Debatte um Bernd Stelter Was darf der Karneval?

Bonn · Der Narr ist teuflischen Ursprungs: Bernd Stelter hat mit seine Einlassungen über Doppelnamen eine Debatte ausgelöst. Was darf der Karneval? Eine Betrachtung aus gegebenem Anlass.

 Der Kabarettist Bernd Stelter

Der Kabarettist Bernd Stelter

Foto: picture alliance / dpa

Was für eine Aufregung! Da wagt ein Humorist ein müdes Späßchen über Doppelnamen von Frauen, und sogleich wird die Bühne „gestürmt“ von einer in diesem Sinne betroffenen Zuhörerin. Bernd Stelter ist das jetzt bei einer Fernsehsitzung passiert, ausgerechnet Stelter, der bislang nicht sonderlich als politisch unkorrekter Krawallbruder aufgefallen ist. Zu erklären (und zu entschuldigen) ist die skurrile Aufregung eigentlich nur damit, dass, mehr oder weniger, ein Missverständnis vorliegt. Genau genommen darüber, was Karneval ist, was Karneval darf und können muss.

Ja, ja, und jetzt wird wieder der alte Tucholsky hervorgekramt und eifrig nachgelesen, was er vor exakt 100 Jahren im „Berliner Tageblatt“ über die Satire geschrieben hat. Seine Ausgangsfrage dabei war: Was darf Satire? Seine Antwort darauf lautet (kurz gefasst): Alles! So weit, so einfach – und so bedingt zutreffend. Weil Karneval nicht allzu viel mit dieser Art von Satire zu tun hat. Satire trifft den Adressaten überraschend, hinterrücks. Sie riskiert, missverstanden zu werden. Sie ist eine Provokation an sich. Beim Karneval ist so etwas aber Programm. Die ganze närrische Zeit ist bestimmt von Übertretungen, Diffamierungen, Beleidigungen und in diesem Sinne auch Diskriminierungen. Was ansonsten die Gesellschaft ahndet, wird im Karneval toleriert. Die Frage ist also nicht: Was darf Satire? Sondern: Was darf der Karneval? Auch alles? Oder wenigstens fast alles?

Karneval ist erst einmal das: ungerecht, gemein und fies. Die klassische Narrenkappe hat links und rechts jeweils einen komischen Bömmel. Wie zwei verkappte Hörner, teuflische Hörner, wie manche auch sagen. Der klassische Narr und seine Späße sind demnach eher zu fürchten.

Absolute Narrenfreiheit

An den fürstlichen Höfen des Mittelalters hielten sich die Herrscher gerne einen Narren. Der durfte alles sagen, selbst gegen den König. Der lachte dann darüber und mit ihm die Hofgesellschaft. Der Narr hatte absolute Narrenfreiheit. Er durfte dem Herrscher auch mal den Spiegel vorhalten, aber da es ein närrischer war, blieb das Treiben akzeptabel. Doch eigentlich war es mehr als das: Der Narr zeigte mit all seinem Un- und Irrsinn, wie gut es ist, einen Fürsten, einen Gescheiten also, am Hof zu haben.

Bei der Regentschaft der Narren geht es drunter und drüber, bis heute. Der Sturm der Rathäuser zu Altweiber ist ein irres Zwischenspiel, das alle genießen und keiner sich auf Dauer wünscht. Die Eroberungen der Machtzentren sind so gesehen staatstragend. Auch darum wurde der Narr vor allem früher so sehr geduldet und im wahrsten Wortsinn hofiert. Der Narr war und ist ein Anti-Revolutionär; er fordert keinen Umsturz, keinen dauerhaften Machtwechsel.

Alle Übertretungen scheinen in absolutistischen Gesellschaften einfacher gewesen zu sein, als sie es heute in demokratisch organisierten und geführten Staaten sind. Die Frage lautet jetzt vielmehr: Was hält die Gesellschaft aus? Und was ist sie bereit zu ertragen? Staatsleute lächerlich zu machen und bloßzustellen, ist weitgehend unproblematisch. Das Gleiche gilt bei kirchlichen Würdenträgern. In demokratischen Gesellschaften, in denenfast jeder fast alles sagen kann, büßt das Spötteln über die Führungsschicht Brisanz und Gift ein. Witze zur Me-too-Debatte sind grenzwertig, Darstellungen von „schwarzen Wilden“ ebenso. Überschritten ist die Grenze hingegen bei allen närrisch getarnten Angriffen, die antisemitisch gedeutet werden können. Es waren die Nazis, die Juden auch auf Motivwagen diffamierten und wenig später in die Vernichtungslager deportierten.

Der Narr ist teuflischen Ursprungs. Und man darf sich vor ihm ruhig fürchten. Nur aus der Welt zu schaffen ist sein Treiben nicht mehr. Wie weit Verletzungen aber gehen dürfen, ist dem Einzelfall geschuldet und mitunter auch der Zeit. Darum ist es für die Duldung ätzender Angriffe so sinnvoll, einen eigens gekennzeichneten Raum dafür zu schaffen. Dieser Raum heißt Karneval. Es bleibt zwar ein gefährlicher, durchaus kontaminierter Raum, weil nie ganz klar sein dürfte, ob das, was da gezeigt, herausgeschrien und gesungen wird, nicht doch vielleicht eine Meinungslage wiedergibt.

Klare zeitliche Begrenzung

Entschärft wird die heikle Situation erst durch ihre klare zeitliche Begrenzung. Wie heißt es doch? Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Ab Aschermittwoch soll also wieder die vermeintliche Vernunft regieren. Die Rückkehr der Politik wird dann machtvoll und gleichfalls lautstark dokumentiert: In den politischen Aschermittwoch-Reden unserer prominenten Landesvertreter wird verloren gegangenes Macht-Terrain zurückerobert. Die verbale Krafthuberei im Bierzelt-Ambiente lässt noch Erinnerungen an die tollen Tage wach werden. Die Übergänge sind also fließend.

Gabriele Möller-Hasenbeck, die wegen des Doppelnamen-Witzes die Bühne von Bernd Stelter im Gürzenich „eroberte“, wurde des Raumes verwiesen. Ihr Mann auch.

„Im Karneval ist alles erlaubt. Aber es ist 'ne Einbahnstraße“, sagte Gabriele Möller-Hasenbeck später. Womit sie zweifelsohne recht und das Abgründige des Karnevals in ganzer Tiefe ermessen hat.

Die Debatte: Seit dem Eklat des Auftritt von Bernd Stelter tobt bundesweit unter dem Stichwort #steltergate eine Debatte um Doppelnamen. TV-Mitschnitt: Die Sendung „Karneval in Köln“ wird am Rosenmontag um 20.15 Uhr im Ersten gezeigt; sie ist ein Zusammenschnitt zweier jeweils sechsstündiger Aufzeichnungen im Fernsehen. Die Szene, in der eine Frau auf der Bühne die Rede von Bernd Stelter stört, ist aber nicht zu sehen. Der Westdeutsche Rundfunk hat sich entschlossen, sie rauszuschneiden.

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