„Mädchen wie die“ im Theater Bonn Wenn auf allen Smartphones plötzlich ein Nacktfoto auftaucht

Bonn · Es ist eine beklemmende Studie: Das Mobbingdrama „Mädchen wie die“ in der Werkstatt. Die Regisseurin Carina Eberle hat den Text auf vier junge Profischauspielerinnen verteilt.

 Klischees und Kleinkrieg: Szene aus „Mädchen wie die“ in der Werkstatt.

Klischees und Kleinkrieg: Szene aus „Mädchen wie die“ in der Werkstatt.

Foto: Beu/THILO BEU

Mitten im Geschichtsunterricht – es ging gerade um Frauenemanzipation im 20. Jahrhundert – ist es passiert. Alle Smartphones leuchteten auf. Alle Mädchen waren plötzlich hellwach: ein Nacktfoto ihrer Klassenkameradin Scarlett. In wenigen Minuten wissen es alle: Scarlett ist eine Schlampe. Dabei ist St. Helens eine Eliteschule. Nur zwanzig hochbegabte Mädchen pro Jahrgang werden aufgenommen.

Seit ihrem fünften Lebensjahr haben sie alle Lebenserfahrungen miteinander geteilt, sind wie eine perfekte Familie zusammengewachsen und nun in dem Alter, wo die sexuelle Neugier erwacht. Die Klassen sind zwar streng nach Geschlechtern getrennt, aber Jungs gibt’s an der Schule auch. Man trifft sich auf dem Schulhof oder bei Partys, flirtet. Und nun dieses Foto – Mädchen wie Scarlett bringen die ganze Gemeinschaft in Verruf.

Schlagartig ist die Freundschaft vorbei. Eine bringt es auf den Punkt: Es ist wie bei den Hühnern, die plötzlich grausam auf eine geschwächte Artgenossin einhacken. Um Mobbing geht es in dem 2013 in Birmingham uraufgeführten, mehrfach preisgekrönten und an etlichen deutschen Bühnen gespielten Stück „Mädchen wie die“ aber nur vordergründig.

Der kanadisch-britische Autor Evan Placey deckt dahinter Geschlechtsrollen-Klischees auf. Als kurz danach ein Nacktfoto des beliebten Schülers Russell auftaucht, steigert das eher sein Ansehen. Deutlich macht der Autor das mit der „Schlüsseltheorie“: „Ein Schlüssel, der eine Menge Schlösser aufkriegt, ist ein richtig guter Schlüssel.(…) Aber ein Schloss, das eine Menge Schlüssel öffnen können, ist ein echt beschissenes Schloss.“

Was in den Köpfen vorgeht

Die Regisseurin Carina Eberle hat in der Werkstatt des Theaters Bonn den Text auf vier junge Profischauspielerinnen verteilt. Soraya Abtahi, Julia Hofstaedter, Dorothée Neff und Joana Tscheinig verkörpern einzeln oder im Chor bravourös und mit viel Energie alle Figuren des bösen Spiels. Und sie zeigen, was in den Köpfen der Mädchen vorgeht, die froh sind, dass es nicht sie getroffen hat. Wie sie ihre bisherige Freundin nicht nur verbal demütigen, geht unter die Haut.

Die aus der Gemeinschaft verbannte Scarlett hat freilich auf alles nur eine lakonische Antwort: „Klar“. Keine Wut, keine Verteidigung, keine Verzweiflung, nur dieses nüchterne „Klar“. Mitunter erscheinen die Mädchen per Video als Frauen früherer Generationen. Die Urgroßmutter, die für das Frauenwahlrecht kämpfte, die ersten Vertreterinnen in Parlamenten. Die Großmutter, die in den 1960er Jahren unter dem Motto „Mein Körper gehört mir“ neue Freiheiten eroberte. Die Mutter, die sich unbeirrt eine berufliche Führungsposition erarbeitete.

Die spannende, rund 90-minütige Inszenierung lässt den Ausgang offen. Ohne pädagogischen Zeigefinger spielt sie unterhaltsam mit den unverschämt witzigen Momenten der ernsten Geschichte. Überzeugter Beifall vom überwiegend jungen Publikum bei der ausverkauften Premiere.

Nächste Vorstellungen in der spartenübergreifenden Kinder- und Jugendreihe „Portal“ am 4./ 11.März und am 2. April jeweils um 18.00 Uhr. Tickets bei allen üblichen Vorverkaufsstellen.

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