Song Contest Netta wirbt bei ESC für starkes Frauenbild

Tel Aviv · Sie gackert laut, sie tobt in knallfarbigen Outfits über die Bühne: Netta Barzilai aus Israel hat ihren ganz eigenen Stil. Mit ihrem Song "Toy" will sie für ihr Land zu seinem 70. Geburtstag den Sieg erobern.

 Netta Barzilai aus Israel hat ihren ganz eigenen Stil.

Netta Barzilai aus Israel hat ihren ganz eigenen Stil.

Foto: Daniel Kaminsky

Netta Barzilai passt in keine Schublade. Die 25-jährige Israelin trägt schrille Outfits und schert sich nicht darum, dass ihr kräftiger Körper nicht dem vorherrschenden Idealbild entspricht.

Ihre Botschaft an junge Frauen? "Du musst nicht dem Standardbild davon entsprechen, wie jemand aussehen, denken, reden und kreativ sein muss, um Erfolg zu haben", sagt Barzilai der Deutschen Presse-Agentur in Tel Aviv. Beim Eurovision Song Contest gilt die junge Sängerin, die gleichzeitig energisch und verletzlich wirkt, als eine Favoritin.

Barzilais ungewöhnlicher Song "Toy" vermischt zeitgenössischen mit typisch koreanischem Pop, Hip-Hop und orientalischen Klängen. Besonders kurios: Sie gackert wie ein Huhn. "Im Text geht es um das Erwachen weiblicher Power und soziale Gerechtigkeit, mit einer einfachen und direkten Botschaft", sagt die junge Frau. "Nämlich: Ich bin nicht dein Spielzeug." Dies gehe aber nicht nur junge Frauen an, sondern eigentlich jeden: "Seid stolz und nehmt euch selbst so an, wie ihr ausseht und denkt."

Von einer musikalischen Karriere habe sie geträumt, solange sie denken könne, sagt die junge Israelin. Der Popmusik-Experte Udo Dahmen rechnet Barzilai durchaus gute Chancen auf einen der vorderen Plätze aus. "Ich finde den Song wirklich sehr, sehr schön", sagt Dahmen, Künstlerischer Direktor der Popakademie in Mannheim. "Zum einen die Art und Weise, wie sie rangeht: Sie sieht das Genderthema 'Macht Frauen stark' komplett als ihr eigenes Thema, gleichzeitig betrachtet sie es auch mit Hühnergegacker von der humorvollen Seite."

Der Text sei intelligent. "Er beschreibt die Rollenthematik zwischen Männern und Frauen und macht aus ihrer Position klar: Ich bin ich und habe meine eigene Position zu vertreten", sagt Dahmen.

Außerdem sei das Stück an sich "ein Ohrwurm". Dahmen lobt die Mischung aus elektronischer Musik sowie die Art Barzilais, zu singen. Bei ihren Auftritten verwendet die Musikerin auch einen elektronischen Looper und schafft so besondere Klangeffekte. "Das ist Teil der Performance", sagt Dahmen. "Andere Musiker treten auch mit einer Gitarre auf, ein Looper ist ein Instrument, genau so wie eine Gitarre." Berichte, wonach Barzilai den Looper beim ESC-Auftritt nicht verwenden darf, hat ihr Sprecher zurückgewiesen.

Zu der aktuellen #metoo-Debatte sagt Barzilai, es sei "großartig, dass Frauen ihre Stimmen finden". Miri Rosmarin von der Bar-Ilan-Universität nahe Tel Aviv sieht die Botschaft Barzilais allerdings weniger in Bezug auf die weltweite Kampagne. "Die politische Bedeutung (...) ist eher ihre Nachricht an junge Mädchen, glücklich darüber zu sein, wie man ist, wie man aussieht", sagt Rosmarin, die in feministischer Philosophie promoviert hat.

Barzilai feiere selbst ihren größeren Körper. "Sie bewegt sich viel, sie tanzt mit ihm, es ist sehr offen, es feiert die Möglichkeiten dieses Körpers", sagt Rosmarin. "Ich denke, das ist das Neue an ihr." Der gesellschaftliche Beitrag beziehe sich auf "die Vielfalt an Körperbildern".

Israel hat bisher dreimal beim Eurovision Song Contest gesiegt. Vor genau 20 Jahren gewann Dana International als erste Transsexuelle den Contest. Sie wurde zur Galionsfigur der israelischen Schwulen- und Lesbenszene und ebnete den Weg für weitere unkonventionelle Kandidaten. Im Jahr 2014 gewann etwa Conchita Wurst, die Kunstfigur mit Abendkleid und Vollbart, den Wettbewerb für Österreich.

Über die Zeit nach dem Wettbewerb mag Barzilai noch nicht nachdenken. "Ehrlich gesagt konzentriere ich mich auf die Eurovision, und ich arbeite wirklich hart daran, auf der Bühne in Lissabon das Beste zu geben", sagt sie. "Ich habe schon immer hart gearbeitet und werde das für den Rest meines Lebens weiter tun."

Gedanken darüber, was andere von ihr erwarten, sieht sie als Zeitverschwendung. Denn das Leben sei kurz, sagt die 25-Jährige. "Wir sind doch nur eine Minute hier, und deshalb sollten wir die Zeit einfach genießen."

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