Buchtipp Über die Architektur der Bonner Republik

Bonn · Elisabeth Plessens hoch spannende Untersuchung über die Architektur der Bonner Republik 1949-1989. Die Dissertation ist nun als Buch erschienen

 Bundeshaus Bonn (um 1962, Architekten Martin Witte, Hans Schwippert, Bundesbaudirektion) FOTO: STADTARCHIV BONN/WESTDEUTSCHE LUFTFOTO PALLE THOMSEN

Bundeshaus Bonn (um 1962, Architekten Martin Witte, Hans Schwippert, Bundesbaudirektion) FOTO: STADTARCHIV BONN/WESTDEUTSCHE LUFTFOTO PALLE THOMSEN

Foto: Stadtarchiv Bonn

Wer das Merian-Städteheft von 1976 über Bonn aufschlägt, kann Peter M. Bodes schroffes Urteil lesen: „Wohl keine Regierung in der ganzen Welt hat so viel architektonisches Chaos produziert wie der Bund in Bonn.“ Die Architekturhistorikerin Ingeborg Flagge meinte, dass „mit der Bonner Staatsarchitektur kein Staat zu machen“ sei. Und der Journalist Johannes Gross legte noch einen drauf: „In 40 Jahren wachsenden Wohlstandes hat der Staat Bundesrepublik nicht ein einziges Gebäude von architektonischem Rang errichtet.“ Kaum ein Chronist, der gnädig über die Bonner Bundesbauten urteilte. Das passt zum Negativimage der provisorischen Hauptstadt, die sich erst 1969 dazu durchrang, den Regierungssitz repräsentativer zu gestalten. „Schlecht über Bonn zu sprechen, gehörte stets zum guten Ton“, schrieb 1994 „Der Spiegel“.

Wolfgang Pehnt aber äußerte so etwas wie Verständnis: Vielleicht sei der lange Weg zur Bundeshauptstadt auch ein Abbild der Gesellschaft, „widersprüchlich in ihren Interessen, bald kleinmütig, bald zu großen Zielen aufgelegt, die sich dann wieder nicht realisieren lassen“. Eine Gesellschaft, die offen für Revisionen, neue Ideen und fähig zu Kompromissen sei, baue vielleicht so.

Mehr Architektur wagen

Die in Bonn lebende Elisabeth Plessen hat sich offenbar von der Kritik an den Bonner Bundesbauten nicht abschrecken lassen. Nach einem Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie in Köln und einem Architekturstudium in Stuttgart legte sie 2015 ihre Dissertation mit dem Titel „Mehr Architektur wagen? Bauten des Bundes zwischen 1949 und 1989 im Spiegel zeitgenössischer Wahrnehmung und Kritik“ vor. In einer überarbeiteten Fassung erscheint das Werk nun unter dem Titel „Bauten des Bundes 1949-1989“ (Dom Publishers), ein hochspannendes, gewichtiges Stück Architekturgeschichte auf 675 Seiten und 550 Abbildung. Es ist die erste Dokumentation von 154 realisierten und 14 geplanten Bundesbauten. Die werden minuziös beschrieben, analysiert und in den Kontext der Presse-Berichterstattung gestellt.

Das breit publizierte Negativimage der Bonner Baumeister habe sie eher angestachelt, sich näher mit der Bundesarchitektur zu befassen, erzählt sie im Gespräch. Sie war überrascht, wie viele Bauten es sind – die „Stufen der Identitätsbildung einer Gesellschaft durch Architektur“. „Es hat mich gereizt, zu sehen, wie Deutschland architektonisch auftritt, wie ein Staat versucht, eine Form zu finden.“ Die Pauschalurteile über Bonn und das „Amalgam aus Aversionen gegen eine Stadt“ – „das musste einmal aufgedröselt werden“, sagt die Autorin, „für mich ist das der Kulminationspunkt für Unbehagen und Hilflosigkeit – Bonn hatte so viele offene Flanken“. Da stießen die Medien hinein. Aus der Rezeption der Architektur der Bonner Republik, ließ sich, so Plessen, der Zustand einer in Repräsentationsdingen lange unsicheren Gesellschaft herauslesen.

Plessen hat in ihren Untersuchungen seit 2010 ein hochinteressantes, weites Feld beackert. Die Skala reichte von „banal und seriös“ und „mit einem Touch zur Langweiligkeit“ – da fallen Plessen Objekte wie die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung in Dortmund ein – bis begeisternd – etwa Alexander Freiherr von Brankas Residenz der Botschaft am Heiligen Stuhl in Rom oder die Deutsche Botschaft in Rio des Bonners Ernst van Dorp.

Die Geschichte von Sep Rufs Kanzlerbungalow, den Ludwig Erhard eher im Verborgenen planen ließ und der ab Ende 1963 unter Anteilnahme der Öffentlichkeit gebaut wurde, erzählt Plessen als spritzige Architektur-Moritat in fünf Akten. Der auf 2,4 Millionen D-Mark veranschlagte Bau sei „zu teuer“, schrieben Medien („Maßhalten, Herr Erhard!“). Gleichwohl akzeptierte die Bevölkerung offenbar das „dienstliche Schwimmbad“.

Wenn der Dicke dicker wird

Der „Bildzeitung“ war der „Puppenstuben“-Bungalow „zu klein“, „wenn der Dicke immer dicker wird“. Weiteres Problem: Der Bungalow schien manchen zu modern. Die Illustrierte „Quick“ etwa bemängelte in einer Homestory den kargen Wohnstil, mit dem sich der „barocke Regierungschef“ habe arrangieren müssen. Die Medien hatten lange schon das Interesse an „Ludwigs Lust“ verloren, da stichelte Konrad Adenauer in Hörweite des neuen Kanzlers und Bungalowbewohners Kurt Georg Kiesinger bei seiner Feier zum 91. Geburtstag: „Der brennt nicht mal...“ Beide Politiker waren sich einig in der Ablehnung des Ruf-Baus.

Kiesinger ließ den Bungalow 1967 innen umgestalten. Im selben Jahr erschien ein Buch mit dem Erhardt'schen Originalkonzept. Die Kritik lobte es und verurteilte Kiesingers Eingriffe: „Ich bedaure, dass die wunderbare Einheit des Baues bedroht ist durch eine zweitklassige innere Möblierung, die dem repräsentativen Charakter des Baues nicht gerecht werden wird“, mäkelte kein Geringerer als Bauhaus-Gründer Walter Gropius.

Rückblickend stehe der Bungalow, so Plessen, für eine Zeit, in der die Politik noch überschaubar erschien. „Er ist eine politische Ikone“, sagt sie, architektonisch gut und solide, doch den Gedanken, wie sich hier Privates und Repräsentatives in „einem deutschen Wohnzimmer“ mische, den Gedanken findet Plessen revolutionär. Ähnlich pointiert arbeitet sie sich durch die Architekturlandschaft des Bundes. Da taucht etwa das Bundeskanzleramt der Planungsgruppe Stieldorf in Gestalt der „Chronik einer angekündigten Enttäuschung“ auf. Kanzler Helmut Schmidt urteilte über den Bau: „Landläufig geschäftsmäßig – wie eine Sparkasse.“ Zum Vergleich stellt die Autorin Hans Scharouns Deutsche Botschaft in Brasilia vor. Das Kapitel über die mitunter hochklassigen Botschaften ist ähnlich spannend wie das der ausländischen Schulbauten, die der Bund in Madrid und Kabul, Athen und Jakarta baute.

Persönlich aufregend fand die Autorin das Jahr des Mauerfalls 1989 als Kulmination einer ungeheuren Dynamik, die in einer „Vollbremsung“ endete. „Plötzlich wollte man Gesicht zeigen“, erzählt sie. Doch es war zu spät. Noch 1987 und 1988 gab es in Bonn umfangreiche Pläne für Ministerialbauten (Entwicklungshilfe und wirtschaftliche Zusammenarbeit; Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit; Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit), die dann doch nicht ausgeführt wurden. 1989 lobte der Bund einen Wettbewerb für einen Erweiterungsbau des Bundesrates aus. Bereits 1986 startete der Wettbewerb für den Bau der Bundeskunsthalle, dessen Planungen auf das Jahr 1949 zurückgehen. Wenige Wochen vor dem Mauerfall wurde der Grundstein gelegt.

Kurz zuvor hatte der erste Spatenstich zum Haus der Geschichte stattgefunden. Im Oktober 1989 war Baubeginn des Abgeordneten- und Fraktionsbauses, besser bekannt unter dem Namen Schürmannbau, 1993 beim Rheinhochwasser abgesoffen, inzwischen Sitz der Deutschen Welle. 1986 hatten die Bauarbeiten zum Plenarsaalbau von Behnisch & Partner begonnen, Ende 1992, über ein Jahr nach dem Umzugsbeschluss der Regierung nach Berlin, wurde er feierlich eröffnet. Vier Monate zuvor waren die Bundeskunsthalle und das städtische Kunstmuseum eröffnet worden.

„Der Bund wollte sich eine selbstbewusste, geplante Sichtbarkeit in der Stadt geben“, sagt Plessen. Endlich, müsste man dazu sagen. Doch die Geschichte hatte andere Pläne.

Elisabeth Plessen:Bauten des Bundes 1949-1989. Zwischen Architekturkritik und zeitgenössischer Wahrnehmung. Dom Publishers 675 S., 550 Abb., 98 Euro.

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