Wenn Justitia wackelt "Strafe" ist das neue Buch von Ferdinand von Schirach

Ferdinand von Schirach entführt mit „Strafe“ wieder in die Grauzonen des Gesetzes. In zwölf Geschichten schildert der Autor anrührende Schicksale und abstruse Kriminalfälle.

 Lapidar und authentisch kommen Ferdinand von Schirachs Geschichten daher – wie die Fälle, die Eduard Zimmermann, Vater des ZDF-Klassikers „Aktenzeichen XY ... ungelöst“, nüchtern unters TV-Volk streute.

Lapidar und authentisch kommen Ferdinand von Schirachs Geschichten daher – wie die Fälle, die Eduard Zimmermann, Vater des ZDF-Klassikers „Aktenzeichen XY ... ungelöst“, nüchtern unters TV-Volk streute.

Foto: picture-alliance/ dpa

Das erzählerische Raffinement hält sich bei ihm in Grenzen. Ferdinand von Schirach sprüht zumindest in seinen juristischen Fallstudien nicht gerade vor Wortwitz. Poesie und sprachliche Mystik sind seine Sache nicht. Eher die präzise Anamnese, der abgeklärte Bericht, in dem kein Wort zu viel und keines zu wenig steht. So verbreiten seine zwölf Storys, die er jetzt unter dem Ober-begriff „Strafe“ herausgebracht hat, am ehesten den spröden Charme einer Gerichtsakte.

Literarisch ist das vielleicht etwas dünn, aber wahrlich nicht ohne Reiz: Diese Protokolle bestechen durch ihre nüchterne, existenzielle Ausweglosigkeit. Verhandelt werden Fälle, besser noch: Grenzfälle, in denen Individuen dies- und jenseits des gesetzlich Erlaubten ihren Weg suchen müssen und finden. Bisweilen, das weist der Autor des kontrovers diskutierten Bühnen- und TV-Blockbusters „Terror“ nach, gibt es offenbar keinen anderen Weg, als den, sich gegen das Gesetz zu entscheiden.

Und manchmal kann auch die Justiz nicht anders, als vermeintliches Unrecht durchgehen zu lassen, wenn andere Rechtsgüter das gleichsam erzwingen. In Stein gemeißelt erscheint da nichts, Justitia ist nicht nur blind, sondern auch äußerst wankelmütig.

Als Strafrechtler kennt sich der Autor in diesen Grauzonen aus. Die Vorgängerbücher „Verbrechen“ (2009) und „Schuld“ (2010) speisten sich aus Schirachs Kanzleialltag und wurden zu Bestsellern auf dem Buchmarkt. Etliche Kurzgeschichten aus „Verbrechen“ und „Schuld“ wurden von Oliver Berben unter anderem mit Moritz Bleibtreu verfilmt und im ZDF als Miniserien gesendet. Es spricht viel dafür, dass sich Berben auch die Rechte an „Strafe“ sichert.

Die böse Welt dringt ins häusliche Wohnzimmer

Die Schirach-Verfilmungen sind problematisch, bringen sie doch eine fiktionale Ebene, inszenatorische Effekte und ausschmückende Details ins Spiel, die so gar nicht zum kargen, nüchternen, ja zum authentisch wirkenden Berichtstil der von Schirach'schen Prosa passen mögen. Der Leser der Texte imaginiert eigentlich bestenfalls eine Situation à la „Aktenzeichen XY ... Ungelöst“, der legendären TV-Fahndungssendung mit Stimme aus dem Off, mehr oder weniger lausigen Laiendarstellern und dem abschließenden Rapport eines Kriminalbeamten, der den Stand der Ermittlungen trocken referiert und die Zuschauergemeinde zu „sachdienlichen Hinweisen“ ermuntert.

Der jeweilige Fall nimmt im Kopf, in der Fantasie Gestalt an und speist seine Dramatik aus dem bangen Gefühl beim Zuschauer, das alles habe sich so oder so ähnlich tatsächlich abgespielt, unter normalen Menschen, vielleicht unmittelbar in der Nachbarschaft. Die böse Welt dringt kaum gefiltert ins häusliche Wohnzimmer. Genau das ist auch der Thrill in von Schirachs Geschichten, genau deswegen gehen sie trotz ihrer lapidaren Machart ans Herz, regen auf, rühren bisweilen zu Tränen. Lebenswege und -strategien tun sich auf, denen alles vordergründig Spektakuläre abgeht.

In diesem Sinn ruft der Autor seine Täter, Opfer, Zeugen auf. Da ist der abgehalfterte, desillusionierte Strafverteidiger Schlesinger, der alle drei Monate Notdienst hat und dann einspringen muss, wo sich kein anderer Anwalt findet. In der Regel kommt kein Anruf. Doch dann bekommt er den anscheinend aussichtslosen Fall einer Frau auf den Tisch, die ihren Mann erschossen haben soll. Alles spricht gegen sie. Schlesinger, der Loser, wächst über sich hinaus.

Das Finale erschüttert

Keine Chance hingegen hat die junge Mutter, die vor Gericht zugibt, ihr Baby gegen die Wand geschlagen und so getötet zu haben. Sie sei völlig überfordert gewesen, sei vermindert schuldfähig, weil sie ihr Mann alleine mit dem Kind gelassen habe, befindet der Richter und schickt sie dreieinhalb Jahre in Haft. Doch so einfach gelagert war der Fall nicht. Erschüttert liest man das Finale.

Was ist mit dem jungen Vater passiert, der, um sein Trauma zu verwinden, zu extremen und lebensgefährlichen Sexualpratiken greift, und wie geht seine Frau damit um? Das ist ein weiterer Fall, der von Schirach beschäftigt und den er in knapper Form referiert.

Wie wird ein Mensch, ein Durchschittsbürger, zum arglistigen Mörder? Welche aberwitzige Entwicklung kann ein Kriminalverfahren vor Gericht nehmen, weil eine Schöffin – mit ihrer eigenen Geschichte im Hintergrund – im falschen Augenblick Gefühle zeigt? Von Schirach gibt karge Antworten. So kühl die Geschichten auch erzählt werden, sie lassen einen nicht kalt. Kaum ein Schicksal, das nicht in Erinnerung bleibt.

Ferdinand von Schirach: Strafe. Luchterhand, 192 S., 18 Euro. Von Schirach stellt sein neues Buch bei der Lit.Cologne am 15. März im Kölner Theater am Tanz-brunnen vor. Katty Salié moderiert.

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