Am Puls der Natur Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für Sebastião Salgado

Bonn · Der brasilianische Fotoreporter Sebastião Salgado bekommt am Sonntag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Er hat von Armut oder Vertreibung geplagte Menschen, aber auch Tiere und unbelebte Landschaften in 120 Ländern der Erde fotografiert.

 Sebastiao Salgado stellt in Frankfurt seinen Fotoband „Gold“ vor.

Sebastiao Salgado stellt in Frankfurt seinen Fotoband „Gold“ vor.

Foto: dpa/Silas Stein

Diese Szene ist typisch für ihn: Als Sebastião Salgado auf den Galapagosinseln eine der berühmten Riesenschildkröten fotografieren wollte, ergriff das Tier immer wieder die Flucht. Was tat der Brasilianer? Er ging in die Knie und näherte sich dem Reptil auf allen Vieren, stellte sich gewissermaßen als Artgenosse vor. Bald war die Angst des Gegenübers vor der Kamera verschwunden.Mit diesem Respekt hat er von Armut oder Vertreibung geplagte Menschen, aber auch Tiere und unbelebte Landschaften in 120 Ländern der Erde fotografiert. Eine ungeheuerliche Leistung, die an diesem Sonntag in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels gewürdigt wird.

„Mein Land, unsere Erde“ heißt die Autobiografie dieses außergewöhnlichen Mannes, der 1944 in Aimores im Bundesstaat Minas Gerais auf einer großen Gemüsefarm geboren wurde. Das Land war von gewaltigen Regenwäldern umgeben, und der Blick in gewaltige Wolken prägte den Jungen. „Im Grunde lebte ich in meinen Bildern, bevor ich begann, selbst welche zu machen.“ Der Weg dorthin war mit Zufällen gepflastert.

Schon mit 20 verliebte sich Sebastião in die 17-jährige Lélia, mit der er nun 45 Jahre lang verheiratet ist. Das Paar floh nach dem brasilianischen Militärputsch 1969 nach Frankreich, wo er Ökonomie und sie Architektur studierte. Dafür brauchte sie eine Leica, die er dann als Angestellter der Londoner Kaffeeorganisation mit auf seine Dienstreisen nach Afrika nahm. Dort fand er in Ruanda „mein zweites Brasilien“ – und beschloss mit 29, den gut dotierten Job dem Wagnis des freien Fotografenlebens zu opfern.

Sebastião Salgado fotografierte häufig die selben Orte mehrmals

Langer Atem war ihm dabei wichtiger als schnelles Geld. Immer wieder kehrte er an die gleichen Orte zurück, um deren Veränderungen zu protokollieren. Er lebte monatelang bei den Indios in Südamerika, wo „die Uhren langsamer gehen, im Takt der Vergangenheit“. Zwar war seine Agentur Magnum froh, dass er im März 1981 das Attentat auf Ronald Reagan einfing, doch Salgado ging es um andere Bildgeschichten.

Er begleitete die ausgemergelten Menschen in der verdorrten Sahel-Zone oder erzählte von der Geschichte der menschlichen Arbeit: bei Tabakpflückern in Kuba, Parfumeuren auf La Réunion,   sizilianischen Thunfisch-Fischern oder den Männern in einer Goldmine im Norden Brasiliens.

Als Voyeur hat er sich nie gefühlt, auch nicht beim Beobachten der großen Flüchtlingstrecks und -lager, die er in seinem berühmten Band „Exodus“ zeigt. Er war in Mosambik, auf dem kriegsverwüsteten Balkan und musste nach dem Massaker im geliebten Ruanda mitansehen, wie die Überlenden zu Tausenden in überfüllten Lagern starben.

Dieser Mann hat an Flüssen voller Leichen gestanden und irgendwann einen Gegenpol gebraucht. Seit 1990 arbeitet er mit Lélia an der Wiederaufforstung seiner brasilianischen Heimat. Sogar der Jaguar ist inzwischen dorthin zurückgekehrt, und heute kann das Öko-Projekt jährlich eine Million Setzlinge von über hundert Baumarten liefern.

Kritikern sind Panoramen von Sebastião Salgado beinahe zu schön

Den in fast grimmiges Schwarzweiß gemeißelten Menschenbildern stellte Salgado dann in „Genesis“ die unbeschädigte Natur gegenüber. „Ich sah so viel Schönes, nachdem ich zuvor so viel Schreckliches gesehen hatte.“ Diese Ursprünglichkeit fand er bei den nomadischen Rentierjägern am Polarkreis, bei indigenen Stämmen am Amazonas oder auf einer 850 Kilometer langen Wanderung über Äthiopiens Hochebene.

Kritikern sind seine gewaltigen Panoramen beinahe zu schön, um wahr zu sein. Doch im Buch macht Salgado sehr glaubhaft, wie wichtig ihm neben der Empathie mit Armen oder Vertriebenen der Erhalt der gefährdeten Natur ist. „Indem wir uns der Erde entfremdeten, wurden wir selbst zu fremdartigen Wesen“. Sehr anrührend beschreibt er auch das schwierige, aber beglückende Leben mit dem am Down-Syndrom leidenden Sohn Rodrigo.

Sebastião Salgado ist gewiss kein Prediger, aber er glaubt an Bilder als „eine wirkungsvollere Schrift, die man überall auf der Welt ohne Übersetzung lesen kann“.

Sebastião Salgado (mit Isabelle Francq): Mein Land, unsere Erde. Aus dem Französischen von Sina de Malafosse. Nagel & Kimche, 192 S., 22 Euro.

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