TV-Talk in der ARD Talkrunde bei Anne Will diskutierte über Burnout

Düsseldorf · Im Ersten geht es um das Thema Burnout. Die Linken-Politikerin erklärt, warum sie den Fraktionsvorsitz abgibt und wie es ihr heute geht. Thomas de Maiziére sagt, wie er sich nach seiner plötzlichen Ausbootung gefühlt hat, von der er aus der Presse erfuhr.

Über die Gesundheitsrisiken der Arbeitswelt diskutierte Moderatorin Anne Will mit ihren Gästen – und blieb konkrete Antworten schuldig. Fazit: Schade um die Zeit.

Darum ging's

Über das Thema „Zwischen Höchstleistung und Überlastung – macht Arbeit krank?“ diskutiert Moderatorin Anne Will mit drei Politikvertretern, von denen zwei – entweder freiwillig oder unfreiwillig – inzwischen kürzergetreten sind. Außerdem hat sie zwei Vertreter aus Medizin und Pflege eingeladen.

Darum ging's wirklich

Dass die Sendung eine rhetorische Ausgangsfrage hatte, dürfte nicht geholfen haben. Der Erkenntnisgewinn nach 60 Minuten war bemerkenswert dürftig: Sahra Wagenknecht hat in zwei Monaten mehr Bücher gelesen als in drei Jahren zuvor. Thomas de Maizière kann wieder rückwärts einparken. Vor allem in Pflegeberufen sind Arbeitnehmer chronisch überlastet. Ach ja, und Katja Suding war auch noch dabei. Warum, das blieb Geheimnis der Anne-Will-Redaktion.

Die Gäste

  • Sahra Wagenknecht (49, Die Linke), Fraktionsvorsitzende im Bundestag
  • Thomas de Maizière (65, CDU), Bundesminister a.D.
  • Katja Suding (43, FDP), Stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag
  • Alexander Jorde (23), Auszubildender in der Gesundheits- und Krankenpflege
  • Klaus Lieb (54), Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz

So lief die Sendung

Moderatorin Anne Will ist mit der Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel verheiratet, die in „Brief an mein Leben“ ihre eigenen Erfahrungen mit Burnout sehr lesenswert beschrieben hat. Insofern versprach das Thema, moderiert von Anne Will, eine spannende Sendung.

Will versucht zu Beginn, Sahra Wagenknecht sinnbildlich auf die Couch zu legen, ganze zehn Minuten lang. Diese gibt ruhig und besonnen Auskunft und versucht wiederum, den Fokus von sich auf prekär Beschäftigte zu lenken. Sie habe gemerkt, dass sie einen bestimmten Dauerstress nicht mehr aushalte, sagt die Linken-Politikerin. „Wie viel bewegt man noch, wenn man innerlich immer ausgebrannter wird“, habe sie sich gefragt und sich nach mehreren Krankheitsepisoden seit vergangenem Jahr schließlich gezwungenermaßen krankschreiben lassen. Auch wenn sie den Fraktionsvorsitz der Linken aufgeben werde, bedeute das jedoch nicht, dass sie sich aus der Politik zurückziehe oder ihre Ziele überdenke.

Im Unterschied zu Politikern würden aber andere Menschen, die ein hohes Arbeitspensum haben, oft dazu noch sehr schlecht bezahlt. Diese könnten häufig nicht einfach für eine Weile aus dem Arbeitsleben aussteigen, weil das für sie oft mit sozialem Absturz verbunden sei. „Wir müssen menschlicher miteinander umgehen, auf allen Ebenen, und vor allem in der ganz normalen Arbeitswelt“, fordert Wagenknecht. Ihr gehe es nach zwei Monaten Pause, in denen sie so viele Bücher wie in den vergangenen drei Jahre nicht gelesen habe, wieder gut: „Ich habe mich regeneriert, aber ich möchte das nicht nochmal erleben.“

„Das verdient Respekt, wenn jemand sagt, mein Körper setzt mir Grenzen“, sagt der frühere Bundesminister Thomas de Maizière (CDU). „Das hilft allen, die davon betroffen sind.“ Moderatorin Will erkundigt sich, wie er erlebt habe, als er nach vielen stressigen Jahren, in denen er zum Teil heftig erkrankt weitergearbeitet habe, „abserviert“ wurde. De Maizière räumt ein, dass die Anfangszeit – nach den Wechseln vom Innen- zum Außenminister und retour, gefolgt von einer plötzlichen Information aus der Presse, dass er nicht mehr gebraucht werde – „schmerzhaft“ war. Aber der Abschied sei „ehrenvoll“ gewesen, was nicht jedem früheren Minister vergönnt sei. „Ich habe mir jetzt neues Leben eingerichtet, im Nachhinein war es gut so“, sagt er.

„Können Sie wieder rückwärts einparken?“, hakt Will nach. „Das ist ein Bild der Wiederherstellung der Alltagstauglichkeit von meiner Frau“, erklärt de Maizière die Umstellung vom Rund-um-Bewachten mit Sonderbehandlung am Flughafen zurück zu einem Leben als normaler Reisender, der Kosmetika in durchsichtige Plastiksäckchen packen muss. Das habe er prompt vergessen, obwohl er die Regelung selbst beschlossen habe, räumt der Politiker ein und erntet dafür Lacher.

Der Pfleger Alexander Jorde, der vor zwei Jahren Angela Merkel beim Thema Pflegenotstand herausforderte, bekam durch jenen Auftritt über seine eigentliche Tätigkeit als Pfleger – damals in Ausbildung – hinaus viel Aufmerksamkeit, aber auch viel zusätzliche Arbeit. Er sprach in Talkshows und nahm an der Produktion einer TV-Dokumentation zum Thema teil. Bei Anne Will betont er erneut, unter welch großer Belastung Menschen in Pflegeberufen stehen. Bei jeder dritten Person sei die Belastung so hoch, dass diese es nicht in diesem Beruf bis zur Rente schaffe.

Laut einem Einspieler hat sich die Zahl der Krankheitstage wegen psychischer Probleme in Deutschland zwischen 2007 und 2017 von 48 Millionen auf 108 Millionen verdoppelt, wegen „Burnout“ sogar verdreifacht. Zu wenig Arbeit – „Boreout“ – könne aber auch krankmachen, fällt in der Runde der Einwand.

Den Schlussteil der Sendung widmet Anne Will der Frage, wie Politiker damit umgehen, immer in der Öffentlichkeit zu stehen, Personenschützer zu benötigen, womöglich auch körperlich angegriffen zu werden. Wagenknecht und de Maizière sind sich einig: Das gehört dazu, das nimmt man in Kauf, wenn man sich für diesen Job entscheidet, auch dass das Handy nachts und im Urlaub stets an ist. Dafür bekomme man im Gegensatz zu einfachen Bürgern auch mal Zuspruch wie aufmunternde oder dankbare Mails, findet Wagenknecht.

Buchstäblich in der letzten Minute darf Experte Klaus Lieb konkrete Tipps geben, was man gegen Erschöpfungszustände tun kann. Achtsamkeitsübungen seien erwiesenermaßen hilfreich, sagt der Mediziner. Außerdem treibe er regelmäßig Sport und achte auf Pausen. Das stimmt freilich. Aber vielleicht hätte man als Zuschauer die Stunde doch lieber geschlafen und sich erholt anstatt „Anne Will“ zu schauen.

Dieser Text ist zuerst auf RP Online erschienen.

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