Bildbiografie über Arno Schmidt Stationen eines Lebens

„Existenz in hohem Grade umwelt- und landschaftsbedingt; Gliederung daher nach Orten“: Die erste umfangreiche Bildbiografie über Arno Schmidt folgt dem Rezept des Autors.

 Porträt des Autors als Katzenfreund: Arno Schmidt (1914-1979) legte keinen Wert auf menschliche Gesellschaft.

Porträt des Autors als Katzenfreund: Arno Schmidt (1914-1979) legte keinen Wert auf menschliche Gesellschaft.

Foto: © Arno Schmidt Stiftung

Arno Schmidt hat es selbst festgelegt. „Nur beim ersten Überfliegen hört sich ein Satz, wie dieser, absurd an: ich verlange, gesetzgeberisch festzulegen, daß spätestens 50 Jahre nach dem Tode eines Schriftstellers seine Biographie nicht nur erscheinen darf, sondern muß!“ Fanny Esterházy ist sich bewusst, dass dieses Diktum des Schriftstellers mit der von ihr herausgegebenen Bildbiografie noch nicht eingelöst ist.

Eine Bildbiografie kann keine Biografie ersetzen. Sie nimmt keine Wertungen vor, und sie hat Lücken; bei weitem nicht alles lässt sich bildhaft ausdrücken – gerade bei einem (Text-)Autor nicht. Aber was sie kann, ist der Bildbiografie glänzend gelungen: Sie macht das Leben Arno Schmidts anschaulich.

Wohl kaum ein anderer Schriftsteller war sich der Bedeutung von Bildern für ein Leben so bewusst wie Arno Schmidt: „Mein Leben?!: ein Tablett voll glitzernder snapshots“, schrieb er in „Aus dem Leben eines Fauns“. Was also wäre konsequenter, als sein Leben mit einer Bildbiographie nachzuzeichnen, die mosaikartig das Panorama dieser eigenwilligen und sonderlichen Schriftstellerexistenz zusammensetzt.

Einführende Texte von Bernd Rauschenbach geben einen Überblick über die Stationen dieses Lebens – die Kindheit in Hamburg, die Jugend in Schlesien, Kriegszeit und Nachkriegselend, die wiederholten Wohnortwechsel, bis Arno Schmidt in Bargfeld in der Lüneburger Heide die „ihm gemäße Landschaft“ findet.

Arno Schmidt wurde am 18. Januar 1914 in Hamburg geboren und verbrachte in der Hansestadt seine Kindheit und Jugend. Am Ende seines Lebens lebte er völlig abgeschieden im dörflichen Niedersachsen. Er starb am 3. Juni 1979 in Celle.

"Vom Ort abhängig"

Für die erste umfangreiche Bildbiografie dieses Autors, eines der wichtigsten deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts überhaupt, hat Herausgeberin Fanny Esterházy in Archiven nachgeforscht und Unbekanntes und zum Teil Verblüffendes zutage gefördert: Fotos, Zeichnungen, Dokumente aller Art, Bücher und Manuskripte, Notizen und Briefe, Zeitungsartikel, Alltägliches und Kurioses.

Ergänzt und erläutert wird das vielfältige Material durch Textpassagen aus Arno Schmidts Werk, Auszüge aus den Tagebüchern des Autors wie seiner Frau Alice Schmidt sowie Kommentare von Schriftstellerkollegen und Freunden.

Arno Schmidt hat uns zahlreiche Hinweise hinterlassen, wie er sich Aufbau und Struktur einer Biografie vorstellte, gerade der eigenen. In seinem Vorwort zu „Materialien für eine Biographie“ heißt es, „er sei in entscheidendem Maße vom Ort abhängig“, daher müssten die „Groß=Abschnitte als Titel fast immer den Namen meines jeweiligen Aufenthaltsortes tragen“. In einem „Biogramm“ schreibt er zudem: „Leben: Existenz in hohem Grade umwelt- und landschaftsbedingt; Gliederung daher nach Orten.“

Die erschienene Bildbiografie folgt diesen Hinweisen Schmidts weitgehend – mit Ausnahme des ersten Kapitels, das seine Vorfahren und Eltern zum Thema hat, und eines Teils über die Kriegsjahre. Alle anderen Kapitel sind für die Wohnorte Schmidts reserviert: Das Hamburg der Kinderzeit, die Jugend in den niederschlesischen Kleinstädten Lauban und Greiffenberg, nach dem Krieg dann Cordingen (in der Lüneburger Heide), Gau-Bickelheim (bei Mainz), Kastel (an der Saar), Darmstadt und schließlich Bargfeld. Jedes der elf Kapitel wird mit einem Text von Bernd Rauschenbach eingeleitet; diese Texte geben jeweils eine präzise Einführung in die jeweilige Lebenssituation des Prot-agonisten.

Hinweise für die Nachwelt

Die Bebilderung des Bandes stammt überwiegend aus dem Nachlass Arno Schmidts. Sie wird ergänzt um Bilder aus anderen Archiven, die den Blick auf das zeitgenössische Panorama freigeben. Schmidt bewahrte auch für uns scheinbar nebensächliche Dinge sorgfältig auf, versah sie teils sogar mit erläuternden Hinweisen für die Nachwelt.

So finden sich neben Bildern, Typoskripten, Fotos und Briefen auch Fernsehzeitungen, Versandkataloge, Werbeprospekte und Etiketten von Flaschen und Konserven. Auch für dieses eigentümliche Verhalten hatte Schmidt eine Erklärung parat: „moderne Schriftsteller müßten gesetzlich dazu angehalten werdn, zu notiren, was für Sendungen sie=sich so täglich angesehen habm.“

Der neue Band weitet durch viele bisher unveröffentlichte Artefakte aus dem Nachlass den Blick auf den Künstler und seine Kunst, sagt Bernd Rauschenbach über das Buch: „Jede Bildbiografie geht davon aus, dass das Werk und das Leben miteinander verbunden sind, und diese Bildbiografie ist eine Schaltstelle, in der man in beide Richtungen schauen kann, aufs Werk und aufs Leben. Und die Geschmäcker sind verschieden, aber es gibt Menschen, die gern wissen wollen, was hinter der Literatur an Leben steckt. Das kann man in so einer Bildbiografie natürlich sehr gut sehen.“

All dies ist ihm gemeinsam mit Fanny Esterházy und Friedrich Forssmann meisterlich gelungen. Ihre opulente Bildbiografie ist eine akribische Spurensuche in Werk und Vita eines der bedeutendsten deutschen Schriftsteller.

Fanny Esterházy (Hg.): Arno Schmidt – Eine Bildbiographie. Suhrkamp, 460 S., 68 Euro

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