“ mischen sich die Klänge nicht wirklich. Dieser analytische Raum verzeiht nichts, schon gar keinen Patzer wie im Wagner-Vorspiel. „Die Akustik ist gnadenlos“, befand die Bonnerin Carla Spannbauer nach dem Konzert, „man hört jeden Fehler.“ Sie ist Geigerin im Beethoven Orchester und zählt zu den 1000 glücklichen Inhabern einer Loskarte. Seine Stärken offenbart der Raum, wenn etwa Philippe Jarouskys sphärische Countertenorstimme, nur begleitet von Margret Köll an der Barockharfe, gleichsam im Raum schwebt, oder das Ensemble Praetorius „Quam pulchra es“ von Jacob Praetorius herzergreifend vorträgt.

Die Orgel der Bonner Werkstatt Klais erklang leider (noch) nicht solo, aber immerhin prominent in zwei Orchesterstücken, in „Photoptosis“ des Kölners Bernd Alois Zimmermann und in dem eigens für den Eröffnungsabend in Auftrag gegebenem Orchesterwerk „Reminiszenz“, das der krankheitsbedingt selbst nicht anwesende Wolfgang Rihm im Andenken an den Hamburger Dichter und Orgelbauer Hans-Henny Jahnn schrieb.

Harmonie von Orgel und Orchester

Sowohl in Zimmermanns als auch in Rihms Werk machte Iveta Apkalna am Spieltisch deutlich, dass Instrument und Orchester bestens harmonieren. Als Solist für Rihms „Reminiszenz“, die als musikalisches „Triptychon und Spruch“ angelegt ist, war eigentlich Jonas Kaufmann vorgesehen, den jedoch Pavol Breslik ersetzte. Der Tenor gestaltete die unendlichen Melodiebögen dieser unter die Haut gehenden Todesmusik mit schönem Legato.

Die an diesem Abend durchgängig praktizierte Überblendung von einem Stück ins andere funktionierte meist gut, wirkte aber verstörend, als nach Rihms trauerumflorten „Spruch“-Schluss Beethovens Attacke in Gestalt des Beginns des vierten Satzes der neunten Sinfonie erfolgte. Als man sich aber eingehört hatte, war alles gut: Bryn Terfel schob sich mit mächtiger, etwas rustikaler Bassstimme ins musikalische Rampenlicht, Hanna-Elisabeth Müller (Einspringerin für Camilla Tilling) strahlte mit leuchtendem Sopran, Altistin Wiebke Lehmkuhl überzeugte ebenso wie erneut Pavol Breslik. Die Chöre des NDR und des Bayerischen Rundfunks verliehen den „Götterfunken“ Flügel. Aber dennoch: Auch hier mussten die NDR-Musiker der im Vorfeld als Weltklasse gepriesenen Akustik Tribut zollen.

Das Publikum honorierte diesen ersten Konzertabend mit großem Applaus. Die eigentliche Bewährungsprobe aber wird die Elbphilharmonie in den kommenden Jahren erfahren, wenn der erste Hype abklingt und wieder mehr Inhalte über den Erfolg entscheiden. Aber da hat Intendant Christoph Lieben-Seutter in den vergangenen Jahren auch schon ohne Elbphilharmonie viel Fantasie gezeigt.

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