Deutsch-östereichische Produktion „Freud“ auf Netflix ist eine weite Reise ins Unbewusste

Bonn · Der österreichische Schauspieler Robert Finster spielt in der Serie den Pionier der Psychoanalsyse als jungen Mann. Worauf man sich bei der neuen Netflix-Produktion einstellen darf, verrät unser Autor.

Sigmund Freud (Robert Finster) und sein Medium Fleur Salomé (Ella Rumpf).

Sigmund Freud (Robert Finster) und sein Medium Fleur Salomé (Ella Rumpf).

Foto: Netflix/jan_hromadko

Führt man sich das Bild Sigmund Freuds vor Augen, so stellt man sich einen Herrn mit grauem Vollbart und Halbglatze vor, der mit forschendem Blick in die Kamera schaut. Mit dieser Ikonografie des alten, weisen Mannes räumt nun die deutsch-österreichische Netflix-Serie „Freud“ gründlich auf. Denn hier geht es um den jungen Freud (Robert Finster), der in den ersten Filmminuten die Taschenuhr vor dem Gesicht einer Frau hin- und herpendeln lässt.

Die Patientin hat die Stimme verloren, nachdem ihr Töchterchen von einer Kutsche überfahren wurde und soll nun unter Hypnose geheilt werden. Sie durchlebt die traumatische Szene noch einmal und als sich das Kind in der Erinnerung losreißt, entfährt ihr ein lauter Schrei. „Ausgezeichnet“, sagt der behandelnde Arzt, „das ist doch schon sehr glaubwürdig“.

Fingierte Hypnosebehandlung

Die Dame ist seine Haushälterin und Freud übt mit ihr eine fingierte Hypnosebehandlung, mit der er Chef und Kollegen von seiner „therapeutischen Revolution“ überzeugen will. „Wollen Sie auch etwas Kokain?“ fragt er Leonore (Brigitte Kren) und schon bevor das Intro eingespielt wird, ist klar, dass Regisseur Marvin Kren mit seiner Serie kein braves Biopic über den Begründer der Psychoanalyse im Sinn hat. Kren („4 Blocks“/„Blutgletscher“) verbindet die biografische Aura seiner Titelfigur mit Elementen aus dem Crime-, Mystery- und Horrorgenre.

Das mag auf den ersten Blick obskur erscheinen, aber gerade diese Genres verdanken ihre größten Erfolge den Freud‘schen Erkenntnissen. Die Filme von Hitchcock, Lynch, Ferrara oder Cronenberg wären ohne die Psychoanalyse nicht denkbar.

„Ich bin ein Haus. In mir ist es dunkel. Mein Bewusstsein ist ein einsames Licht. Eine Kerze im Luftzug. Sie flackert. Einmal hierhin, einmal dorthin. Alles andere liegt im Schatten. Alles andere liegt im Unbewussten“, erklärt Freud den ignoranten Kollegen seine ersten seelenkundlichen Theorien. Und damit begibt sich die Serie auf die Reise mit einer flackernden Erzählstrategie in die schrill möblierten Zimmer des Unbewussten. Hier ermorden hochdekorierte Offiziere junge Dirnen, kämpft Inspektor Kiss (Georg Friedrich) nicht nur gegen das Verbrechen, sondern auch gegen eigene Kriegstraumta, lädt eine ungarische Gräfin (Anja Kling) zu spiritistischen Sitzungen ein und plant einen finsteren Komplott, wofür sie sich die schöne Fleur (Ella Rumpf) als Medium hält.

Halluzinogener Rausch

Kren hat seine Erzählung als wilden, halluzinogenen Rausch aus finsteren Träumen, verdrängten Erinnerungen, perversen Verbrechen und schwarzer Magie angelegt. Das entwickelt durchaus die gewünschte Sogwirkung und überzeugt durch seine kühne Verbindung von Vordergründigem und Tiefsinnigem. Aber mit Episode 5 „Trieb“ (nomen est omen) gehen der Erzählung die Pferde durch. Da nehmen die dunklen Mächte reißerisch das Zepter in die Hand, werden animalische Sexszenen und Blutorgien demonstrativ von der Leine gelassen. Von dieser Überdosis Genre kann sich „Freud“ in der Zielgeraden nur noch unvollständig erholen.

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